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Saariaho Ondine
Saariaho Ondine
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Im Zentrum: der Text – Werke von Kaija Saariaho auf einer neuen Ondine-CD

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Das finnische Label Ondine fährt fort, das Schaffen einer der bedeutendsten Töchter ihres Landes umfassend zu dokumentieren: Die neueste Veröffentlichung stellt drei jüngere Werke von Kaija Saariaho (geb. 1952) vor, die auch in anderer Besetzung oder Form vorliegen.

Seit Saariaho mit dem kongenialen Librettisten Amin Maalouf zusammenarbeitet, nehmen (französisch gesungene) Texte eine zentrale Rolle in ihrem Schaffen ein; dabei ist es schlechterdings unmöglich zu entscheiden, ob der Reiz ihrer gemeinsamen Werke mehr von der faszinierenden Vorlage oder von der Art ihrer musikalischen Gestaltung ausgeht.

An „Terra Memoria“ für Streichorchester (2009) jedenfalls hat Maalouf keinen Anteil: Die Komposition, ursprünglich für Streichquartett, geht von dem Gedanken aus, dass Verstorbene in unserem Gedächtnis weiterleben. Obgleich deren äußeres Leben abgeschlossen ist, verändern sich unsere Erinnerungen an sie mit der Zeit. Dieses Phänomen überträgt Saariaho auf das musikalische Material und dessen Transformation. Mit avancierten Spieltechniken aller Art wird hier durchaus nicht gegeizt; dennoch hätte ich die transparentere Quartettfassung vorgezogen.

„Quatre Instants“ entstand 2002 für Sopran und Klavier und noch im gleichen Jahr in einer kammermusikalisch durchsichtigen Orchesterversion. Der Zyklus behandelt, wie oft bei Saariaho, die Liebe in ihren verschiedenen Fassetten: Die Sehnsucht nach dem/der Geliebten, der Trennungsschmerz, nimmt breiteren Raum ein als die vermeintliche Erfüllung, die den Schmerz nicht beendet, sondern lediglich kurzfristig aufhebt in der Lust. Die anschließende tiefe Trauer, das Leiden an der nicht wirklich überwundenen, weil nicht überwindbaren Distanz („le remords me brûle“), nimmt bereits die Trennung vorweg, die spätestens durch den Tod endgültig wird – dem anderen Leib- und Magenthema Saariahos (und Maaloufs) spätestens seit ihrem bahnbrechenden Hauptwerk „L'amour de loin“ (2000).

Nicht zufällig konzentriert sich das 80-minütige Monodram „Emilie“, aus dem hier die halbstündige Suite von 2011 erklingt, auf wenige, von Todesahnungen überschattete Stunden im Leben der Marquise Émilie du Châtelet (1706-49), die im Kindbett starb, nachdem sie sich bleibende Verdienste als Mathematikerin, Physikerin und Übersetzerin Isaac Newtons erworben hatte. Doch nicht genug, dass sie sich als leidenschaftliche Wissenschaftlerin hervortat; auch den Sinnenfreuden war die Freundin Voltaires äußerst zugetan. Die hochschwangere Émilie, die als Briefeschreiberin auftritt, taucht wie die Protagonistin der „Quatre Instants“ tief in ihre Gedanken- und Gefühlswelt ein. Insbesondere beschäftigt sie die Sorge, ob ihre Übersetzung wohl noch rechtzeitig vor der Niederkunft fertig wird. Dies ist ihr zwar vergönnt, aber gegen Ende des letzten Abschnitts „Contre l'oubli“ („Gegen das Vergessen“), in den auch das Bühnenwerk mündet, verabschiedet sie sich bereits von der Welt, die sie kennt und liebt – und löst sich geradezu auf, um mit den Sternen und dem Universum zu verschmelzen, dem ihre Forschungen gegolten hatten. Saariahos Instrumentation, mit Cembalo und Glockenklängen, scheint hier noch mehr als sonst zu glitzern und zu funkeln.

Karen Vourc'h hat die Emilie verschiedentlich auf der Bühne gesungen, ebenso die Protagonistin des Oratoriums „La Passion de Simone“. Sie bleibt den von ihr verkörperten Frauenfiguren auch im Studio nichts schuldig. Die Leistungen der Straßburger Philharmoniker unter dem Slowenen Marko Letonja verblassen dagegen ein wenig. Leider enthält das an sich untadelige Booklet die Gesangstexte, Werkeinführungen und Biografien nur in englischer und französischer Sprache.

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