Die grundlegende Kraft der Musik keimt aus den Elementen, die von alters her mit der Rolle und dem Ort verbunden sind, den Musik in Form von Tänzen in der Gemeinschaft und im Rahmen von Festtagen und Feiern einnahm. Tasteninstrumente eigneten sich wegen ihres harmonischen Potenzials besonders gut, die melodische und rhythmische Spezifik eines Tanzes einzufangen. Die schier unüberschaubare Vielfalt an Tänzen innerhalb der Klavierliteratur legt darüber Zeugnis ab und auch heute werden Komponisten nicht müde, die Fingerspitzen weiterhin tanzen zu lassen.
Olexandr Moyerer: Tango Diary, AMA Musikverlag, AMA 610461
Der russische Komponist und Pianist Moyerer, geb. 1971, outet sich als Tango-Liebhaber. Die Emotionen des Tanzes treffen auf die russische Seele, die unverkennbar Präsenz zeigt. In 16 Tangos schwingen die Befindlichkeiten des Lebens, mal zackig, zickig, grob, anrüchig, doch auch romantisch verspielt, sinnlich, oder einfach lustig und aus dem Ruder laufend. Das fordert den (kleinen) Klavierspieler, denn er muss dem Geraden des Tanzes ein paar Piekser verpassen, aber auch einen Schleier darum legen können. Damit gehen unterschiedliche Spieltechniken einher, die Präzision erfordern. Die Tangos, die auch auf einer CD nachhörbar sind, sprechen eine so deutliche musikalische Sprache, dass sie erklärende Worte leicht entbehren können.
Michael Schäfer: Tanzkurs, AMA-Verlag, AMA 610464
Der Kursgedanke steht hier eindeutig im Vordergrund: Michael Schäfer verfolgt die Absicht, dem Klavierschüler Tänze aus aller Welt durch die Zeiten hindurch näher zu bringen. Dabei handelt es sich nicht um Originalkompositionen für Klavier, sondern um von ihm erstellte Bearbeitungen. Das tut der Sache keinen Abbruch, denn der Tanz-Klavierschüler erfährt viel Wissenswertes über die Entstehung der Tänze, den Ort und den Anlass der Ausführung und die im Original verwendeten Instrumente. Illustrationen veranschaulichen zudem, wie und in welcher „Tracht“ getanzt wurde. Praxisbezogen erscheint auch die Notenschrift in gut lesbarer Größe. Bei insgesamt 163 vorgestellten Tänzen (auf beigelegter CD in arrangierter Form) erahnt man den Umfang der Ausgabe, die keinen progressiven Charakter trägt und sich im gleichen recht einfachen Schwierigkeitsgrad bewegt.
Gerald Resch: FingerSpitzenTänze, Sikorski, H.S. 1708
Gerald Resch (geb. 1975) bezeichnet seine 13 Stücke als Tänze und meint damit im kindlichen Sinne die Handhabung der Finger, die man zum Klavierspiel unbedingt braucht. Diesem Anspruch wird er auch gerecht, denn den Fingern wird einiges abverlangt. Sie müssen sich gut auskennen auf der Klaviatur, besonders sportlich sein und den Ohren behutsam Signale senden können. Das kindliche Wahrnehmungsvermögen findet ebenso Berücksichtigung wie der Mut zum Klang-Feilen. Dabei gibt es nicht einmal wirklich Neues zu entdecken. Das Neue manifestiert sich im Umgang mit dem bereits vorhandenen Material und lässt aufhorchen. Hier war einer am Werk, der fernab aller Vorbehalte eine Musik für junge Zeitgenossen geschrieben hat, ihnen Freiräume beim Erarbeiten lässt und auf eine CD verzichten kann.
Johann W. Wilms: Walzer, Edition Dohr, E.D. 24117
J.W. Wilms lebte von 1772 bis 1847, wurde im Rheinland geboren und starb in Amsterdam, wohin er als junger Mann ging und bis zum Lebensende tätig war. Wilms gehört zu denjenigen Komponisten, die sich den gesellschaftlichen Umwälzungen ihrer Zeit gestellt haben und daraus Konsequenzen für ihre künstlerische Arbeit zogen. Musik war ein Aushängeschild für das erstarkende Bürgertum. Die enorme Nachfrage nach Literatur vorzugsweise für das Klavier nahm die Komponisten in die Pflicht. Da kam der Walzer gerade recht. Die in der vorliegenden Sammlung gebündelten und von Oliver Drechsel editierten 14 Walzer ließen sich gut in Szene setzen, denn sie wurzeln in der Ländler-Tradition, greifen schlichte harmonische und formale Strukturen auf und bedienen sich einfacher Spieltechnik. Musik für den täglichen Gebrauch, liebenswert und vergnüglich.
Hermann Bendix: Zwei Slavische Tänze, Edition Dohr, E.D. 10264
Im 19. Jahrhundert erschienen zahlreiche Klavierstücke als Druckausgaben für Zeitschriften (als populärstes Beispiel seien die „Jahreszeiten“ von Tschaikowsky genannt). Auch die Slavischen Tänze wurden auf diese Weise verbreitet. Der Titel des Journals „Für´s Haus“ verleitet zum Schmunzeln, denn die Adressaten sind unschwer zu erraten. Hermann Bendix (1859-1935) lebte in Vorpommern und verließ die Provinz nur für seine Studien in Berlin. Neben seinem Lehramt in Zingst wirkte er als Organist und engagierte sich überregional in ganz unterschiedlichen Vereinen. Die Entstehung der Slavischen Tänze ist einer Mode der Zeit geschuldet, in der ungarische oder auch polnische Musik sehr populär war. Auch Bendix war diesem Zeitgeschmack verfallen. Die kurzen Tänze für vier Hände stellen keine hohen pianistischen Anforderungen, auch nicht an das Zusammenspiel, erfreuen sich aber dennoch einer lebhaften Zwiesprache, die zweifelsfrei in Spielfreude ausartet. Lediglich die schnellen Tempi könnten Schwierigkeiten bereiten.
Johann C. H. Rinck: Six Menuets et Trios, Edition Dohr, E.D.27547
Johann Rinck (1770-1846) erhielt seine Ausbildung in der thüringischen Heimat, bevor er in Darmstadt als Organist und Komponist weit über die Grenzen hinaus Bekanntheit erlangte. Die hier vorgelegten Menuette für vier Hände atmen die Luft des Biedermeier. Sie dienten der Unterhaltung im häuslichen Umfeld und sollten eine ständig wachsende Schar an Klavierspielern mit Literatur versorgen. Einfältigkeit war Rincks Sache aber nicht: Mit großem Feingefühl, mit pianistischer Kenntnis und einem Gespür für anspruchsvolles Musizieren ging er ans Werk und bedachte auch die kleinen Eitelkeiten.