Mit der ohne Vorbild frei erfundenen Handlung einer männermordenden Jungfrau als Reinkarnation der mythischen Ilse vom Ilsenstein, einer in ihrem Besitz befindlichen, geraubten Schmucksammlung der Königin und dem fahrenden Sänger und Schatzgräber Elis als ihrer positiv besetzten, männlichen, Imago, hatte Schreker seinen anhaltendsten Bühnenerfolg errungen. Die Produktion der 1920 in Frankfurt uraufgeführten Oper „Der Schatzgräber“, mit der im Vorjahr die Saison an der Nederlandse Opera eröffnet worden war, erschien jetzt bei Challenge Classics auf CD.
Zwischen dem Jahr der Uraufführung und 1932 hatte es Schrekers psychologische Märchenoper auf 385 Aufführungen an fünfzig Bühnen gebracht. Das im ersten Weltkrieg entstandene, im Mittelalter angesiedelte Bühnenwerk über ein bedrohtes Königtum hatte der Amsterdamer Regisseur Ivo van Hove in die Gegenwart verlegt und so auf die Kunst als einzig mögliche Rettung politischer Probleme verwiesen.
Ein derartiger Konzeptionsansatz schlägt den Bogen zu Richard Wagners Kunstreligion. Und als einen „neuen Parsifal“ hatte Schreker selbst seine Opernhandlung vom „selbstlosen Toren“ gedeutet; all zu gerne wäre der Freund der Armen und Weiber ein Egoist: „mir selbst das Leben, mir selbst die Freude!“. Aber auch die weibliche Spiegelung von Lohengrins Frageverbot greift Raum, denn Els opfert Schatz und Gesundheit für den geliebten Elis, dem sie auferlegt hat, „nie mich zu fragen, wie alles kam, mich nie zu quälen mit kränkendem Argwohn“. Der wie in keiner anderen Partitur des Musiktheaters musikalisch exzessiv geschilderte, mit der musikalischen Bezeichnung „orgiastisch“ überschriebene Orgasmus der Liebesvereinigung von Elis und Els im dritten Akt war in der Amsterdamer Inszenierung filmisch gelöst worden:
Ein Schwachpunkt auf der Aufnahme ist leider der Sympathieträger dieser Oper, der Narr, mit dem die Oper im szenischen Vorspiel beginnt und mit dessen Fazit sie im Nachspiel endet. Graham Clark ist hörbar angeschlagen, vielleicht auch Überfordert. Die balladeske Figur des fahrenden Sängers und Schatzgräbers Elis erfordert eine Mischung von heldentenoraler Verve und der Fähigkeit zu beseeltem Liedgesang. Diese sehr anspruchsvolle und umfangreiche Titelpartie wird von dem amerikanischen Tenor Raymond Very bravourös bewältigt, mit klarer Diktion und intensiv gestalteten stimmlich Facetten nur wünschte man sich in seinen Erzählungen mehr Legatobögen.
Mit einschlägiger Kieler Schreker-Erfahrung verkörpert Manuela Uhl die weibliche Hauptpartie. Trefflich gelingt ihr das berühmte Wiegenlied der Els im dritten Akt, das sie im Piano hält, während ihre dramatischen Ausbrüche in der Aufführung häufig all zu scharf gerieten, auf dem Mitschnitt aber abgerundet klingen. Auch Uhls mangelnde Textverständlichkeit ist auf der Aufnahme besser, wohingegen Vokalverfärbungen und häufige Intonationsprobleme bleiben, aber den Gesamtgenuss dieser Einspielung kaum trüben. Klanglich imposant der von Alan Woodbridge einstudierte Chor, zahlreiche profilierte Leistungen auch in den kleineren Partien, etwa Kay Stiefermann als Vogt mit prononcierter stimmlicher Gestaltung.
Als Assistent bei Gerd Albrechts Hamburger „Schatzgräber“-Produktion (auf CD bei Capriccio 60-010-2), war Marc Albrecht im Jahre 1989 von Franz Schrekers Klangkosmos infiziert worden. Da die Hamburger Inszenierung sehr stark gekürzt war, wollte Marc Albrecht das dort Versäumte nun nachholen. Bis auf einen kurzen Strich im 2. Akt (Männerchor hinter der Szene) erstrahlt die Partitur, vom bestens disponierten Nederland Philharmonic Orchestra ziseliert, strichlos in vollem Glanz. Albrecht d. J. gelingt das Plädoyer für diese Oper mit exstatischer Sinnlichkeit und gleichzeitig klarer Analyse. Der sich von Wagner herleitende Anarchismus der Singstimmen gegenüber dem Orchester wurde in keiner anderen Schreker-Aufführung der letzten Jahre so deutlich wie unter diesem jungen Dirigenten, wo die Soli quasi frei über dem Orchester schweben, während sich diese bei den eigenen Interpretationen des Komponisten klanglich inmitten des Orchestersatzes bewegen. Jenseits der thematischen Hauptstrukturen verleiht Marc Albrechts Interpretation auch den Nebenfiguren Wichtigkeit, kehrt aber auch Allusionen deutlich hervor: so ist etwa das abgerissene Dresdener Amen – als „Parsifal“-Bezug – vor dem bekräftigenden „Amen“ des Narren plastisch herausgearbeitet.
Eindrucksvolle Farbfotos der Amsterdamer Produktion (siehe nmz Online vom 2.9.2012) mit ihren filmischen Lösungen werten die als Buch mit 2 CDs herausgegebene Edition auf. Die zweite CD hat über 79 Minuten Spielzeit – mit der gestrichenen Passage hätte die Oper diese Zeit um eine Minute überzogen, und „Der Schatzgräber“ hätte nicht auf 2 CDs gepasst oder man hätte den dritten Akt, Höhepunkt dieser Einspielung unterbrechen müssen. So gesehen hatte Marc Albrecht im Nachhinein sogar Recht…