In der jüngsten Vergangenheit lassen Neuerscheinungen von Noten für Klavier vierhändig an Vielfalt und Farbigkeit nichts zu wünschen übrig, unabhängig davon, ob es dabei mehr um eine pädagogische Ausrichtung geht oder um ein in erster Linie künstlerisch zu bewertendes Musikstück.
Hans-Jürgen Neuring: KLAVIER-HÄNDIG, Noetzel Edition, 7 Hefte: N3729, 3758, 3829, 3858, 3929, 3958, 4529
Die originelle Wortbildung gab den Titel für eine sieben- beziehungsweise achtteilige Serie im Querformat. Es ist doch bemerkenswert, welche Lebensfähigkeit Diabellis vierhändiges Spielmuster für den elementaren Klavierunterricht nach fast 200 Jahren noch besitzt: ein Part (meist Primo) „bei fest stehender Hand“ im Fünftonraum für den Anfänger, der andere bewegungsfreundlich, vor allem auch klangunterfüttert, lange als „Lehrerpart“ bezeichnet, aber ebenso für einen etwas fortgeschritteneren Schüler möglich, im Allgemeinen noch leicht (wie bei Neuring) bis mittelschwer. Der Komponist und Klavierpädagoge arbeitet in diesem Rahmen mit methodischer Konsequenz und Gründlichkeit. In Heft 1 FÜR ANFÄNGER beginnt es bei Primo mit der Taste C allein zwischen rechts und links wechselnd. Allmählich kommen die anderen Finger hinzu. Erst in Nr. 14 sind alle fünf Finger einbezogen. Manchmal verwundert die Notation, wenn zum Beispiel ein Ces steht, wenn es sich in einer nach C-Dur orientierten Melodie um den Leitton H handelt (Heft I, S. 21). Das tonal orientierte Klangspektrum in Dur und Moll weist schnell in die Richtung, die in den Titeln beziehungsweise Untertiteln der letzten Hefte zum Ausdruck kommt: V Rhythmusbuch – 24 poppige Duostücke, VI Kanonbuch – 24 poppige Préludes & Kanons, VII Popballaden. An Unisono im Fünftonraum für Primo hält Neuring bis Heft V fest. In VI verlässt er bei den Kanons das Unisono-Spiel, bleibt aber noch im Fünftonraum. Erst in Heft VII stößt Primo in den erweiterten Tonraum vor, sofort sehr anspruchsvoll und technisch gefordert. Ein anderes vierhändiges pädagogisch orientiertes Klavierwerk, auch in einer Serie von mehreren Heften (R. Vinciguerra: Crossing Borders, Peters) wird in einer der folgenden nmz-Ausgaben besprochen.
Unter einem in erster Linie pädagogisch zu betrachtenden Nutzeffekt ist auch die folgende Publikation zu würdigen:
Franz Schubert: 33 Tänze für Klavier vierhändig, Heinrichshofen
Vor zwei Jahren wurde an dieser Stelle die Ausgabe von Schuberts 20 Ländlern für Pianoforte zu vier und zu zwei Händen, bearbeitet von Johannes Brahms, vorgestellt (Herausgeber Peter Roggenkamp). Diesmal ist auf eine Variante hinzuweisen, die zum gleichen Thema drei Musiker vereinigt. Peter Heilbut, zugleich Herausgeber, gesellt sich zu den beiden Großen im Vorwort mit den Worten nach Friedrich Schiller: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte.“ Der Notenband enthält wechselnd in der Abfolge angelegt von Schubert original vierhändig die Ländler D 814, zwei aus D 618 und die Polonaise F-Dur D 599; aus der Serie von siebzehn ursprünglich zweihändigen Ländlern D 306, die Brahms für vier Hände eingerichtet hat, nahm Heilbut elf Stücke in seinen Band auf, etwas anders angeordnet und paarweise mit einer Da-Capo-Angabe für die Spielweise versehen (wozu es aber von Heilbut keine Erklärung gibt); Heilbut selbst steuerte aus dem zweihändigen Repertoire Schuberts die Übertragungen von sechs Deutschen Tänzen aus D 783, ein Menuett mit Trio aus D 41, ein weiteres D 599 und sieben Ecossaisen aus unterschiedlichen Serien bei. Man muss – abgesehen von Oktavierungen und kleinen klanglichen Auffüllungen bei Akkorden, die bei diesen Übertragungen im Rahmen des Normalen liegen – bei Heilbut immer mal mit kleinen Veränderungen des Originaltextes rechnen, die oft etwas überraschen, aber eben zu seiner Sichtweise des „com-ponere“ gehören, wie er es immer wieder nannte. Im Allgemeinen leicht bis gelegentlich mittelschwer sind die technischen Anforderungen auf beiden Seiten.
Johannes Brahms: Serenade Nr.1 D-Dur op.11; Serenade Nr. 2 A-Dur op.16 für Klavier zu vier Händen, Bärenreiter BA 6570 und 6571
Wir erleben Brahms ein weiteres Mal als Bearbeiter, diesmal eigener Werke. Er hat in dieser Weise öfter als im Allgemeinen bekannt das Klavier für vier Hände bedient, offensichtlich nicht immer einig mit sich selbst in dieser Rolle, denn in der Korrespondenz mit seinem Verleger Rieter hat es oft Unmutsäußerungen über die „Lächerlichkeit des Wiederkäuens“ oder Ähnliches gegeben. Im Zusammenhang mit der Transkription der 2. Serenade schrieb er aber auch einmal an Joseph Joachim: „… Mir war ganz wonniglich dabei zu Mute. Mit solcher Lust habe ich selten Noten geschrieben…“ Der Herausgeber Christian Köhn ergänzt im Vorwort zu Opus 16 mit der Feststellung: „Das vorliegende Arrangement gehört zu den gelungensten aus der großen Menge an Eigenbearbeitungen des Komponisten. Neugierde für Interessenten dürfte geweckt sein, Spieler müssen aber gut fundiert sein.“
Paul Walter Fürst: Sonatine für Klavier zu vier Händen op. 6, Doblinger D 18328
Im Verlagskatalog findet sich die Jahreszahl 1949, letzte Phase von Fürsts Studienjahren in Wien, doch erschien das Werk erst 1997. Zu Beginn der Sonatine könnte man meinen, dass ein böhmischer Komponist des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde. Spätestens am Ende der Exposition wird klar, dass der Komponist späterer Zeit angehört. Im 2. Satz, einer Romanze, lässt er sich klanglich-harmonisch von einer Palette inspirieren, die romantisch geprägt ist. Im Verlauf wird man durch einige in diesem Kontext etwas ungewöhnliche Wendungen überrascht, und so wähnt man sich vielleicht auch mal in der Nähe von Richard Strauss. Das muntere Spiel mit Hemiolen und anderen metrischen Verschiebungen in dem knappen Scherzo hat seine Vorbilder wieder im 19. Jahrhundert. Der Schlusssatz, dem Charakter einer Tarantella angenähert, lässt an möglicher Musizierfreude nichts vermissen. In Fürsts Sonatine ist die Tradition präsent. Die technischen Anforderungen liegen etwas über dem mittleren Schwierigkeitsgrad.
Amadeus Gati: Etude Grotesque für Klavier zu vier Händen, Helm-Baynov, Kempten, HB 7500
Man könnte dem Stück auch den Titel geben „Kleine Szene für zwei, die zusammen Klavier spielen wollen.“ Zunächst wird beschrieben, welche Gegenstände für die Aktionen auf den Tasten und im Flügelinnenraum benötigt werden, und anderes mehr. Es beginnt mit Primo allein, der vor der Tastatur sitzend einen dicken Notenband durchblättert, dann aber gelangweilt mit dem Kopf schläfrig über dem Spieltisch zusammensinkt. Secondo erscheint, will den Partner aufwecken. Das gelingt aber nicht. Erst wenn Secondo in die Saiten im Flügelinnenraum greift mit Glisssandi („hart, kurz, kratzend, mit Gegenstand im Bass“), soll der andere den „Kopf hochreißen“. Allmählich kommen Aktionen auf den Tasten in Gang. Gatis Etude Grotesque hat den beiden 13- und 14-Jährigen, die das Stück als Erste spielen durften, Riesenspaß gemacht.