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Gehalt versus Dankbarkeit

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Erste kritische Ausgabe des Violinkonzerts von Robert Schumann
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Robert Schumann: Violinkonzert d-Moll: Partitur, € 38,00, ISBN 979-0-004-21210-3, und Klavierauszug, € 16,00, ISBN 979-0-004-18344-1, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden

Es gibt Werke, deren Beliebtheit weit über ihrer objektiven Qualität steht, und solche, die trotz aller Substanz und Größe nur mit großen Mühen in den Kanon der Klassiker eingehen. Dies gilt auch im Genre des Violinkonzerts, wo Ersteres zum Beispiel für das g-Moll-Konzert von Max Bruch oder auch für Saint-Saëns gelten mag, Letzteres hingegen unter anderem für die Gattungsbeiträge von Robert Schumann, Carl Nielsen, Giorgio Federico Ghedini, Allan Pettersson oder Tristan Keuris.

Da Schumann mit seinen Konzerten für Cello beziehungsweise Klavier widerstandslos zwei der absoluten Kernbeiträge zum Repertoire eines jeden Solisten beigesteuert hat, mutet der Fall des – substanziell tiefgründigeren, in die symphonische Dimension vorstoßenden – Violinkonzerts umso tragischer an. Joseph Joachim und Clara Schumann waren, nach anfänglicher Begeisterung, nicht unschuldig daran, dass das Werk nicht nur unveröffentlicht in der Versenkung verschwand und erst mehr als achtzig Jahre nach Schumanns Tod 1937 – gegen den Willen der Erben – zur Uraufführung und Erstveröffentlichung kam, sondern bis heute mit dem Beigeschmack von Misslingen aufgrund fortschreitender Geisteskrankheit belegt geblieben ist – hauptsächlich infolge eines Briefs von Joachim 1898 an Andreas Moser, den Historiker des Violinspiels und Multiplikator des vernichtenden Urteils, das unter anderem Passagen enthielt wie „aber die blühende Phantasie, mir blutet das Herz es zu gestehen, weicht kränkelnder Grübelei, der Fluss stockt …“ oder „Wiederholungen setzen ermüdend ein, und die glänzend gemeinten Figurationen zwingen der Solo-Violine ungewohnte, wirkungslose Arbeit ab“.

Das Violinkonzert war, unmittelbar nach der Phantasie für Violine und Orchester im Herbst 1853 komponiert, Robert Schumanns symphonischer Schwanengesang. Um die katastrophale Rezeptionsgeschichte zu verstehen, muss man akzeptieren, dass Schumann kaum Rücksicht auf geigerisch-idiomatische Virtuosität genommen hat und es sich nicht um ein im klassisch-romantischen Sinne „dankbares“ Konzert handelt. Dieses Problem existiert freilich auch in der Orchestration seiner Symphonien, und trotzdem wird kaum jemand ernsthaft in Frage stellen können, dass Schumann zu den originellsten und gehaltvollsten Symphonikern der Geschichte zählt.

Nun jedenfalls ist endlich eine kritische Neuausgabe des Konzerts vorhanden, vorgelegt von Christian Rudolf Riedel, womit der 1937 bei Schott erschienene, von Georg Schünemann betreute Erstdruck als überholt gelten darf (siehe den ausführlichen kritischen Bericht). Von Riedel stammt überdies ein exzellent informierendes Vorwort zu Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte sowie musikalisch-inhaltlichen Fragen.

Hinzu kommt, dass die Herausgeber auch erstmals den originalen Klavierauszug von Schumanns Hand zugänglich gemacht haben, in der Solostimme mit Fingersätzen des erfahrenenen Interpreten Thomas Zehetmair versehen. Ein jeder Geiger, der das Zeug dazu hat, hat nun eine wissenschaftlich fundierte Grundlage, dieses immer noch vernachlässigte Konzert in sein Repertoire aufzunehmen – ein Werk, das nach Ansicht des Verfassers zu den musikalisch gehaltvollsten Solokonzerten der gesamten Literatur zählt.

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