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Freitonal strahlend

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Tristan Keuris: Sinfonie in D, 2. Violinkonzert; Yayoi Toda: Violine, Niederl. Rundfunk-Kammerorchester, David Porcelijn; Emergo EC 3940-2, Vertr.: Disco-Center To Brooklyn Bridge; Niederländischer Kammerchor, Residentie-Orchester, Anne Manson; Emergo EC 3939-2, Discocenter Im Dezember vergangenen Jahres starb der holländische Komponist Tristan Keuris 50jährig an Speiseröhrenkrebs. Er hatte sich längst von den ihn umgebenden modernistischen Bewegungen abgesetzt und sich immer unerschütterlicher in seine selbstgeschaffene Welt freier Tonalität in Anknüpfung an die fortschrittlichen Präserialisten vertieft. In den wilden „Movements“ für Orchester (1981) und dem drangvoll fantasierenden Violinkonzert (beides auf Donemus/Peer CD 30) zeigte er sich willens und fähig, an die polyphon-expressive Sinfonik seines großen Landsmanns Matthijs Vermeulen anzuknüpfen. Von 1988 stammt ein unendlich melancholisches Klarinettenquintett, das sich unverstellt zu modal-tonaler Klage bekennt (Emergo CD 3955-2). Das 1990 geschriebene „Passeggiate“ für Blockflötenquartett hat in der essentiellen Konzentration sinfonisches Format und wird vom Loeki Stardust Quartet phänomenal dargeboten (Channel Classics/Helikon CD 8996), und mit ergreifendem Leidensdruck gestaltet John-Edward Kelly die „Canzone“ für Altsaxophon Solo (col legno/Sony CD 31891). Nun sind bei Emergo die ersten zwei Folgen einer Keuris-Edition erschienen. Auf das gleichnamige Gedicht des Symbolisten Hart Crane entstand 1988 „To Brooklyn Bridge“ für 24 gemischte Stimmen, vier Klarinetten und vier Saxophone, zwei Klaviere, zwei Harfen und drei Kontrabässe – ein majestätischer Hymnus, der eine klassisch anmutende formale Psychologie in moderne Klangzustände transformiert. Fast wie ein zeitversetztes Triptychon Monteverdischer Madrigalkunst mutet „L’Infinito“ auf Texte von Giacomo Leopardi an – hier gelingt Keuris die Renaissance verlorengeglaubter ekstatischer Ausdruckswerte. Das eklektizistischere (doch keineswegs epigonale) 2. Violinkonzert von 1995, das das Soloinstrument lyrisch begreift und in mancher Hinsicht auf Berg und Prokofjew referiert, dürfte bei Geigern und Publikum noch sehr beliebt werden. Für mich der Höhepunkt in Keuris’ Schaffen ist die im gleichen Jahr vollendete „Sinfonie in D“, ein Meisterwerk in verdichtetem Ausdruck und gelassener Clarté zugleich - außer dem Schweden Eliasson und dem Finnen Nordgren fällt mir niemand ein, der das Sinfonische heute mit so persönlicher und strahlkräftiger Aussage zu erfüllen vermöchte wie Tristan Keuris. Die Aufführungen, vor allem jene unter David Porcelijn, sind exzellent.

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