Arnold Mendelssohn: 6 Choralvorspiele op. 104 für Orgel. Revidierter Nachdruck von 1929. Hrsg. von Jürgen Trinkewitz. Ed. Peters Nr. 3945a.
Im Mendelssohn-Jahr 2009, genau 80 Jahre nach der Erstausgabe von 1929, sind die „Sechs Vorspiele über Choralmelodien, für die Orgel gesetzt von Arnold Mendelssohn op.104“ wieder im Druck erschienen. Arnold Mendelssohn, geboren 1855 in Ratibor/Schlesien, gestorben am 18. Februar 1933 in Darmstadt, war ein Neffe zweiten Grades von Felix Mendelssohn. Er studierte in Berlin am Königlichen Akademischen Institut für Kirchenmusik (Orgel bei Carl August Haupt) und an der Akademischen Hochschule für musikalische Komposition (bei August Eduard Grell, Friedrich Kiel und Wilhelm Tauber). Seine erste Anstellung führte ihn nach Bonn, wo er 1880 Organist und Chorleiter der Evangelischen Kirchengemeinde wurde. Weitere Stationen seines musikalischen Wirkens waren Bielefeld, Köln, Darmstadt und Frankfurt a.M. (am dortigen Hoch’schen Konservatorium zählte unter anderem der junge Paul Hindemith zu seinen Schülern; dieser sollte ihm später sein Bratschenkonzert op. 36,4 widmen). Mendelssohn komponierte geistliche und weltliche Chormusik, etwa 170 Lieder, mehrere Opern sowie Instrumentalwerke (u.a. Sinfonien, ein Violinkonzert, ein Violoncellokonzert, Streichquartette, Sonaten). Die Choralvorspiele op. 104 zeigen einen Komponisten, der in einer Übergangszeit steht zwischen Spätromantik, der frühen Moderne und restaurativen Tendenzen wie der Orgelbewegung. Auch Mendelssohns schon früh begonnene theoretische und praktische Beschäftigung mit den Werken Bachs und Schütz’ schlägt sich hier nieder.
Die Sammlung erschien ursprünglich zwei Jahre nach Mendelssohns Mitwirkung bei der Orgeltagung 1927 in Freiberg/Sachsen und ist Günther Ramin gewidmet. Sie enthält zwei Choralpartiten mit fünf beziehungsweise vier Sätzen (über die Melodien „Wir Christenleut“ und „Morgenglanz der Ewigkeit“), zwei Choraltrios nach barockem Vorbild (über „Christus der ist mein Leben“, mit kanonisch geführten Manualstimmen, und „Wie heilig ist die Stätte hier“) und eine vierstimmige kanonische Bearbeitung in flottem Duktus über „O daß ich tausend Zungen hätte“, dem Stil J.S. Bachs sehr nahestehend. Außerdem ein langsames Choralvorspiel über „Gott sei Dank durch alle Welt“, welches mit seiner Ausdrucksintensität überzeugt. Allen Bearbeitungen gemeinsam ist die souveräne Beherrschung des kontrapunktischen Handwerks. Die verschiedenen stilistischen Einflüsse zeigen sich deutlich in der ersten Choralpartita. Die zweite ist stilistisch einheitlicher. Beide Partiten und auch die folgenden Choralvorspiele stellen eine willkommene und lohnende Bereicherung des Orgelrepertoires für Gottesdienst und Konzert dar.
Die vorliegende Neuausgabe ist ein Nachdruck der Erstausgabe von 1929 und übernimmt den von Arnold Mendelssohn autorisierten Notentext praktisch unverändert. Auch eine „Vorbemerkung“ des Komponisten zur Registrierung ist abgedruckt. Dass Mendelssohns Kompositionen nach seinem Tod kaum noch aufgeführt wurden, ist vor allem eine Folge der nationalsozialistischen „Kulturpolitik“. In diesem Zusammenhang sei auch auf das lesenswerte und ausführliche Nachwort des Herausgebers dieser sehr empfehlenswerten Notenausgabe verwiesen.