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Gesangsnoten, geistlich bis tierisch-satirisch

Untertitel
Literatur für Sängerinnen und Sänger: Bach, Duparc, Ligeti, Klaus und Dove
Publikationsdatum
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Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788): Geistliche Gesänge nach Christoph Christian Sturm, erste Sammlung H. 749, W. 197 Hamburg 1780, für hohe Singstimme & Clavier, herausgegeben von Ludger Rémy, Band 1 EW 437, Edition Walhall

Das Werkverzeichnis von Carl Philipp Emanuel Bach (Eugene Helm) weist 276 Lieder auf. Zwei fast unbekannte Liedsammlungen aus den Jahren 1780/ 81 legt der Herausgeber, Ludger Rémy, neu vor. Das sind Vertonungen auf Texte von Christoph Christian Sturm. Der in Augsburg geborene Dichter-Prediger, evangelisch, fromm und sehr empfindsam, war der Aufklärungstheologie seiner Zeit verpflichtet. Er wirkte von 1778 bis 1786 als Hauptpastor an St. Petri in Hamburg. Zu seiner Investitur schrieb Carl Philipp Emanuel Bach die Einführungsmusik. Im Vorwort des hervorragend gestalteten Bandes ist von „Hamburgensie“ die Rede, Adressat war das kaufmännische, intellektuelle Hamburger Bürgertum. Doch dieser Einengung steht die Qualität entgegen. Mit dieser Musik zeigt sich deutlich, dass „Empfindsamkeit“ eben nicht bloß ein epochaler Begriff ist. Empfindsamkeit ist auch eine ästhetische Angelegenheit und fordert jeden Interpreten zur feinsinnigen Emotionalität heraus. Diminutionsbehandlung bedarf Geschmackssensibilität und inneren Gestaltungswillen. Ein wichtiger Beitrag, nicht nur für die Kirchenmusik, auch für die historische Aufarbeitung – und fürs Gemüt!

Henri Duparc (1848–1933): Complete Songs. 17 Lieder auf Texte verschiedener französischer Dichter (u.a. Gautier und Baudelaire) für mittlere Stimme und Klavier, herausgegeben von Roger Nichols, Edition Peters EP 7778 b
ISMN M-57708-565-4

Marie Eugène Henri Duparc wurde am 21. Januar 1848 in Paris geboren, studierte im Jesuitenkolleg von Vaugirard als erster Student von César Franck. 1871 gründete er gemeinsam mit Camille Saint-Saëns die „Société Nationale de Musique“. Somit beeinflusste Henri Duparc zusammen mit Charles Gounod, Gabriel Fauré und Claude Debussy die französische Musik der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entscheidend mit. Sein vorrangiges Interesse galt der Liedkomposition. Bedauerlicherweise beeinträchtigte ein Nervenleiden sein Schaffen. Von 1885 bis zu seinem Tod (1933) lebte er in der Schweiz, wo er sich dann nur noch der Literatur und Malerei widmete. Ein Zeitgenosse beurteilt sein Liedschaffen wie folgt: „Duparcs besonderes Verdienst ist es, dass er sich nicht damit begnügt, einen Text zu vertonen, sondern die Gedanken und Gefühle des Dichters umzusetzen weiß. Insofern leitet er eine Epoche ein, in der die mélodie zur bevorzugten Ausdrucksform der größten französichen Komponisten werden sollte ...“ Einfach genial, um sich der Worte Ravels zu bedienen! Hervorragende Edition – allen Ansprüchen heutiger Interpreten Genüge getan! Die Texte sind in der Originalsprache dem Notentext unterlegt. Das Layout von Text und Klavierpart ist sehr übersichtlich. Übersetzungen in Englisch und Deutsch sowie Aussprachehilfen stehen im Vorwort, wie auch Anmerkungen zu den einzelnen Liedern; sehr guter kritischer Kommentar zum Schluss. Insgesamt hervorragend besorgte Ausgabe!

György Ligeti (1923–2006): Drei Arien aus der Oper „Le Grand Macabre“ für Koloraturso­pran und Klavier, eingerichtet von Elgar Howarth, Text von Michael Meschke und György Ligeti, Schott ED 8843, ISMN M-001-12373-0

Sofort beim ersten Blick in die Noten besticht das klare Notenbild. Billig, sich unter diesem Fakt nur den gelungenen Notensatz vorzustellen. Vielmehr verrät die Klarheit des Notenbildes viel über das Verhältnis von musikalischer Diktion und ihrer Ausführbarkeit. Blättert man über die ersten Seiten weiter, so erfreut von Seite zu Seite mehr, wie sehr der Bearbeiter der vorliegenden Ausgabe, Elgar Howarth, die Praxis des Begleitens beherrscht. Diese Arien sind, wenn die Koloraturstimme das dreigestrichene Es in freiem Einsatz gut schafft, schwer aber machbar (die Stimme singt und spricht, und ist frei von experimentellen Techniken). Der Klavierpart ist stellenweise wegen der Sprünge in der linken Hand recht heikel, doch sehr wirkungsvoll und freilich auch machbar. Die Mühe des Übens lohnt sich, denn dankbar sind die Arien allemal.
Noch einige Anmerkungen zum Komponiermetier: Wer eine Fortentwicklung avantgardistischer Konfigurationen auf der ästhetischen Basis von Ligetis „Aventures“ oder „Nouvelles Aventures“ (aus der Mitte der 60er-Jahre) erwartet hat, sieht sich getäuscht. Ligetis ästhetische Position hat sich trotz allen Beibehaltens des absurden Theaters (oder ist es das Absurde im Theater?) bis zur Ausarbeitung des „Großen Makabers“ zu einer speziellen Postmoderne hinentwickelt, die „comicartig übertrieben, farbig und verrückt“ (Zitat Ligeti) sein wollte. – Also: Worauf warten wir noch? Packen wir’s an!

Tadeusz Klaus (geb. 1960): Tierisch-satirische Lieder op. 7 (Das Lama, Drei Bären, Der Schatz, Der Kabeljau, Die Kellermaus), Edition Dohr 27531, E 14,80, ISMN M-2020-1531-5
Tierisch-tragische Lieder op. 8 (Der Regenwurm, Die Fliege, Die Weihnachtsgans, Das Fischchen, Drei Raupen), Edition Dohr 27532, E 14,80,
ISMN M-2020-1532-2

Tierisch-dramatische Lieder op. 9 (Die polyglotte Katze, Ein Traum, Die Made, Das Kälbchen, Auf den Tod meines Hundes), Edition Dohr 27533, E 14,80
ISMN M-2020-1533-9

Tadeusz Klaus, Tonmeister und Kirchenmusiker, komponiert praxisbezogene Chor- und Kammermusik. Lieder zu schreiben sind sein liebstes Metier. So viel verrät uns der Autor im biographischen Teil des Verlagstextes über Tadeusz Klaus, welcher mit bürgerlichem Namen Klaus Langer heißt. Er pflegt de facto vielfältigen Umgang mit gesprochenem Wort. So schreibt er Lyrik sowie Kurzgeschichten und lehrt spannendes Vorlesen. Alles Voraussetzungen für gute Textvertonungen!
Die vorliegenden drei Hefte seiner Lieder sind allesamt auf Texte von Heinz Erhardt für mittlere Stimme und Klavier geschrieben. Die Begleitsätze sprühen von phantasievoll angedeuteten Akzenten und harmonischen Spielereien. Das Vokale entsteht aus dem Wortwitz satirisch, tragisch, dramatisch. Für jedermann leicht machbar!

Jonathan Dove (geb. 1959): The Beautiful Cassandra. An Entertainment for voice and piano, devised by Alasdair Middleton, Words by Jane Austen, Edition Peters Nr. 7639, E 17,80
All You Who Sleep Tonight, for Mezzo-Soprano and Piano, Poems by Vikram Seth, Edition Peters Nr. 7689, E 17,80

Der erfahrene Komponist von Opern-, Film, Kirchen- und Theatermusik illustriert phantasievoll differenziert den Text zur Cassandra-Tragödie, die Jane Austen kess beschreibt: „The beautiful Cassandra. A Novel … Your figure, elegant. Cassandra smiled and whispered to herself: ,This is a day … well spent.‘“ Das sitzt! Das Stück umfasst zwölf Teile von unterschiedlicher musikalischer Dramatik. Es ist sängerisch wie pianistisch nicht sonderlich schwer. Beim fünften Stück „As fast as possible“ darf E-Dur artistisch in septoligen Oktavläufen geübt werden, rauf und runter, weija! „The Beautiful Cassandra“ entwickelt bei wirkungsvoller Gestaltung ganz gewiss große Bühnenwirksamkeit.
Die 13 Lieder von „All You Who Sleep Tonight“ gestalten sich dagegen schwieriger. Das Notenbild verrät rhythmisch stark differenzierte Passagen und verlangt von der Sängerin (dem Sänger) einiges Geschick. So auch vom Pianisten/der Pianistin. Die Stimmbehandlung fällt moderat aus: keine riesigen Intervallsprünge, keine harmonische Akrobatik. Mein Eindruck: mittelschwer. Die 13 Lieder werden ihre Wirkung nicht verfehlen.

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