Bedrich Smetana (1824–1884): Polkas +++ Isaac Albéniz (1860–1909): Iberia, Zweites Heft +++ Fazil Say (geb. 1970): Drei Balladen
Bedrich Smetana (1824–1884): Polkas. Bärenreiter, BA 9506
Die Polka, ein um 1830 in Böhmen in Mode gekommener Paartanz im Zweivierteltakt, war eine von Smetana bevorzugte Tanzform, die er immer wieder aufgriff und „in die Sphäre anspruchsvoller Kunstmusik“ (Vorwort) hob. In der klavieristischen Verarbeitung heimatlicher Folklore legte er ganz und gar Eigenes und Neues vor. Die Polka poetisierte er auf reizvolle Weise. Die eher robuste Grundhaltung versteht Smetana in mehreren unabhängigen Abschnitten auch durch bezaubernd sanfte, mitunter wehmütige Färbungen zu kontrastieren. Jubelnde Höhepunkte und die orchestrale Wucht, die in ihnen steckt und wo es gar nicht leicht zugeht, verraten nicht nur die Schule des großen Konzertspielers, sie wirken auch vollkommen klaviergerecht. Seine Affinität für kühne, oft unerwartete Harmonisierungen entspringt seiner Schwäche für Modulationen.
Zur vorliegenden Ausgabe gehören Smetanas Polkas op. 7 (Drei Salonpolkas), op. 8 (Drei poetische Polkas), Erinnerungen an Böhmen in Form von Polkas op. 12/op. 13 und schließlich vier „Polkas aus den fünfziger Jahren“, die zu Lebzeiten des Komponisten unveröffentlicht blieben. Auch wenn schon früher die Polkas im Heftformat herausgegeben wurden, haben sie keinen zyklischen Charakter. Am bekanntesten dürften wohl die poetischen Polkas sein, die in verschiedenen Sammlungen präsent sind und der Unterrichtsliteratur zugeordnet werden können. Die Polkas op. 12/13 sind wesentlich anspruchsvoller und ausgedehnter. Wie bereits oben angedeutet, jongliert Smetana mit dissonanten Harmonielösungen, nutzt gelegentlich Alterationen, lässt den Tonika-Bezug offen und spielt mit harmoniefremden Tönen. Er fühlt sich verteufelt wohl in der Materie; seine Stücke wirken nie wie Klavierauszüge. Jan Novotny hat die Ausgabe sorgfältig ediert. Genaue Angaben hinsichtlich Fingersatz- und Pedalgebrauch sowie zum Tempo stammen aus seiner Feder – selbstverständlich unter Berücksichtigung des Originals. Sicher gehören die Polkas nicht zum Repertoire eines jeden Pianisten, dafür hört man sie zu selten. Aber vielleicht rücken sie etwas mehr ins Bewusstsein.
Isaac Albéniz (1860–1909): Iberia, Zweites Heft. G. Henle Verlag, gh 648
Albéniz’ stupende pianistische Begabung sicherte dem Klavier eine Zentralstellung auch im kompositorischen Bereich. Nur noch die Gitarre als spanisches Nationalinstrument durfte sich einmischen; tatsächlich hört man die von ihrer Spielpraxis geprägten Ornamente stets hindurch. „Albéniz hätte seine ,Iberia‘ nicht schreiben können, wenn er wie de Falla mitten in der Alhambra von Granada gelebt hätte“ (H. Collet). Die Nähe zu den Werken Debussys und Ravels und der Verzicht auf Originaltreue des folkloristischen Lokalkolorits bewirkt eine virtuose, weltoffene Aufbereitung verschiedener Techniken der „Hispanismen“. Andererseits verwundert der teilweise nicht handgerechte Klaviersatz. Auch ein zusammenhängender Vortrag des Zyklus’ ist faktisch gar nicht möglich und hat sich auch nicht durchgesetzt.
Die Sammlung „Iberia“ besteht aus zwölf Stücken, die sich auf vier Hefte zu je drei Stücken verteilen. Hier soll näher auf das zweite Heft in der Herausgabe von Norbert Gertsch eingegangen werden. Die wechselvolle Geschichte der Entstehung und Drucklegung wird ausführlich beschrieben. Als Fazit erscheint eigentlich alles offen; auch die Reihenfolge der drei Stücke Rondena – Almeria –Triana war einer ständigen Änderung unterworfen. Die hier übernommene Reihenfolge dient dem Zweck, dem aufführenden Pianisten einen fulminanten Abschluss im vierfachen Forte in die Hand zu legen. Die Titel stehen zumeist in räumlicher Zuordnung: Almeria als spanische Hafenstadt und Triana als berühmtes Zigeunerviertel in Sevilla. Alle drei Stücke wurden im Jahr 1906 abgeschlossen. Während der Einstudierung der Werke durch Pianisten wie Blanche Selva oder Joaquim Malats wurden erneut Revisionen vorgenommen, die Notation wurde „entschlackt“. Gertsch orientierte sich an den autographen Stichvorlagen für diese Ausgabe. Der Notensatz ist lobenswert übersichtlich und es gibt vor Ort hilfreiche Erläuterungen, die eine Einstudierung ohne lästiges Nachschlagen ermöglichen.
Fazil Say (geb. 1970): Drei Balladen. Schott, ED 20269
Die Ballade, die in der Romantik zu einem fulminanten Großwerk ausuferte, dürfte sich bei Say wieder dem literarischen Bezug annähern. Zudem steht er in einer anderen Tradition. Er orientiert sich, seiner Herkunft verpflichtet, am orientalischen Melos. In der Spielbarkeit rückt er eher in die Nähe der in Mode gekommenen Balladen innerhalb der Unterhaltungsmusik, ohne jedoch dieses Niveau einzunehmen. In der ersten Ballade „Nazim“ soll an den türkischen Schriftsteller Nazim Hikmet erinnert werden. Die eher düstere Grundhaltung resultiert aus einem unentwegt vorhandenen Orgelpunkt auf Subkontra-a und einer akkordischen Melodie mit ständigem Tonika-Bezug. Sie wirkt wie ein Hymnus. Die tiefe Tonlage, die Kopplung von vorwiegend synkopisiertem Rhythmus in der rechten beziehungsweise punktiertem Rhythmus in der linken Hand mögen diesen Eindruck unterstreichen. Das monotone Begleitmotiv (a oktaviert über vier Oktaven) gebärdet sich fast drohend. Nur ein kleines Nachsinnen, in dem die rechte Hand den Ton a wie ein Echo bis zur viergestrichenen Oktave imitiert, die Melodie einstimmig und figurativer, auch strahlender wird, bringt eine Zäsur. Nur über dem Grundton e der Dominante geht es molto dramatico im dreifachen Forte zum erneuten Einsatz des Themas, wobei alle „Register“ gezogen werden. Für die Entfaltung des Klangs braucht es ein gutes Instrument, auch für die leisen Töne am Schluss. „Kumru“, die zweite Ballade, scheint eine Liebeserklärung. „Kumru“ heißt Taube und ist auch ein beliebter Mädchenname. Hier wird man an ein Chanson erinnert. Typische Melodieführung in Sexten und figurative Begleitmotive in Klammerdominant-Schritten lassen das Gefühl des schon einmal Gehörten aufkommen. Interessanter dagegen ist „Sevenlere dair“ in h-Moll, sowohl rhythmisch-metrisch als auch motivisch. Das vom orientalischen Minnesang inspirierte Stück hebt auch den Klavierpart durch virtuose Elemente und feine Anschlagskultur.