In vier Jahren steht der 250. Geburtstag Beethovens vor der Tür. Zu diesem Anlass möchte die Bonner Pianistin Susanne Kessel dem großen Meister ein ganz besonderes Geschenk machen: „250 Piano Pieces for Beethoven“. Für dieses „work in progress“-Projekt beauftragte die Pianistin 250 Komponisten aus aller Welt, ein kurzes Klavierstück, in Anlehnung an Beethovens Bagatellen, zu schreiben (die nmz berichtete bereits in der Ausgabe 11/15 darüber). Die 25 Stücke des ersten Bandes, die im November 2015 bei dem griechischen Verlag Editions Musica Ferrum erschienen sind, geben einen Einblick in vielfältige, zeitgenössische Kompositionsweisen und zeigen die unterschiedlichen Herangehensweisen und Umgangsformen mit dem Thema Beethoven auf.
Die meisten der Werke tragen die Anspielung auf den Komponisten bereits im Titel – und schon dabei lassen sich verschiedenste Formen finden wie beispielsweise „Bee[t]h[ov]e[n]“, „Bagatelle mit cis“ oder „Mashup – Elise in Warschau“. Manche der Stücke greifen direkt auf Akkorde oder Melodiezitate aus Beethovens Kompositionen zurück: Während Ali N. Askin in „7 Momente aus 111“ sieben Akkordstrukturen aus der Klaviersonate op. 111 herausnimmt und in unterschiedlicher Art und Weise miteinander kombiniert, sodass zum Teil mystische, harmonisch vielschichtige Vorhalte und Klänge entstehen, so mischt Boris Kosak in „Karneval in der Bonngasse“, das im Übrigen auf Beethovens Geburtshaus in der Bonner Gasse hinweist, Passagen aus den Klaviersonaten mit gängigen Karnevalsliedern, die dabei überraschende Parallelen aufweisen.
Bei anderen Werken dagegen sind die Bezüge nicht so offensichtlich und man versteht sie erst durch intensive Beschäftigung und mithilfe der Kommentare von Rainer Nonnenmann im Vorwort der Ausgabe. Moritz Eggert etwa verfolgt mit „Nummer XXV: Abweichung (Hommage à Beet-hoven)“ aus seiner seit 1995 bestehenden Werkserie „Hämmerklavier“ eher einen Ansatz zur „Freiheit des Individuums“, der, wie er findet, die Musik Beethovens stark geprägt hat. Daher steht bei seinem Stück, das sich größtenteils mit pedalisierten, skalenartigen Elementen präsentiert und immer auf der Suche nach etwas zu sein scheint, ein bewusster Verzicht auf Zitate und die Individualität des Interpreten im Vordergrund.
Daneben enthält der erste Band auch Werke, die komplett von der herkömmlichen Spielweise des Klaviers abweichen. In „Sonata in D minor / (2nd-Version)“ von Leander Ruprecht beispielsweise geht es nicht mehr um festgeschriebene Tonhöhen oder Melodien, sondern vielmehr um den Rhythmus und eine ungefähre Richtung der Klänge. Die Tonart d-Moll wird hier durch vereinzelte Tastenanschläge des Tones d definiert, ansonsten stampft man nebenher laut mit dem Fuß und bespielt das Innenleben des Klaviers mit Paukenschlägeln. Auch bei Dennis Kuhns Stück „Ludwig’s Harp“ wird die Musik eher im Inneren des Klaviers erzeugt: Dem Instrument werden hier wie bei einer Harfe die Klänge durch Zupfen der Saiten entlockt, die sich zumeist in Glissandi, Clustern und Pizzicati äußern. Perkussive Elemente finden vor allem durch gelegentliches Anschlagen der Tasten Ausdruck.
Das Vorwort und eine ausführliche Einweisung sowohl in die einzelnen Stücke als auch in die zeitgenössische Bezugnahme auf Beethoven helfen bei der Einordnung und Erarbeitung der doch sehr verschiedenartigen Werke mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad dieses ersten Bandes.
- Susanne Kessel/Nikolas Sideris (Hg.): 250 Piano Pieces for Beethoven, Vol. 1, Editions Musica Ferrum, ISMN 979-0-708147-00-8