Gitarristen haben eines gemeinsam: Sie leiden darunter, dass die Literatur für ihr Instrument nicht besonders groß ist. Das betrifft vor allem die Kammermusik. Nicht viele wirklich brauchbare Komponisten widmeten sich gebührend diesem Instrument, das doch zu so melancholischen bis feurig-wilden Klängen imstande ist. Mario Castelnuovo-Tedesco (1895–1968) ist einer von ihnen.
Nun ist Castelnuovo-Tedesco nicht wirklich erste Liga, heute ist er vor allem durch die Gitarrenliteratur, die Filmmusik und als Lehrer von John Williams bekannt. Dabei schrieb er Opern, Konzerte und Oratorien von solider Qualität.
Ein neues Album von Naxos widmet sich nun seiner Kammermusik für Gitarre. Im Mittelpunkt steht das Quintett op. 143 für Gitarre und Streichquartett. An der Gitarre: der junge Münchener Gitarrist Leonard Becker. Begleitet wird er von einem Streichquartett bestehend aus Studierenden der Münchner Musikhochschule, allesamt Crème de la Crème, Schüler von Julia Fischer, Mönkemeyer und Co. Und die jungen Musiker spielen das äußerst charmant. Das einfallsreich komponierte Quintett, das sich am ehesten mit neoklassizistisch bis neoromantisch ohne Biederkeit beschreiben lässt, führen sie sauber aus, die Flageoletts (mit denen weiß Tedesco eine Menge anzufangen!) kommen sehr fein, der Ton ist durchweg edel. Becker präsentiert seine hervorragende Technik. Vielleicht wünscht man sich hier und da mehr heißes Blut, gerade bei den spanischen Passagen, etwas mehr Mut, mehr Tempo, mehr Extreme. Man denke an die fantastische Aufnahme mit Jason Vieaux und dem Escher String Quartet…
Auch wenn Becker sehr gut spielt, der Ton prima ist, ihm alles mühelos gelingt, kommt doch die Frage auf, warum ein junger Gitarrist, der noch keinen der bedeutenden internationalen Gitarrenwettbewerbe für sich entscheiden konnte, eine Aufnahme bei Naxos bekommt. Schließlich ist Naxos doch die Anlaufstelle für alle Gitarristen, die quasi ein Abo auf erste Preise haben. Egal – Leonard Becker macht das ausgezeichnet! Er spielt übrigens eine Gitarre von Matthias Dammann, also wahrscheinlich eine Double Top. Diese erlaubt ihm in der Konzertsituation dynamische Vorteile, schränkt ihn im Rahmen der Aufnahme auf Ebene der Klangvariabilität aber etwas ein.
Die völlig unterschätzte Fantasia op. 145 für Gitarre und Klavier, ein fabelhaftes Werk mit impressionistischen Landschaften, wie man sie nur selten auf der Gitarre hört, gelingt Becker und Clara-Isabella Siegle außerordentlich gut. Die Klangmischung zwischen dem filigranen Gitarren-Sound und dem voluminösen Klavierklang scheitert regelmäßig grandios in Aufnahmen dieses Stückes – nicht so hier! Eclogues op. 206 für Flöte, Englisch Horn und Gitarre ist das letzte von Tedesco vervollständigte Werk. Es ist sicherlich nicht sein originellstes Stück, aber es macht Freude, den Münchnern beim Musizieren zuzuhören.
Mario Castelnuovo-Tedesco (1895–1968): Kammermusik mit Gitarre
Gitarrenquintett op. 143; Ecloghe op. 206 für Flöte, Englischhorn & Gitarre; Fantasia op. 145 für Gitarre & Klavier; Sonatine op. 205 für Flöte & Gitarre
Leonard Becker, Gitarre; Louis Vandory, Valerie Steenken, Violine; Elisabeth Buchner, Viola; Marton Braun, Cello; Chloe Dufossez, Flöte; Eloi Huscenot, Englischhorn; Clara Isabella Siegle, Klavier
Naxos 8.574319