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Falsch klingende Reibung und melancholische Färbung

Untertitel
Neue Ausgaben mit Klaviermusik von E.T.A. Hoffmann und Jean Sibelius
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Jean Sibelius (1865–1957): Sechs Impromptus op. 5 *** E.T.A. Hoffmann (1776–1822): Sonaten

Jean Sibelius (1865–1957): Sechs Impromptus op. 5, Edition Breitkopf 8175

Vermutlich im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts komponierte Sibelius die sechs Impromptus. Die Opuszahl 5 allerdings findet sich erstmals 1905 in einem von Sibelius selbst zusammengestellten Verzeichnis. Für das Klavier entstanden mehr als 150 Stücke; eine beachtliche Zahl, wenn man berücksichtigt, dass Sibelius dieses Instrument eigentlich nicht mochte. Gelegentlich schrieb er für seine Kinder oder eben in seiner „Freizeit“, zum Broterwerb. Auch die Salons wollten mit (Klavier-)Literatur beliefert werden – Sibelius fürchtete um seinen Ruf.

Die Distanzierung von seinem eigenen Klavierwerk beförderte logischerweise nicht dessen Verbreitung und hinterließ spürbare Auswirkungen bis in unsere Tage. Im Umfeld des 50. Todestages des finnischen Komponisten 2007 gibt der Verlag Breitkopf & Härtel die Gesamtausgabe heraus und widmet sich besonders der Publikation des Klavierwerks. Im Zuge dessen erschien 2002 die von Kari Kilpeläinen herausgegebene Ausgabe, die auf den Erstdrucken basiert und übrigens auf jegliche Fingersatzangaben verzichtet.

Die Impromptus könnten unterschiedlicher nicht sein, sowohl in der Thematik, im Charakter, als auch im technischen Anspruch. Molldurchtränkte Harmonik korrespondiert mit Kirchentonleitern, das Melodiöse steht im Vordergrund. Im Impromptu 1 wird ein achttaktiges harmonisches Gerüst mit gleichen Notenwerten, ruhig schreitend, gebaut. Beim Einsatz des Themas werden diese Bausteine nicht deckungsgleich angeordnet, so dass die Achttaktigkeit verloren geht. Interessant ist innerhalb des g-Moll-Themas der Wechsel zwischen f (B-Dur) und fis (D-Dur) unter gleichzeitiger Verwendung von d-Moll: Es gibt keinen wirklichen Ruhepunkt in der Dur-Dominante.

Das Impromptu 2 dagegen, auch in g-Moll, beginnt mit einem Wechsel Tonika/Dominantsept in der Lento-Einleitung. Im Verlauf des nachfolgenden lebhaften Teils löst Sibelius die zwei Vorzeichen auf und es entstehen dorische und lydische Leitern. Im Piu-vivo-Teil ist ein Kreuz vorgezeichnet, ein reines G-Dur wird aber nicht gespielt. Die Harmonien duellieren sich als Tonika und Dominante mit Schwerpunkt auf C. Auch im Schlussteil wird nur in den letzten Takten über D-Dur die Tonart g-Moll festgeschrieben. Auch die anderen Impromptus erfreuen sich harmonischen Experimentiereifers.

Im Impromptu 3, mit einem alla-marcia Akkord-Thema in a, fallen lang gehaltene Orgelpunkte auf (im Mittelteil auf der Tonika, im Schlussteil auf der Dominante). Damit verbunden sind große Sprünge in der linken Hand bei gleichzeitigem Akkordspiel der rechten.

Auch im vierten Stück startet Sibelius nicht in der Grundtonart: Der Wechsel von a-Moll und e-Moll mündet in einen dissonanten Nonenakkord über a, mit Fermate über dem Taktstrich – erst dann begibt er sich auch hier über die Dominante nach e-Moll. Sogleich wird ein cis eingebaut, welches den Subdominantbezug zu stören beginnt. Der Akkordaufbau wird immer fülliger, die Reibungen extremer, der Klaviersatz figurativ, mündend in ein fulminantes Forte in e.

Ganz anders geartet stellt sich das fünfte Impromptu dar. Schon das Notenbild verrät impressionistische Einflüsse. Es beginnt sehr leise mit aufgelösten übermäßigen Septakkorden mit Umkehrungen, jeweils von der linken Hand imitiert, in lebhaften Sechzehnteln. Eine Melodie in großen Notenwerten wird oktaviert eingesponnen. Diese begibt sich auch mal in die linke Hand, aber nicht als Oktavmelodie, sondern in Form von Doppelgriffen über a. Dieses Impromptu dürfte wohl als das schwierigste des Zyklus' angesehen werden, auch ist es das längste. Abschließend darf gesungen werden, auch wenn Sibelius der Ansicht war, das Klavier könne nicht singen. In ruhigem 6/4-Takt schwebt die Melodie dahin, zart „gezupft“ von der linken Hand begleitet. Nach dem Einstieg in E-Dur entschließt sich Sibelius doch zu einem Wechsel nach e-Moll, was dieser Melodie auch besser steht und sie melancholisch färbt.

Die Vorzüge der Stücke erschließen sich sicher nicht auf den ersten Blick; wenn sie mehrmals gespielt wurden, mag man sie nicht mehr weglegen …

E.T.A. Hoffmann (1776–1822): Sonaten, Schott, ED 20216

Hoffmanns Werkverzeichnis enthält nur fünf Sonaten für Klavier, die allesamt hier, neben einer Vorveröffentlichung 2006 mit ausführlichem Vorwort und Kritischem Bericht, neu aufgelegt wurden. Die Sonate in A-Dur lässt sich um 1805 datieren, eine eindeutige Zuordnung zu Hoffmann als Autor wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts möglich. Weitere vier Sonaten in den Tonarten f, F, f und cis preist der Komponist in einem Brief an den Leipziger Musikalienhändler Kühnel als Stücke an, die „im ältern Styl verbunden mit dem freundlicheren melodischem Schwunge der Neuern gesetzt“ seien, nach welchem sich „viele Clavierspieler, die indignirt von den leeren Tiraden der neuern Klavierkomponisten“ sind, sehnten (Vorwort). In der Tat meint Hoffmann die kontrapunktische Setzweise, der er sogar eine gewisse mystische Qualität zuschrieb. Ein weiterer Grund könnte der Appell des Schweizer Verlegers Nägeli sein, „kontrapunktische Sätze mit Klavierspieler-Touren“ zu verweben. Was erwartet uns nun konkret? Bei der Beschäftigung mit dem Text stellen sich gleich Irritationen in mehrfacher Hinsicht ein. Die im Vorwort mit „häufig falsch klingenden Reibungen“ artikulierten unsäglichen Dissonanzen sind absolut geschmeichelt.

Auch der Hinweis darauf, dass Hoffmann ohne Instrument komponieren musste, beruhigt da nicht. Stellt sich weiterhin die Frage, wer dies aktuell geübt haben mochte oder auch anhören wollte? Sicher gibt es in den langsamen, eher barock anmutenden Sätzen (fast versöhnlich mit „Melodie“ überschrieben) auch klangschöne Motive, dankbare pianistische Ansätze und gutgemeinte melodische Abläufe in den schnellen Sätzen. Aber wer hat Lust, über siebzehn Seiten (plus Wiederholungen) eine Sonate zu üben, die noch nicht einmal „schön“ klingt? Vielleicht gibt es Besessene, die das Wagnis eingehen, oder Liebhaber, die fern aller populären Klassik einmal Neuland betreten wollen.

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