„Unter den österreichischen Künstlern, die im Staatsdienst eine Existenzsicherung fanden […], war Vesque von Püttlingen wohl die einzige echte Doppelbegabung, als herausragender Jurist und Politiker […] und als bedeutender und hochbegabter Komponist […].“ Ludwig Finscher, der Herausgeber der Neuausgabe der Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ (MGG) hat es sich 2006 nicht nehmen lassen, den Eintrag aus der „alten MGG“ von Reinhold Sietz grundlegend zu überarbeiten und zu ergänzen.
Wie gerechtfertigt diese Wertschätzung war und ist, die sich in der Hauptsache auf Vesques ebenso umfangreiches wie bemerkenswert qualitätvolles Werk als Liedkomponist bezieht, haben nicht zuletzt die Ausgaben bewiesen, die in den vergangenen Jahren in der Edition Walhall erschienen sind. Ihr Herausgeber, Martin Wiemer, Jurist und Vesque-Kenner, ist ein unermüdlicher Motor dieser Wiederentdeckung. Dass es sich bei den rund 300 Liedern um ein auch für heutige Interpreten höchst lohnendes Repertoire handelt, hat unter anderem die vor zwei Jahren erschienene Aufnahme der Heine-Vertonungen „Die Heimkehr“ mit Markus Schäfer und Christian De Bruyn bewiesen. Mit knapp 90 Liedern ist dies nicht nur der umfangreichste Liederzyklus der Romantik, Vesque von Püttlingen zeigt darin auch die seltene Gabe, für Heines Ironie und Witz eine adäquate Musiksprache zu finden.
Was die von Ludwig Finscher angesprochene Doppelbegabung betrifft, so nutzte Vesque diese übrigens auch, um sich für „das musicalische Autorrecht“, so der Titel seiner Abhandlung von 1864, einzusetzen. Interessanterweise betrachtete er darin, so Albrecht Dümling in seinem Buch zur Geschichte der GEMA, „vor allem die Melodie als schutzwürdig“.
Eine jüngst erschienene Einzelausgabe macht nun die zwischen 1874 und 1879 entstandene Vertonung von Friedrich Schillers berühmter Ballade „Der Handschuh“ erstmals zugänglich. In ihrem prägnanten, quasi theatralen Zugriff, an dem hier auch der Klavierpart seinen Anteil hat, kann sie durchaus neben Schumanns Version von 1850 bestehen. Mittels eines Harmoniewechsels und Tempodifferenzierungen hebt Vesque die zum Teil als Rezitativ gestaltete, zentrale Handschuh-Szene hervor und setzt mit einem absteigenden Prestolauf plus Triller und Fortissimo-Akkord im Klavier einen markanten Schlusspunkt.
- Johann Vesque von Püttlingen: Der Handschuh, Ballade von Friedrich Schiller, für Bass (Bariton) und Klavier op. 59. Erstausgabe von Martin Wiemer. Edition Walhall EW1206