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Geistliches Hauptwerk, frühe Tondichtung

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Lichtblicke innerhalb der schleppenden Erschließung des Œuvres von César Franck
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Wenn am 10. Dezember der 200. Geburtstag von César Franck begangen wird, dürfen wir uns freuen, dass der größte Teil seiner Musik – darunter sämtliche Orchester- und Kammermusikwerke – zum Anhören verfügbar ist, ebenso wie vokal-orchestrale Hauptwerke wie die „Béatitudes“, „Psyché“, „Rédemption“ oder die Oper „Hulda“. Nach den biblischen Szenen „Ruth“ und „Rébecca“ muss man vielleicht länger suchen, doch immerhin: Wer hartnäckig ist, kann sich mit allem eindecken.

Geht es nun aber um die Beschaffung der Noten, so ist die Lage weitaus brisanter. Zum Glück hält das Münchner Unternehmen Repertoire Explorer schon seit Jahren Werke wie „Rédemption“, „Ruth“ oder „Les Djinns“ in Partitur vor, doch aus „Hulda“ gibt es auch hier nur die Ballettmusik, und aus „Psyché“ die vier symphonischen Fragmente. Wer also Hauptwerke Francks wie „Psyché“, „Rébecca“ oder „Hulda“ in Partitur – und eben nicht nur im Klavierauszug – sucht, geht leer aus, denn auch bei IMSLP ist das bisher nicht zu finden.

Das war auch lange bei seinem geistlichen Hauptwerk „Les Béatitudes“ der Fall, doch hier hat der Carus-Verlag mit einer von Hans Christoph Becker-Voss und Thomas Ohlendorf edierten Urtextausgabe der Not ein Ende bereitet. Ein solide informierendes Vorwort und die Übersetzung des literarisch nicht allzu bedeutenden, jedoch dramaturgisch wirkungsvoll angelegten französischen Gesangstexts von Josephine-Blanche Colomb (1833–92) sind beigegeben. Die Partitur des achtteiligen Werkes umfasst 368 Seiten, dazu ein detaillierter kritischer Bericht im Anhang. Es ist sehr zu begrüßen, dass statt einer Wiederauflage des – optisch natürlich viel schöneren – Erstdrucks der Partitur eine kritische Neuausgabe vorliegt, und eine solche würden wir uns nun auch dringender denn je von der kompletten „Psyché“ – also inklusive der gesungenen Teile – wünschen.

Stattdessen gibt es eine so sensationelle wie überfällige Überraschung von Serenissima Music in den USA: Richard W. Sargent jr. hat den Erstdruck von Francks erster großer symphonischer Komposition, der 1846 entstandenen Tondichtung „Ce qu’on entend sur la montagne“ herausgegeben. Ein Jahr vor Liszts gleichnamiger großformatiger Tondichtung komponiert – der Stoff lag nachgerade ‚in der Luft‘ –, ist diese 25-minütige Orchesterfantasie über das Gedicht von Victor Hugo das Werk eines 24-jährigen Komponisten, der es ohne jede Aussicht auf eine Aufführung verfasste und auch zeitlebens nicht zu hören bekommen sollte. Erst 1922 wurde es posthum zu seinem 100. Geburtstag uraufgeführt.

Was man damals noch nicht wusste und was auch heute nur allmählich ins allgemeine Bewusstsein dringt, ist die Tatsache, dass César Franck damit die Gattung der symphonischen Dichtung ein Jahr vor Liszt begründet hat, dem man dieses historische Verdienst bislang zugeschrieben hat. Es ist ein erstaunlich modernes Werk und darf gerne auch hierzulande gelegentlich gespielt werden, bevor weitere 100 Jahre vergehen. Es wäre im übrigen ein verdienstvolles Unterfangen, die Klaviertrios Nr. 2–4, die stets im Schatten des Klaviertrios op. 1, Nr. 1 standen, neu aufzulegen, denn auch diese sind, sofern sie mit Geschmack vorgetragen werden, besser als ihr Ruf. Man hat ja Franck in Deutschland – trotz des dauerhaft großen Erfolgs seiner Symphonischen Variationen, der Symphonie, des „Chasseur maudit“, des Klavierquintetts, des Streichquartetts, der Orgel- und Klavierwerke und vor allem natürlich der für Ysaÿe komponierten Violinsonate – ausgesprochen herabwürdigend als angeblich schwülstig-sentimentale Erscheinung behandelt (in der alten MGG in durchaus beleidigenden Worten), und wenn man ihm dann doch gebührende Anerkennung zuteil werden ließ, so vereinnahmte man ihn gleich als deutschstämmig. So geschehen in Wilhelm Mohrs Biografie von 1942, die den Titel „Cäsar Franck. Ein deutscher Musiker“ trägt und auch zum 200-jährigen Jubiläum noch nicht durch eine moderne deutsche Biografie ersetzt worden ist. Es gibt also weiterhin viel Nachholbedarf in Sachen César Franck, und die Hauptfrage bleibt, wieso es von diesem großen Meister immer noch keine Gesamtausgabe gibt – hier könnte sich ja der belgische Staat hervortun, wenn die Franzosen ihn partout ebenso stiefmütterlich behandeln wie Lalo und Roussel.

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