Stefan Piendl, Thomas Otto (Hg.): Stenographische Umarmung. Sergiu Celibidache beim Wort genommen. 157 Seiten. ConBrio 1155, Regensburg 2002,14,80 Euro.
Stefan Piendl, Thomas Otto (Hg.): Stenographische Umarmung. Sergiu Celibidache beim Wort genommen. 157 Seiten. ConBrio 1155, Regensburg 2002,14,80 Euro.Wenn Fachamateure sagen, dass das Tempo richtig war, so sprechen sie von einer von ihnen in die physikalische Welt projizierte, unprojizierbaren Flut trockenen Wassers, das den Bürgersteig des Schwachsinns entlang aufwärts fließt.“ – Wer so einen Satz, selbst wenn er ihn sich als Replik auf was komme und wolle zurechtgelegt hat, gnadenlos trocken über den Kehlkopf auf die Lippen bringt, kann nicht ganz sprachlos sein. Sergiu Celibidache war nie ganz sprachlos, auch wenn ihn Ereignisse des kulturellen Lebens immer wieder dazu drängten. Vor zehn Jahren ist er gestorben und konnte sich nicht mehr wehren gegen die CD-Veröffentlichungen der Mitschnitte seiner Aufführungen. Sicher hat der Listige solches vorausgesehen, als Schwäche der Menschheit gegenüber den ehern festgelegten Prinzipien. Die hießen: Musik ereignet sich, sie entsteht und vergeht in einem Raum, ist an ihn und mit ihm an die Zeit des Klingens gebunden. Jede Konserve davon hinterlässt schalen Geschmack, ist Betrug an der Musik und am Menschen.Widersprüche allenthalben. Kritiker waren für Celibidache „Nullitäten“ oder Analphabeten der schlimmen Sorte, die schreiben und lesen können. Gleichwohl lag ihm die Hälfte der Kritik zu Füßen, während die andere nichts lieber tat, als ihm auf dieselben zu treten. Mit verbalen Gesten verscheuchte er sie wie lästige Fliegen. Widersprüchlich auch dies: Celibidache ist einer der wenigen Musiker (den Begriff Interpret hasste er wie ein Krebsgeschwür), deren Bedeutung nicht am hinterlassenen Werk zu messen ist (hier beißt sich ohnehin die Katze in den Schwanz, denn Celi leugnete, dass man Aufführungen hinterlassen kann). Was Celibidache den Menschen zu geben versuchte, war ein Begriff davon, was Musik überhaupt sein kann. Mit dem Ingrimm der Allesverachtung verteidigte er ihre Würde, ihre flüchtige Entität, die nur ein klebriges Bewusstsein zu archivieren und zu verwalten sucht.
Viel von diesem Ingrimm ist in dem kleinen Buch festgehalten. Piendl und Otto haben aus Interviews mit Celibidache markante und markige Zitate gesucht und es nimmt nicht wunder, dass sie in reichem Maße fündig wurden. Die Zitate wurden zu einem lockeren Strauß gebunden, nach thematischen Umfeldern wie „Celi über Kollegen, Celi über Komponisten , Celi über die Orchester“ et cetera (insgesamt 17 Themenbereiche) zu einem Bukett scherz- wie schmerzhafter Äußerungen gebunden. Celis Gegner werden weiterhin sagen: alles ist falsch, seine Parteigänger hingegen: alles trifft den Punkt. Celi, der Fischprediger wie der heilige Antonius (aber Mahler mochte er ja auch nicht). Macht nichts, vielleicht kann man einfach immer wieder in dem Bündel der spitzen Anmerkungen herumstöbern. Um sich über den Wortwitz zu freuen oder, weit besser, um mitzukriegen, dass hier ein besessen Begeisterter von Musik spricht. Denn unser Musikleben braucht nichts mehr, als dem klingenden Ereignis seine Würde zurückzugeben. Viele der losen Anmerkungen Celibidaches fordern tiefgründig dazu auf.