Arnold Schönberg: Klavierkonzert op. 42. Faksimile der autographen Particellreinschrift. Hrsg. Von Therese Muxeneder und Katharina Bleier. G. Henle Verlag HN 323, ISMN 979-0-2018-3231-9
„Aber das Leben geht weiter“
In nur vier Hauptsätzen charakterisierte Arnold Schönberg sein einziges Klavierkonzert: „Das Leben war so leicht / Plötzlich brach Hass aus / Eine ernste Situation entstand / Aber das Leben geht weiter“. Wie in fast allen seiner Werke brachten es diese Hörwegweiser zu Lebzeiten nicht zur Veröffentlichung. Zu Recht: Die programmatischen Bemerkungen mögen den Komponisten geleitet haben. Dennoch bleiben sie Privatsache und erleichtern kaum das Verständnis seiner Musik. Im Falle des Klavierkonzertes op. 42 aber lenken sie die Aufmerksamkeit auf die biografische und damit auch weltpolitische Situation, in der das Werk 1942 entstand. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erklärte der Präsident der Berliner Akademie der Künste dem Komponisten, der hier seit 1926 eine Professur wahrnahm, man wünsche einen Lehrkörper ohne Kollegen jüdischer Abstammung. Schönberg zog die Konsequenz, emigrierte so rasch wie möglich über Paris in die USA und sollte nie wieder nach Europa zurückkehren. Die vier zitierten Sätze zum Klavierkonzert, hierüber besteht in der Schönbergforschung Einigkeit, spiegeln die persönliche Erfahrung des hereinbrechenden Nationalsozialismus und der Emigration.
„Aber das Leben geht weiter.“ In den USA arrangierte sich Schönberg, allen Widrigkeiten, Geldnöten und Sprachbarrieren zum Trotz, mit den neuen Verhältnissen und fand schließlich wie viele andere prominente Exilanten in Los Angeles ein Zuhause. Seine Werke wurden „amerikanischer“. Schönberg antizipierte die Aufnahme seiner Musik beim amerikanischen Publikum, er nahm Aufträge an, komponierte in einigen Fällen wieder tonal, ließ in anderen Fällen tonale Anspielungen in den Zwölftonreihen zu und schrieb einige betont jüdische, gar politische Werke. Und es entstanden seine einzigen Instrumentalkonzerte, zuletzt das Klavierkonzert. Sein Schüler, der Pianist Oscar Levant, bat ihn um eine Komposition für Klavier solo. Indem Schönberg das Werk als Orchesterkomposition ausweitete, musste er sich einen neuen Auftraggeber suchen und fand ihn in Henry Clay Shriver, dem das Konzert gewidmet ist. Die erste Aufführung übernahm Schönbergs Leib- und Magen-Pianist, Eduard Steuermann, Leopold Stokowski leitete bei der Uraufführung in New York am 6. Februar 1944 das NBC Symphony Orchestra. Von der Westküste aus verfolgte Schönberg die Aufführung am Radio und bedankte sich herzlich per Telegramm.
Zum 150. Geburtstag beschenken das verdienstvolle Arnold Schönberg Center aus Wien und der Henle-Verlag Pianisten und Schönberg-Gemeinde – und hoffentlich nicht nur diese – mit einer luxuriösen Faksimile-Ausgabe des Klavierkonzertes aus dem Nachlass. Der Prachtband ist stolze 31 × 44 cm groß, robust leinengebunden, durchgängig vierfarbig auf voluminösem Papier (170g) gedruckt und kostet 139 Euro. Er enthält das 46 seitige Particell der Komposition, die letzte Vorstufe vor der Partiturreinschrift. Der Orchestersatz ist noch in wenigen Systemen zusammengefasst, andererseits bereits penibel und detailreich bezeichnet: Dynamik, Agogik, Instrumentation – nichts fehlt. Die Anmerkungen Schönbergs auf den ersten zwei Seiten zeigen, wie genau er es mit der klanglichen Realisation genommen hat, wie präzise Haupt- und Nebenstimmen ausbalanciert sein wollen.
Das Faksimile erlaubt einen Einblick in Schönbergs Werkstatt. Die vollständig lesbare Notenschrift steht der eines professionellen Notensatzes kaum nach. Die Anordnung der Instrumente weicht im Particell zuweilen von der üblichen Partitur-Reihenfolge ab, wenige Ungenauigkeiten lassen sich finden, die in der gedruckten Partitur berichtigt wurden, selbst ein Fingersatz erscheint in der Klavierstimme der ersten Takte. Alles in allem hat Schönberg aber kaum korrigiert, allenfalls über- oder eingeklebt – am prominentesten das markante zackige Bassmotiv am Beginn des zweiten Satzes, das Schönberg in seinen Skizzen als „Hass-Motiv“ markierte.
Dem Faksimile steht eine umfassende Einführung der beiden Herausgeberinnen Therese Muxeneder und Katharina Bleier in Deutsch und Englisch voran. Sie enthält Wissenswertes zum Werk und zu Schönbergs Biografie, listet die wichtigsten Eckdaten zur Entstehungsgeschichte auf, streift Kuriositäten wie Schönbergs Angst vor der Zahl 13 (in Takt 117 = 13 × 9 hinderte ihn ein Problem zwei Tage lang, die Komposition fortzusetzen), rekapituliert die bösesten Zusammenstöße Schönbergs mit dem Antisemitismus und richtet den Blick auf einige Werkdetails, darunter die Bedeutung von Tonbuchstaben wie dem BACH-Motiv, dem Kürzel des Komponisten (Es-B-G) und den Initialen des deutschen „Reichskanzlers“ (A-H). Auch das Skizzenblatt mit den vier zitierten programmatischen Sätzen ist dokumentiert. Zusammen mit den Themenentwürfen zeigt das Blatt, dass diese vier tatsächlich jedem der vier Abschnitte des Werkes zugeordnet worden sind. Mit ausführlichen Beschreibungen der im Manuskript verwendeten Papiersorten und Tinte ergänzt der Band die sorgfältigst edierte Schönberg-Gesamtausgabe mitsamt ihren kritischen Berichten. Schließlich steuert Restauratorin Verena Graf einen wundervoll genauen, mit Fotos garnierten Beitrag über ihre aufwändige Arbeit bei. Sie musste unter anderem die zahlreichen Klebestreifen Schönbergs entfernen, da diese nach vielen Jahrzehnten vergilbt und nicht mehr transparent waren. Das Ergebnis kann sich also (wieder) sehen lassen.
„Das Leben war so leicht.“ Schönbergs Klavierkonzert beginnt mit einem Walzer. Im Particell scheint der Komponist es eilig zu haben, diesen Teil der Erinnerung hinter sich zu bringen. Die Notenschrift ist flüchtig, die Taktstriche sind mit der Hand gezogen. Erst im weiteren Verlauf kommt hierfür das Lineal zum Einsatz. Der vierte und letzte Teil ist eine Gavotte, tatsächlich: ein „Kehraus“. Das Leben geht weiter.
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