Gabriel Fauré: Premier Quintette op. 89 pour Deux Violons, Alto, Violoncello et Piano. Édition critique de Roy Howat. Klavierpartitur und Stimmen. Hamelle/Leduc HA 9690.
Vor genau 100 Jahren fertiggestellt und 1906 vom Ysaÿe-Quartett mit dem Komponisten am Klavier in Brüssel aus der Taufe gehoben, noch erfolgreicher in Paris kurz danach vom Quatuor Capet aufgeführt, fand jetzt endlich seine verdiente neue Würdigung durch die kritisch kommentierte Neuausgabe beim ursprünglichen Verleger Hamelle in Paris. Aber Fauré war damals mit Hamelle nicht zufrieden und übergab deshalb das Werk ein Jahr später dem Publisher Schirmer in New York, wo es aber wegen zwischenzeitlich gewünschter Reprint-Korrekturen Irritationen gab und so wurde das Werk schließlich 1974 aus dem Verkauf genommen. Der ursprüngliche Verleger Hamelle konnte nun in unseren Tagen die Sache wieder gut machen und initiierte eine gediegenere und verlockende Neuedition dieses Klavierquintetts. Für diese unternahm der Musikologe und Pianist Roy Howat den Rückgriff auf alle verfügbaren Quellen, wertete die verschiedenen Revisionen Faurés und die gesammelten aufführungs-praktischen Eintragungen von etlichen Interpreten aus. Von dieser neuen Druckversion des Werkes kann man annehmen, dass sie den Intentionen des Komponisten so nahe wie möglich kommt. Fauré, dieser Komponist des Übergangs zwischen Romantik und den impressionistischen Strömungen der Zeit, war und ist im Gegensatz zur Einschätzung in unseren Gefilden in Frankreich hochbeliebt und genauso bevorzugt wie Debussy und sein Schüler Ravel. Bei diesem Quintett mit einer wunderbaren musikalischen Balance zwischen Klavier und Streichern beweist er sich als Exponent der (französischen) Klavierkammermusik. Hier ist sein sehr eigener und unbeirrbarer persönlicher Ausdruckswille zu erkennen. Um diesen zu demonstrieren, erlaubt er sich zunehmende Freiheiten von traditionellen klassischen Formtypen und entfernt sich von funktionellen harmonischen Bindungen im Interesse bestimmter, gewollter Farbwerte. Besonders originelle Stilmittel sind auch wiederkehrende rhythmischer Motive, die den beiden spritzigen Ecksätzen eine fortschreitende, elegante Bewegung verpassen, während der gesangliche Mittelsatz durch die geschickte polyphone Führung verschiedener thematischer Motive eine hohe Klangintensität erreicht. Jahrzehntelang war dieses eindrucksvolle Opus nicht greifbar. Es wartet nun auf Wiederbelebung in unseren Kammermusiksälen.