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Garantiert ohne Rentiere: Hörenswerte Weihnachts-CDs von Tallis bis Homilius im Überblick

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Keineswegs bloß die Süßwarenhersteller, auch die Musikbranche kann, alle Jahre wieder, nicht an sich halten vor lauter speziell auf die Zeit von Advent bis Dreikönig zugeschnittenen Veröffentlichungen. Der Festtage sind viel zu wenige, um sich durch die entsprechenden CD-Berge nur eines einzigen Jahres hindurchzuhören. Deswegen im folgenden einige Titel, die sich gerade nicht durch den Titel oder die Covergestaltung mit kitschigen Englein, weichgezeichnetem Kerzenlicht, glänzenden Christbaumkugeln, glitzerndem Kunstschnee, Nikolausmützen oder gar Rentieren als weihnachtlich outen. Sie laufen deshalb Gefahr, im allgemeinen Trubel unterzugehen.

Thomas Tallis (ca. 1505-85) lebte in turbulenten Zeiten: Die englischen Regenten wechselten häufig, und mit ihnen die jeweils gültige Staatsreligion – und für jede neue Glaubensausrichtung wurde zugleich eine passende Musik gebraucht. Tallis lieferte, was jeweils erwartet wurde; seine eigene Konfession wurde offenbar als Privatsache betrachtet: Tallis' hervorragender Ruf verlieh ihm diesen Sonderstatus. Die „Missa Puer natus est nobis“ entstand mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Weihnachten 1554, passenderweise, als bei Queen Mary eine Schwangerschaft vermutet wurde (was nicht zutraf). Das Kyrie wurde damals ohnehin nicht vertont, das Credo dieser im übrigen siebenstimmigen Messe ist leider verloren gegangen; das Programm wird daher durch einige vier- bis sechsstimmige Motetten abgerundet. Wer in geistlicher Musik der Renaissance eine gewisse Rauheit und Strenge schätzt, bei der kein übertriebener Wohlklang die Andacht stört, liegt bei Cardinall's Musick richtig. Allerdings: Wer des Lateinischen nicht mächtig ist, käme nicht unbedingt darauf, dass es sich um weihnachtliche Musik handeln könnte.

Bei dem um zwei Generationen jüngeren Hans Leo Hassler liegt der Fall anders. Die Aufnahmen zu „In dulci jubilo“ entstanden anlässlich seines 400. Todestages 2012, wurden aber zu spät veröffentlicht. Dafür eignen sie sich umso besser als Gabe zum 350. Geburtstag 2014. Hassler war als Schüler von Andrea Gabrieli (etwa im Vergleich zu Schütz) zwar zu alt, um von den letzten italienischen Neuerungen noch zu profitieren. Aber den Madrigalstil beherrschte er perfekt. Nur vier Stimmen benötigen seine auch äußerlich knapp bemessenen Chöre, dafür bleiben die teils bereits deutschsprachigen Texte stets bestens verständlich; das Titelstück mischt bekanntlich deutsche und lateinische Verse. Hasslers wertvolle, leider gern unterschätzte Musik (Luthers „Vom Himmel hoch da komm ich her“ darf hier natürlich nicht fehlen) vermag den Hörer damals wie heute mit sparsamen Mitteln zu berühren, vor allem dann, wenn die Solostimmen so perfekt miteinander verschmelzen wie im Peñalosa-Ensemble. Petits Fours wie diese sind in kleinen Mengen am bekömmlichsten.

Wenn es um festlichen Hochbarock geht, ist die Chance gering, an den sechs Teilen von Bachs Weihnachtsoratorium vorbeizukommen. Dabei hat er so viele andere, kaum weniger reizvolle Kantaten für die Zeit vom 1. Advent bis zum Beginn der Fastenzeit geschrieben, die kaum je erklingen. Wie steht es da erst um das noch weitgehend im Dunkel liegende Schaffen des Christoph Graupner (1683-1760), der sage und schreibe 1.400 Kantaten hinterlassen hat, also das Siebenfache des überlieferten Bestands aus der Feder des Thomaskantors! Dass Graupners Vokalwerke nicht nur durch schiere Quantität, sondern auch durch hohe Qualität für sich einnehmen, wenn sie denn einmal aufgeführt werden, davon unterrichten uns das Capricornus Consort Basel und die Sopranistin Miriam Feuersinger auf „Himmlische Stunden, selige Zeiten“. Zwei der vier darin enthaltenen Solokantaten der Jahrgänge 1711 und 1719 waren für die Weihnachtszeit bestimmt: Wer möchte, kann in „Furcht und Zagen“ und „Ich bleibe Gott getreu“ das segensreiche Wirken der barocken Affektenlehre verfolgen. Die Sängerin intoniert absolut rein (im Piano zu einem geheimnisvollen Hauchen zurückgenommen), wie die Streicher frei von jedem Vibrato, und meistert alle Sprünge und Koloraturen mit Bravour. Eigentlich ist das große Oper, dem nur die Bühnenhandlung abgeht. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn diese betörend gelungene Aufnahme nicht bloß der Karriere Feuersingers einen ordentlichen Schub verpassen, sondern zugleich dem Renommee Graupners aufhelfen würde, dessen Name künftig in einem Atemzug mit Telemann, Bach und Händel genannt werden muss.

Nach so viel zu Herzen gehendem Gesang tut ein wenig (ebenfalls Kirchenräumen zugedachte) Instrumentalmusik gut. Nur ein Jahr jünger als Graupner war Francesco Manfredini (gest. 1762); seine zwölf „Sinfonie da chiesa“, 1709 in Bologna als op. 2 erschienen, kulminieren in einer den Klang der Drehleier imitierenden „Pastorale zur Heiligen Nacht“, also einem Weihnachtskonzert. Aber auch die übrigen fünf- bis achtminütigen Stücke für Streicher und Orgelcontinuo (im Grunde viersätzige Kirchensonaten) verbreiten mal ausgelassene, mal meditative Stimmungen in unterschiedlichsten Tonarten. Als berufene Interpreten dieses zu wenig bekannten Zyklus', dessen Teile jeweils für sich stehend die stärkste Wirkung entfalten, fungiert nochmals das von Graupner her bewährte Capricornus Consort aus Basel.

Das als Ableger seiner verlegerischen Tätigkeit operierende Label Carus war das einzige, welches den diesjährigen 300. Geburtstag der Dresdner Lokalgröße Gottfried August Homilius (gest. 1785) angemessen würdigte: Gleich drei Veröffentlichungen waren ihm dieses Datum wert. Wie die nähere Beleuchtung des mit Homilius gleichaltrigen Carl Philipp Emanuel Bach helfen sie das bequeme Vorurteil entkräften, die Periode nach 1750 sei eine des Niedergangs oder bestenfalls des Übergangs (zur Wiener Klassik nämlich) gewesen.

Das 1777 gedruckte Weihnachtsoratorium „Die Freude der Hirten über die Geburt Jesu“ repräsentiert das umfänglichste Werk innerhalb der 2-CD-Jubiläumsedition mit bereits anderweitig vorgelegten Einspielungen der Jahre 2004-09. Dirigent Ludwig Güttler, der in anderen Werken als Blechbläser hervortritt, setzt sich ja schon lange für die Wiederentdeckung Homilius' ein. Die knapperen, vom Kreuzkantor Roderich Kreile geleiteten Kantaten zu Pfingsten, Himmelfahrt und Trinitatis können ebenfalls spontan für einen Komponisten einnehmen, der auf vielfältigste Weise für festliche Atmosphäre sorgt.

Eine ideale Ergänzung hierzu bilden fünf erstmals eingespielte, von Rainer Johannes Homburg schwungvoll und stilsicher dirigierte Kantaten unter dem Sammeltitel „Warum toben die Heiden“: Sie decken nämlich die Periode zwischen Advent und Aschermittwoch ab. Wenn kirchliche „Gebrauchsmusik“, die immerhin den Weihnachtsjubel über die Ankunft des Erlösers künstlerisch gestalten möchte, dies doch immer auf solch hohem Niveau täte wie bei Homilius!
Zugegeben – die Einspielung von fünfzehn virtuos gesetzten A-cappella-Motetten durch den achtköpfigen Chor sirventes Berlin beleuchtet eine Fassette von Homilius' Könnerschaft, die jedes konkreten weihnachtlichen Bezuges entbehrt. Dafür wird hier jedoch so hervorragend gesungen, dass ich zum Abschluss dieser kleinen Auswahl eine nachdrückliche Empfehlung von „Habe deine Lust an dem Herrn“ nicht unterdrücken kann.

Thomas Tallis: Missa Puer natus est nobis, Motetten. The Cardinall's Musick, Andrew Carwood. Hyperion CDA68026
Bewertung: * * *
Hans Leo Hassler: In dulci jubilo – Missa super „Dixit Maria“, deutsche und lateinische Motetten. Peñalosa-Ensemble. Carus 83.396
Bewertung: * * * *
Christoph Graupner: Himmlische Stunden, selige Zeiten – Kantaten. Miriam Feuersinger, Capricornus Consort Basel, Peter Barczi. Christophorus CHR 77381
Bewertung: * * * * *
Francesco Manfredini: XII Sinfonie da chiesa. Capricornus Consort Basel, Peter Barczi. Christophorus CHR 77380
Bewertung: * * * *
Gottfried August Homilius: Musik an der Dresdner Frauenkirche. Dresdner Kreuzchor, Dresdner Barockorchester, Roderich Kreile; Sächsisches Vokalensemble, Virtuosi Saxoniae, Ludwig Güttler. Carus 83.268 (2 CDs)
Bewertung: * * *
Gottfried August Homilius: Warum toben die Heiden – Kantaten. Solisten, Handel's Company & Choir, Rainer Johannes Homburg. Carus 83.267
Bewertung: * * * *
Gottfried August Homilius:: Habe deine Lust an dem Herrn – Motetten II. Sirventes Berlin, Stefan Schuck. Carus 83.266
Bewertung: * * * * *
(Vertrieb aller CDs: Note 1)

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