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Aus diversen Blickwinkeln gewürdigt

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Mozart-Editionen zum Jubiläumsjahr bei Bärenreiter
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Auch Verlage können sich dem edlen Jubiläums-Wettstreit nicht entziehen. Der Bärenreiter-Verlag tut dies mit der Herausgabe dreier der wohl meist gespielten Klavierwerke Mozarts in Einzelausgaben unter dem Motto „Neu – Mit Fingersätzen“ auf der Grundlage seiner bewährten Gesamtausgabe (1). Der Henle-Verlag hat die „Klavierstücke“ neu ediert (2), die Wiener-Urtext-Edition legt ebenfalls Neuausgaben der Klaviersonaten und der Klavierstücke vor (3).

Wir setzen heute die Nutzung verlässlicher Urtext-Ausgaben auf allen Ebenen des Musizierens und der Ausbildung als selbstverständlich voraus – wohl wissend, dass auch der akribischste Notentext nie eine einzig gültige Lösung für die hermeneutischen Probleme, vor denen wir in der Musik wie in einer anderen Kunst bei der Interpretation stehen, bieten kann. Interpretationshinweise (wie sie der Alte-Musik-Experte Robert Levin für die Wiener-Urtext-Edition beigesteuert hat) können da nur bedingt umfassendere notwendige Kenntnisse in historischer Aufführungspraxis ersetzen. Feinheiten der Artikulation sind in diesem Zusammenhang ein zentrales Thema und es ist zu begrüßen, dass im Gegensatz zu früheren Ausgaben die Neuedition bei Henle beispielsweise Staccato-Punkte und -Keile unterscheidet. Ein nach aktueller Quellenlage zuverlässiger Text sowie auf entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Kommentare zu Entstehungsgeschichte, Einordnung oder Fragen der Authentizität gehören in jedem Fall zum editorischen Standard heutiger Urtextausgaben.

Für eine kritische Würdigung der in diesem Sinne vergleichbaren drei „großen“ Urtext-Editionen bedarf es somit einer „Blickwinkel“-Entscheidung.

Aus der Sicht von Spielern und Lehrenden sind dies Kriterien wie Notenbild (gute Lesbarkeit, brauchbare Wendestellen), Fingersätze, Ausführungshinweise (zum Beispiel zur Ornamentik), informative Kommentare über die reine Quellenlage hinaus, Handhabung und Ausstattung (zum Beispiel bei der Entscheidung für eine ein- beziehungsweise zweibändige Ausgabe etwa der Mozart’schen Klavierstücke, ein Auswahlband oder eine Einzelausgabe). Für den Unterricht sind mit Fingersätzen versehene Notentexte von unbestreitbar praktischem Nutzen. Dieses offensichtliche „Nutzer“-Anliegen hat Bärenreiter zur Herausgabe von entsprechend bezeichneten Einzelausgaben (siehe unten) bewogen.

So unterschiedlich Fingersatz-Prinzipien auch begründet sein mögen, wird man die Bezeichnungen von Martin Kirschnereit aus mehreren Gründen nur bedingt nachvollziehen können und sicher seiner Anregung folgen (müssen), eigene Alternativen zu entwickeln. (Das dürfte allerdings den Text streckenweise optisch noch zusätzlich überladen.) Prinzipiell eher sparsam gesetzt und erkennbar einem „sprechenden“ Mozartspiel verpflichtete Fingersätze sind bei aller Unterschiedlichkeit den Neuausgaben von Henle und Wiener Urtext zu attestieren.

Wer die d-Moll-Fantasie mit der Bärenreiter-Einzelausgabe erarbeiten möchte, sieht sich bedauerlicherweise einem nicht sehr lesefreundlichen Druckbild gegenüber, zudem wäre bei einer Neuausgabe im Allegretto-Teil zweifellos auch eine bessere Wendestelle zu realisieren gewesen. Das Vorwort zur Lied-Vorlage der Variationen fällt eher philologisch lapidar aus. Ganz anders in der Neuausgabe des Henle-Verlages (4): Darin wird nicht nur ausführlich die Geschichte der Melodie bis ins 20. Jahrhundert nachgezeichnet, sondern damit bekannt gemacht, dass in dem Lied „Ah, vous dirai-je Maman“ ursprünglich von der Irritation des ersten Verliebtseins eines jungen Mädchens die Rede war, dem ein junger Mann einen Kuss raubte – ohne dass ihr Hündchen zur Hilfe kam.

Alle drei Editionen der „Klavierstücke“ sind größtmöglicher Vollständigkeit aller nach neuestem Kenntnisstand zugänglichen und als authentisch belegten Werke und Fragmente verpflichtet.

Sie unterscheiden sich am ehesten in der Systematik der Zusammenstellung. Gerade auch die oft nur wenige Takte umfassenden Fragmente (kompositorische „Sprungbretter“ nennt sie der Mozart-Biograf Einstein) bieten „Kennern“ wie „Liebhabern“ das Vergnügen, Einblick in die kompositorische Entwicklung Mozarts in seiner gesamten Lebensspanne zu bekommen. Eine echte Bereicherung des Repertoires auf der „mittleren Ebene“ stellt das von Michael Töpel bei Bärenreiter herausgegebene und nach erst in den 1980er-Jahren wieder aufgefundenen Quellen ergänzte Konzert-Rondo A-Dur dar (5). Von Mozart ursprünglich mit einer Orchesterbesetzung mit Streichern, zwei Hörnern und zwei Oboen vorgesehen, handelt es sich bei dieser Veröffentlichung um eine Solo-Fassung des im 19. Jahrhundert wirkenden Komponisten und Pianisten Cipriani Potter. Die pianistischen Anforderungen (Skalen, Arpeggien, auch Kreuzen der Hände) sind in den Solo-Partien etwa mit denen mittelschwerer Mozart-Sonaten vergleichbar. Die Tutti-Partien sind vollgriffiger mit längeren Oktavenpassagen. Auf Fingersätze hat der Herausgeber verzichtet. Da zu diesem Werk keine authentische Kadenz überliefert ist, hat Michael Töpel eine solche beigesteuert. Taucht man ein in die Welt Mozart’scher originaler Eingänge und Kadenzen zu Klavierkonzerten, die bei Bärenreiter vorliegen (6), hätte man sich einen Kadenzvorschlag mit ein wenig mehr Spiellaune und modulatorischem Raffinement vorstellen können.

(1) Variationen „Ah, vous dirai-je Maman“ KV 265 (Hrg. K. von Fischer), BA 5765
Fantasie in d KV 397 (Hrg. W. Plath), BA 6754
Sonate C „facile” KV 545 (Hrg. W. Plath/ W. Rehm), BA 5763
(Alle drei Einzelausgaben mit Fingersätzen von M. Kirschnereit)
Einzelstücke für Klavier, revidierte Neuausgabe 2001 (Hrg. W. Plath), BA 5745

(2) Klavierstücke – revidierte Ausgabe 2006 (Hrg. U. Scheideler, Fingersätze W. Lampe/A. Groethuysen), Henle 22 (auch als Studien-Edition und als Auswahlband)

(3) Klavierstücke in 2 Bänden (Hrg. U. Leisinger, Ergänzungen und Interpretationshinweise
R. Levin, Fingersätze U. Leisinger/H. Kann/D. Kraus) UT 50229 + 50230

(4) 12 Variationen über „Ah, vous dirai-je Maman“ KV 265 (Hrg. E. Zimmermann, Vorwort U. Konrad, Fingersätze W. Lampe), Neuausgabe 2005, Henle 165

(5) Konzert-Rondo in A KV 386 (Hrg. Michael Töpel), BA 5768

(6) Kadenzen und Eingänge zu den Klavierkonzerten, Revidierte Neuausgabe (Hrg. F. Ferguson/W. Rehm), BA 5337

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