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Ein Tastenmännchen rätselt mit wachen Fingern

Untertitel
Neuausgaben des Verlages Breitkopf & Härtel für den Klavierunterricht
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Das Neue ist einzig neu im Abgleich zum Hergebrachten. Neuerscheinungen mit pädagogischer Ausrichtung bedürfen des Abgleichens. Als schlagartig frappante Sichtung von Neuland erweisen sich diese jedoch zumeist nicht. Ein Bündel von Strängen in die Klavierausbildung soll mit der nachfolgenden Auswahl aus dem Programm des Verlages Breitkopf & Härtel festgemacht werden.

Kerstin Strecke: Tio, das Tastenmännchen. Breitkopf Pädagogik, EB 8845

Die Idee, dem Schüler eine „Leit-Figur“ (Maus, Krokodil, Clown oder ein kleines Ungeheuer sind die Vorreiter) an die Hand zu legen, findet mit „Tio“ eine Weiterführung. Kinder brauchen Bezugspunkte, die sichtbar die Wegstrecke abstecken. Tio agiert auf einer Geraden, im immer gleichen Outfit (äußerst liebenswert gezeichnet von der Autorin), was Kontinuität verspricht und nicht ablenkt. Die Beschränkung auf Ein- und Zweizeiler verweist auf Dichte und Übersichtlichkeit. Knotenpunkt ist das c‘ für beide Daumen, der Tonumfang überschreitet nicht die Anzahl der Finger. Es wird also, von zwei Oktavierungen einmal abgesehen, fast ausschließlich in der Mittellage gespielt, allerdings unter Einbeziehung der in der Nachbarschaft befindlichen schwarzen Tasten. Da viele andere Ausgaben in der gleichen Weise verfahren, ist „Tio“ also kompatibel. Die Hände spielen gestaffelt und nur ansatzweise gemeinsam, dann aber gleich dreistimmig. Die Doppelgriffe mit einem gehaltenen Ton und einer fortlaufenden Stimme muten dem Schüler schon einiges zu, was ja durchaus nicht schadet. Jedem der vierzig kleinen Stücke liegt ein Schwerpunkt zugrunde. Mit Bedacht reihte Kerstin Strecke die vielfältigsten Lernschritte lückenlos aneinander. Und das dürfte ein Vorteil sein: Der Schüler erwirbt in Kürze ein solides satztechnisches Wissen, gepaart mit den erforderlichen spieltechnischen Grundlagen, die Dynamik, Artikulation und ansatzweise Lauftechnik mit einschließen. Zudem verraten die Titel schon im Vorfeld nicht nur das „Programm“, sondern auch die zu erwartende Rezeption. Beim Druck wurde auf eine etwas vergrößerte Darstellung des Notentextes geachtet, was die Lesbarkeit enorm erleichtert und ein sicheres Abspielen ermöglicht.

Alexandra Fink: 50 Notenwitze für Fortgeschrittene. MN 13002; 20 Notenkreuzworträtsel. MN 13003

Es ist ein Phänomen unserer Zeit, dass Notenlernen oft zur Last wird. Klavierschulen beginnen in der Regel mit zwei Systemen und zwei Schlüsseln, was durchaus der richtige Ansatz ist. Eine Klavierschule kann aber das erforderliche Training zum Erlernen der Noten nicht erbringen. Andrea Fink gibt den (lernfaulen) Schülern nun zwei Hefte in die Hand, die auf kurzweilige Art in die Geheimnisse der Notenschrift einführen. Es wird also spannend. Wenngleich die Idee, Wörter in Notenschrift zu verfassen, nicht neu ist: Witze müssen erzählt werden und beschränken sich nicht auf einzelne Wörter. Auch bei den Kreuzworträtseln will das Lösungswort gefunden werden – vorher gibt man nicht auf. In beiden Ausgaben wird zuerst getrennt im Violin- und Bassschlüssel geübt, dann aber auch in Kombination miteinander.

Bettina Schwedhelm: Wache Finger, wache Ohren. Heft 1, EB 8821; Heft 2, EB 8822 (plus Lehrerkommentar BV 476)

Elementare Klaviertechnik ist ein Fixpunkt in der Klavierausbildung. Was früher in Drill ausartete, fällt heute gern dem Spielspaß zum Opfer. In der Tat hält wohl jede Klavierschule heute Fingerübungen bereit. Übungen, die den Schülern kontinuierlich und progressiv spieltechnisches Rüstzeug an die Hand geben, würden aber den Rahmen eines jeden Lehrwerks sprengen. Historisch befrachtete Beispiele von stupiden Aneinanderreihungen sind heute pädagogisch nicht mehr vertretbar. Im Wust der vielfältigen Alternativen sinnvoll auszuwählen, ist zudem kaum realisierbar. Bettina Schwedhelm möchte nun „Ordnung schaffen“ und „einen für die Unterrichtspraxis gangbaren Weg aufzeigen“. Dieser beinhaltet zuvorderst die Schulung des musikalischen Hörvermögens – im Titel erkennbar platziert. Das Zusammenwirken beider Komponenten versteht sie ganz richtig als „Weichenstellung“. Der Schüler wird konstant in alle Lernschritte mit einbezogen, bekommt Angebote und Tipps, die verständlich, auch farbig illustriert, dargeboten werden. Kleine Ein- und Zweizeiler als Metaphern für das zu Erlernende bergen ein psychologisches Moment, das die technischen Übungen nicht als solche erscheinen lässt. Schwedhelm schrieb die Miniaturen zumeist selbst, um passgenau arbeiten zu können, bindet aber auch Originale anderer Komponisten mit ein (erfreulicherweise auch aus dem weithin unterschätzten „Mikrokosmos“ von Bartók). Ganz behutsam nähert sie sich den Aufgaben, die den Eindruck erwecken, als wären sie auf Vollständigkeit geprüft worden. Alle technischen Details finden Beachtung. Der Lehrerkommentar zielt in erster Linie auf Pädagogen, die noch über wenig Berufserfahrung verfügen und auch methodische Hilfestellung wünschen. Die Angaben in den Schülerheften werden hier präzisiert, ergänzt und begründet. Eine beiliegende DVD verbildlicht das Gesagte, wirkt aber etwas unsinnig. Hier ist der Pädagoge als Vorführender in der Pflicht.

Michael Proksch: Piano Poetry. EB 8840

Es hat ein wenig von Wellness-Kultur, die hier Platz zu greifen sucht. Michael Proksch verspricht im Vorwort, Ausgleich zu den Anforderungen des Alltags schaffen zu wollen. Selbst wenn man diesem Trend folgen will, sollte man doch mehr erwarten dürfen. Es besteht die Gefahr, und sie scheint weit größer als die in Aussicht gestellte Entspannung (sofern sie überhaupt eintritt), dass das auf Weitung gerichtete Wollen künstlerischen Tuns heruntergefahren und weggeblendet wird. In 43 Miniaturen adaptiert ­Proksch Stimmungen, die in der Klavierliteratur ein niveauvoll-vergnügliches Pendant haben. Den Vorbildern getreu wechseln charakteristische Merkmale, die die entsprechenden Spielweisen nach sich ziehen. Eine beiliegende CD lässt sich vor- und anhören. Wer Gefallen an eingängigen Melodien findet und schon Grundkenntnisse im Klavierspiel erworben hat, kann „Piano Poetry“ testen.

Igor Jussim: Städte & Rhythmen. EB 8835

Für Klavier zu vier Händen komponierte Igor Jussim zwölf Tänze, die anhand  spezifischer rhythmischer Strukturen ihre Herkunft preisgeben. Meist werden Städte oder landschaftliche Areale mit ihnen in Verbindung gebracht. Die Vielfalt rhythmischer Muster verlangt einige Sicherheit hinsichtlich der spieltechnischen Umsetzung, aber auch eine gewisse Hörerfahrung. Jussim ist sehr versiert vorgegangen. Der vierhändige Satz verrät Stilsicherheit, unterlässt bloßes Nachäffen und verweist auf Spielerfahrung. Beide Parts bewegen sich im gleichen gehobenen Level, wobei im Secondo Oktav- und Akkordspiel vorherrschen, für das eine entsprechend große Hand gebraucht wird. Neben dem Wiener Walzer oder der böhmischen Polka, der Tarantella oder Milonga stehen der „Oberpfälzer Zwiefacher“ mit seinen metrischen Wechseln, der Chasapo­servikos als Verwandter des Sirtaki und ein Odessaer Klezmer als eher Unbekannte. Aber auch der Valse Musette oder der Canto gitano mit den ihnen eigenen melodischen Fließbewegungen sind vertreten. Einführende Texte zu den einzelnen Tänzen schrieb Bernd Clausen. Er gibt nicht nur Hinweise zu Merkmalen und lokalem Umfeld, sondern erläutert auch das rhythmische Gefüge konkret und stellt es zur Ansicht.

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