Das Pianobuch – Klaviermusik für Neugierige, Band 1, Hrsg. Sibylle Cada und Thomas Peter-Horas. Peters EP 10906a
Ganz neugierig blättere ich im Inhaltsverzeichnis und finde eine bis dahin eher ungewohnte Zusammenstellung, nämlich Klavierstücke von Chick Corea direkt neben Georg Friedrich Händel, von Arvo Pärt neben Domenico Cimarosa, von John Cage neben Edvard Grieg. Insgesamt sind in diesem ersten Band 72 Originalkompositionen von 60 Komponisten vertreten, im Zeitraum vom 16. bis zum 21. Jahrhundert. Inhaltlich findet sich Altbewährtes, aber auch ganz Neues, sehr Bekanntes steht neben Unbekanntem. Herausgekommen ist eine sehr schöne Sammlung kurzer Klavierstücke, meist von ein bis zwei Seiten, die interessanterweise nicht chronologisch, sondern nach Themen und nach Schwierigkeitsgrad zusammengestellt sind.
Es gibt vieles zu entdecken: So finden sich Komponisten wie Turina, Albeniz, Skrjabin, Cesar Franck und Milhaud, die in solchen Sammlungen bisher kaum vertreten waren, dann aber gibt es auch Bewährtes von Bach, Haydn, Mozart und Schumann. Dazu kommen eigens für dieses Heft neu komponierte Klavierstücke in verschiedenen Stilrichtungen. Das Wichtigste dabei ist aber: Jedes einzelne Stück ist schön, auf seine Weise interessant und lässt sich gut im Unterricht verwenden!
Sibylle Cada und Thomas Peter-Horas haben hier beispielhaft gezeigt, wie man Unterrichtsliteratur zusammenstellen kann. Das „Pianobuch“ ist eine Sammlung, die in vielerlei Hinsicht Maßstäbe setzt und überdies auch noch in den verschiedensten Altersgruppen von Kindern bis zu Erwachsenen einsetzbar ist, also nicht nur für eine einzige Zielgruppe gedacht ist.
Auch das Layout stimmt: Das Notenbild ist klar und sehr übersichtlich. Die Fingersätze sind gut durchdacht, im Vorwort finden sich wichtige Hinweise zur Interpretation, zu Dynamik, Artikulation, zum Pedal und zu den Fingersätzen. Im Anhang sind Erklärungen zu den einzelnen Stücken und Kurzbiographien sämtlicher Komponisten abgedruckt. Was will man mehr? Oder: Was wollen wir noch? Ein Klavier – zum sofortigen Ausprobieren, natürlich!
Friedrich Kiel (1821–1885): Zwei kleine Sonaten (Sonatinen) für Klavier zu vier Händen, op. 6 (1850). Edition Dohr 99693
Friedrich Kiel (1821–1885): Leichte vierhändige Klavierstücke op. 13 (1856). Edition Dohr 26369
Friedrich Kiel (1821–1885): Ländler op. 66 (1871/76) für Pianoforte zu vier Händen. Edition Dohr 26374
Der westfälische Komponist und Musikpädagoge Friedrich Kiel, geboren 1821, erhielt ab 1835 seine musikalische Ausbildung am Hofe des musik-liebenden Fürsten zu Wittgenstein-Berleburg. Kiel komponierte schon früh und wirkte in jungen Jahren bereits als Hofkapellmeister und Musikerzieher der Fürstenkinder. Mit 21 Jahren konnte er dank eines Stipendiums des Fürsten in Berlin Musik studieren. Danach war er jahrelang freischaffender Komponist, Pianist und Pädagoge, bis er als Professor für Komposition erst an das Sternsche Konservatorium Berlin, kurz danach an die neu gegründete Hochschule für Musik Berlin berufen wurde. Zu seinen zahlreichen Schülern zählen unter anderem Ignaz Paderewski, Charles Stanford und Elise Schumann, Tochter von Clara und Robert Schumann. Friedrich Kiel starb 1885 in Berlin an den Folgen eines Verkehrsunfalls.
Kiel hat ein reiches Œuvre hinterlassen: Kammermusik für verschiedene Besetzungen, darunter Klaviertrios, Klavierquintette, Werke für Orgel, zahlreiche Chorwerke, unter anderem zwei Oratorien, und viel Klaviermusik für zwei und vier Hände.
Die drei oben aufgeführten Hefte sind von Christoph Dohr revidiert und neu herausgegeben worden. Zwar gibt es leider keine Fingersätze, das Notenbild ist aber sehr übersichtlich und angenehm zu lesen. Primo und Secondo sind übereinander gedruckt, so dass beide Spieler den jeweils anderen Part gut verfolgen können. Bei allen drei Heften sind Primo- und Secondopart meist im ähnlichen Schwierigkeitsgrad, der Secondospieler sollte allerdings Oktaven greifen können.
Die „Sonaten (Sonatinen) op. 6“ sind noch im klassischen Stil komponiert und stilistisch und von der Schwierigkeit her in etwa mit Beethovens vierhändiger Sonatine D-Dur op. 6 zu vergleichen. Die erste Sonatine ist einsätzig und steht in D-Dur, die zweite – zweisätzig – in F-Dur. Primo und Secondo sind thematisch untereinander verzahnt, der Klaviersatz klingt und liegt gut. Das Zusammenspiel ist nicht immer ganz einfach: In der zweiten Sonatine müssen Triolenketten und Sechzehntelläufe bewältigt werden (allerdings im moderaten Tempo). Wenn man das schafft, macht das Ganze Spaß! Schwierigkeitsgrad: Mittelstufe 1.
Die „Ländler“ op. 66, komponiert um 1870, sind kurze, aber ganz wunderbare, echt romantische Stücke, die – als zwei Zyklen angelegt – sich hinter den einige Jahre früher komponierten Brahms-Walzern op. 39 nicht zu verstecken brauchen. Sie sind zum Teil etwas leichter, vor allem in den ersten Nummern, die auch einzeln gespielt werden können. Diese Ländler sind für mich eine echte Neuentdeckung!
Kiel hatte sie original für Viola und Klavier komponiert und später selbst für „Pianoforte zu vier Händen“ bearbeitet. Der Schwierigkeitsgrad entspricht insgesamt etwa der Mittelstufe. Weite Griffe – Akkorde innerhalb einer Oktave – kommen zwar vor, aber nicht in jedem Stück, und wenn, meist im Secondopart. Ein Heft, das die Anschaffung lohnt!
Auch die „Leichten vierhändigen Klavierstücke“ op. 13 sind eine Bereicherung für den Unterricht. Sie sind etwas leichter als die Ländler, etwa in der Unterstufe 2 bis zur Mittelstufe angesiedelt. Wir finden hier 8 abwechslungsreiche romantische Charakterstücke mit Titeln wie „Kosakisch“, „Ungarisch“, „Lied“ und „Romanze“. Die ersten 7 Stücke sind sehr kurz, circa 24 bis 40 Takte, das letzte, ein Rondo mit der Bezeichnung „Presto“, ist deutlich länger, aber kaum schwieriger. Der Secondopart ist nicht nur Begleitung, sondern hat – wie in den anderen beiden Heften auch – thematisch einiges zu bieten.
Alle drei Hefte sind – trotz der fehlenden Fingersätze – für Unterricht und Konzert, für die Hausmusik und auch für „Jugend Musiziert“ sehr gut geeignet. Es wäre zu wünschen, dass sie eine weite Verbreitung erfahren könnten. Friedrich Kiel – eine Neuentdeckung wert!