Der Verlag Helm & Baynov in Kempten hat sich in seinem Notenangebot mit besonderer Aufmerksamkeit Klaviermusik für mehr als einen Spieler zugewandt. In der Besetzung reichen Varianten von vier bis sechzehn Händen an einem oder zwei Klavieren. Zahlenmäßig deutlich an erster Stelle liegen die Stücke für sechs Hände an einem Klavier. Der jüngste Verlagskatalog nennt in dieser Gruppe mit 31 Komponisten 53 Werktitel. Einige wenige nur sind Bearbeitungen. Die uns in einer Auswahl vorliegenden Noten- ausgaben vermitteln einen Einblick in das durchaus auf Abwechslung bedachte Angebot des Verlags in dieser sechshändigen Klaviersparte.
Ch. Henri Felix: Danse Campagnarde pour les petits enfants, HB 1015
Das in klassischer Tonsprache angelegte Stück mit einfachsten Melodiestrukturen pendelt liebevoll konfliktfrei zwischen G-Dur und verwandten Moll-Tonarten. Es ist auf Anfänger zugeschnitten, die die Begren- zung des Fünftonraums hinter sich gelassen haben. Manchmal könnte ein Fingersatz hilfreich sein.
Carl Czerny: Fantasie de A. Delasseurie sur un air suisse op. l7, HB 1017
Unter acht Werken Czernys, die in dieser Besetzung im Verlagskatalog angegeben sind und, soweit es nachzuprüfen war, als Originale im sechshändigen Metier zu gelten haben, wird hier ein Beispiel vorgestellt. Die Fantasie ist ein musizierfreudiges Stück, das den Spieler in der Mitte, Secondo, spürbar zum Lenker des musikalisch-strukturellen Geschehens macht, während Primo im hohen Diskant virtuos herausgehoben schnellste Schleifen am Klavierhimmel zieht. Der Dritte im Bunde unterstützt im Wesentlichen die Klangunterfütterung im Bass. Der oft zu Unrecht an den Pranger gestellte Etüden-Meister hat hier ein spielenswertes Stück geschaffen. Gekoppelt an die Tempovorgabe liegen die technischen Anforderungen bei mittelschwer (Terzo), schwierig (Secondo) und sehr schwierig (Primo). Bei den Angaben zur Pedalisierung war der Herausgeber einige Male etwas zu vorsichtig.
Charles Jean-Baptiste Steiger: Quatre Petites Pieces, HB 1024
Der 1919 verstorbene Komponist steht ebenfalls in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Die vier Stücke sind in der Notenausgabe als zwei Suiten mit jeweils zwei kurzen Sätzen ausgewiesen: Gebet (Prière) und Tarantella, Glockenspiel (Carillon) mit Tyrolienne. Diese Stücke eignen sich für Schüler im Unterstufenbereich. Sehr leicht ist die Partie für Terzo.
Heinz Benker: Marcia Festiva, HB 1014
In seiner eigenen Charakterisierung trifft der Komponist sehr gut, was es von den Spielern zu realisieren gilt, dass der Marsch „mit einem lustigen Augenzwinkern zu verstehen“ sei und in seinem rhythmischen Impetus „verwandtschaftliche Bezüge zum Jazz“ zeige, „also nicht marschiert, sondern getanzt werden“ soll. Und wenn das Tempo nach den angegebenen schon respektablen Metronom-Angaben „nach Lust und Laune“ – besser: nach Lust und Können! – noch beschleunigungsfähig sein könne, dürfte der technische Anspruch sicher bei „schwierig“ liegen.
Siegfried Burger: Drei flotte Bienen, HB 1012
Mit dieser Überschrift und entsprechenden Untertiteln in der dreisätzigen Folge: Allegro, Andante (doch schaut, so zart sind wir) und Toccata (aber bei uns beißt ihr auf Granit), wird die Phantasie der Spieler in Richtung Programmmusik gelenkt. Im ersten Allegro summen die Bienen sehr eindrucksvoll auf zwei pentatonischen Klangschienen. Da könnte eine bei Piano-Spiel auf den Tasten geschickte dichte Pedalisierung (Die Pentatonik macht es möglich!) den Eindruck des
Bienensummens unterstreichen. Für alle Spieler ist die Schwierigkeit in den drei Stücken unterschiedlich, „leicht“ (Terzo im Andante „sehr leicht“) bis „schwierig“.
Karl-Heinz Pick: Suite zu Dritt, HB 1045
Polonaise, HB 1046
Die beiden Werke des Leipziger Musikers verinnerlichen quasi eine Momentaufnahme aus der Zeit von vor 20 Jahren in der früheren DDR mit Einblick in klavierpädagogische Arbeit. Die Entstehung der Suite und deren Uraufführung durch eine Schülergruppe 1986 in Leipzig hat offensichtlich den Auftrag zur Polonaise ausgelöst, die zwei Jahre später bei einem Musikschultreffen in Magdeburg zum ersten Mal erklang. Vier hübsche Zeichnungen der Tochter des Komponisten auf der ersten Seite des Notenbandes zu den kurzen Stücken der Suite, „Katzenbär“, „Lied ohne Worte“, „Tanz der Vogelscheuchen“ und „Pinocchio“ unterstreichen das auf entsprechende Zielgruppen gerichtete Anliegen von Pick. Erstaunlich bei einem Vergleich mit den Komponisten der vorausgegangenen Stücke aus Bayern und Württemberg (Die Jahrgänge der drei Musiker liegen dicht beieinander!) ist zu beobachten, dass der Leipziger in seiner musikalischen Ausdrucksweise unkonventioneller und freier erscheint als die Süddeutschen. Positiv zu bewerten ist auch einmal der Druck in Partiturform, zum anderen das Vorhandensein von Einzelstimmen, die auf dem Notenpult nebeneinander gestellt werden können, ohne dass sie während eines Stückes gewendet werden müssen. Die technischen Anforderungen liegen im Übergangsbereich
zu mittelschwer.
Zur Polonaise: Pick nennt sie „Hommage à Frédéric Chopin“. An die berühmte Polonaise in A-Dur wird –verfremdet – an einer Stelle erinnert. Im Übrigen lässt Pick seine Inspiration in jeder Hinsicht eigene Wege gehen. Das Stück erfordert fortgeschrittene Spieler.
Tomislav Baynov: Metrorhythmia I, HB 1031
Mag am Ende des kompositorischen Prozesses und einer entsprechenden Interpretation eine künstlerische Botschaft vernehmbar werden, so richtet sich bei diesem Klavierstück der Ruf an drei technisch höchst geschulte Spieler, die zuerst, jeder einzeln, ihre Partien quasi in sportlichem Training auf Höchstleistung bringen müssen, um in einer zweiten Phase zu einem perfekten Zusammenspiel mit den Partnern kommen zu können. In Anbetracht der virtuosen Kompositionsstrukturen mit häufigem Unisono von zwei oder allen drei Spielern zusammen stellt sich diese conditio sine qua non unabdingbar für Werk und seine Realisierung.
Metrorhythmia lebt von Anfang bis zum Schluss von rein motorischen Abläufen gespeist von kleinsten Elementen, die aufgrund ihrer Kürze kaum Motive genannt werden können. Daneben wird eine girlandenförmige Figur in Achteln mitbestimmend, die in der Coda als Ostinato neunmal mit den sechs Händen unisono beeindruckende Schlusssteigerung erfährt, um im zehnten Durchgang plötzlich abzureißen und so zu enden.