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Aus dem Nachlass der fast Vergessenen

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Werke von Banning, Simbriger, Feiertag und Sigmund im Laurentius-Musikverlag
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Mit der Entstehung der tschechoslovakischen Republik reduzierte sich nach und nach das Musikleben in den böhmischen Ländern zwischen den beiden Weltkriegen, soweit es die Teilhabe deutscher Musiker betrifft. Besonders betroffen die Generation der damals 20- bis 30-Jährigen, die teilweise noch in Prag ihre Ausbildung wahrnehmen konnte, dann aber Opfer der Aussiedlung und schließlich zum Kriegsdienst herangezogen wurde. Darunter musikalische Hochbegabungen, die sich nach 1945 nur mit enormen Schwierigkeiten in ihrem Beruf als Musiker platzieren konnten und denen als Komponisten kaum Anerkennung gezollt wurde. Diese fast Vergessenen, deren sich das Sudetendeutsche Musikinstitut in Regensburg angenommen hat, verdienen durchaus eine nachträgliche Würdigung, soweit der teilweise magere musikalische Nachlass dies erlaubt. Eine kleine Auswahl solcher Kompositionen, hat Thomas Emmerig für die Heinrich Simbriger Stiftung im Laurentius-Musikverlag Frankfurt am Main erstmals veröffentlicht.

Helmut Banning (1909–1944): Choralpartita „O heiliger Geist, o heiliger Gott …“ für Orgel. LMV 244

In Leipzig geboren hat Helmut Banning erst dort, danach in Berlin die Schule besucht. Seine musikalische Ausbildung erfolgte am Sternschen Konservatorium, am Klindworth-Scharwenke-Konservatorium und schließlich für das künstlerische Lehramt und die Staatsprüfung für Organisten und Chordirigenten an der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik, bei Arnold Schering konnte er promovieren. Ab 1933 hatte er in verschiedenen Gemeinden Kirchenmusikdienst, bis er 1944 zum Heeresdienst geholt wurde, wo er bereits am 20. August als gefallen (in Riga oder beim Fliegerangriff in Berlin?) gemeldet wurde. Er trat von 1930 bis 1943 mit Klavier- und Orgelwerken in Erscheinung und wurde dabei „als nicht alltägliches kompositorisches Talent“ erkannt. Seine Choralpartita „O heiliger Geist“ für Orgel (1939) ist offenbar das einzige erhaltene Werk Bannings, das im Sudetendeutschen Musikinstitut in Regensburg als Aufzeichnung aufgefunden wurde und wohl zuletzt 1940 bis 1943 in Berlin und Umgebung mehrmals aufgeführt wurde. Die siebenteilige Partita, fast durchwegs im 6/4-Takt gehalten, wechselt mit Toccaten, Choral-Variationen, ein-, zwei- und mehrstimmigen Chorvorspielen, und ist kontrapunktisch in unterschiedlichen Tempi gezeichnet. Dazu die Registrierungsangaben mutmaßlich der Uraufführungsorgel.

Heinrich Simbriger (1903–1976): Sechs kurze Blasmusiken in alten Tonarten für drei Trompeten und drei Posaunen, op. 23 (1938), Stimmen als Spielpartituren, LMV 242. – Zehn kleine zweistimmige Stücke für Klavier, op. 77, Zwölftonwerk Nr. 1 (1950), LMV 226.

Der Kontrast kann nicht größer sein: kompositorisch einerseits traditionell der musica practica zugewandt, andererseits progressiver musiktheoretischer Vieldenker, vielseitig kreativ tätig im österreichisch-bayerischen Raum, etwa mit dem Sudetendeutschen Förderpreis ausgezeichnet. Mit Afred Zehelein schrieb er 1959 ein sehr spezielles Handbuch musikalischer Akustik. Doch so ganz verstanden und angenommen fühlte sich der aus Böhmen stammende Heinrich Simbriger nicht. Gegensätzlicher können die beiden hier vorliegenden Kammermusiken auch nicht sein: Einerseits die den antiken Modi verpflichteten sechsstimmigen quasi doppelchörigen Blasmusiken, jedes in einer anderen der alten Kirchentonarten. Sie erzeugen eine affektreiche feierliche Klangkulisse, vom dreifachen ppp bis zum dreifachen fff reichend, heiter, hart und festlich, eine besondere Aura hinterlassend. Andererseits die zehn konsequent zweistimmigen Klavierstücke, kunstvoll in gekonnter kontrapunktischer Manier gesetzt, mal thematisch, mal rhythmisch imitierend geführt, belastet von dem selbst auferlegten Zwang zu erproben, was er in Prag aus Matthias Hauers Zwölftonmusik gelernt hat. In der Tat war 1950 genau jene Hoch-Zeit, in der die kompositorische Führungsequipe den Umgang mit den zwölf Tönen unserer Skala als den letzten Hit des Komponierens programmiert hatte und den akademischen Kompositionsunterricht auf den Kopf stellte. Dem folgte Simbriger, und nun war er wohl neugierig auf das Gelingen seiner zehn kleinen Charakterstücke als Zwölftonwerk Nr. 1, deren Struktur im Lesen zweifellos leichter zu „verstehen“ als konzertant wiederzugeben ist.     

Hans Feiertag (1911–1943): Fantasie für Violine und Klavier (1940), LMV 246

Hans Feiertag, in Wien geboren, in Chomutov (Tschechien) aufgewachsen, in Wien promoviert über das Klangbild in Brahms’ Orchesterwerken, gehört zu den incognito gebliebenen Musikbegabungen, die sich infolge des 2. Weltkrieges nicht mehr entfalten konnten. Davon zeugt diese Fantasie, wohl als Kopfsatz seiner 2. Sonate gedacht und entworfen. 1940 zur Wehrmacht eingezogen, wurde er aber schon 1943 vermisst gemeldet. Sein Nachlass ist teils im Archiv der University of Western Ontario in London/Kanada, teils in der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt, Kopien auch am Sudetendeutschen Musikinstitut Regensburg, Musikarchiv der KünstlerGilde e.V. Regensburg.

Oskar Sigmund (1919–2008): Sonatine für Klavier (1963), LMV 236. – Vier kleine Präludien und Fugen für Orgel (2000), LMV 234

Sigmund, in Karlsbad geboren, studierte und promovierte in Prag, 1944 im Kriegsdienst an der Ostfront verwundet, wurde 1945 Dozent für Musiktheorie und für Klavier an der Kirchenmusikschule Regensburg, 1973 zum stellvertretenden Direktor ernannt, 1979 als Gründungsmitglied in die sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Künste in München berufen. Er komponierte trotz seiner Erblindung noch bis 2007. Seine Sonate für Klavier, 1964 uraufgeführt, wirkte „unerwartet leicht, elegant und manchmal von einem geradezu französischen Charme (…) spielte aus einer Position der liebevollen Distanz mit den Stereotypen der Sonatinen-Produktion des vorigen Jahrhunderts.“ Seine vier kleinen Präludien können mit ihren wechselnden Tonarten und unterschiedlichen Taktarten neben dem Einzeleinsatz – nach dem Vorschlag des Komponisten – ganz gut auch als abwechslungsreicher vierteiliger Zyk-lus konzertant dargeboten werden, in der Folge: Einleitung, Scherzo, Adagio, Finale. In den anschließenden Fugen, zwei bis vierstimmig kontrapunktisch verarbeitet, mit eingeschobenen Toccata-Partien, wandern die Themen nach herkömmlichen Regeln durch die Stimmen. Im Anhang taktweise vorgegebene Registrierungsanweisungen, wie sie für eine CD-Produktion als Grundlage diente.

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