Dances of Our Time, Schott ED 21470, ISMN 979-0-001-19144-9, € 39,-
Wohl kein anderes Wort scheint so strapaziert wie der Terminus „Projekt“. Er suggeriert sogleich Größe im Umfang eines zielgerichteten und einmaligen Vorhabens. So gesehen erfüllt das „Petrushka Project 2012“ schon im Vorfeld alle Erwartungen: 75 Komponisten aus 26 Ländern auf 5 Kontinenten lieferten Beiträge zum Thema „Tänze unserer Zeit“ in Form von kurzen Stücken für Klavier solo. Als Ergebnis stehen 350 gedruckte Seiten zu Buche. Die Fülle der hier präsentierten Tanzformen und eine kaum überschaubare Vielfalt kompositorischer Handschriften gewähren zudem eine äußerst komplexe Sicht auf das lokale kulturelle Umfeld.
Das wesentliche Musik und Tanz verbindende Element, der Rhythmus, wirkt darin fast wie eine Offenbarung. Nehmen wir das Tanzen zumeist als gesellschaftliches Vergnügen wahr, so wird dieses anderswo zum Ritual erhoben, als sinnlich-körperliches Ausdrucksmittel angesehen oder traditionserhaltend praktiziert. Die Musik zum Tanz wird aber in der Regel nicht auf dem Klavier gespielt. Auffällig ist aber, dass, historisch betrachtet, gerade für das Klavier zahllose Tänze komponiert wurden. Durch die mit dem Petrushka-Project einhergegangene Auftragsvergabe rückt der Tanz wieder etwas mehr ins Blickfeld. Zeitgenössische Klavierliteratur kann davon nur profitieren. Eine Annäherung an diese Edition erweist sich allerdings erst einmal als zeitaufwändiges Unterfangen.
Dabei spielt es keine Rolle, ob man sich selbst ans Instrument setzt oder das Internet bemüht. Über die Website www.petrushka-project.com können alle Tänze durchgehört werden. Wer (noch) nicht im Besitz des Schott- Notenexemplars ist, darf über „notafina“ einzelne Stücke herunterladen. Die Website enthält, im Gegensatz zum Notenexemplar, das dafür einfach keinen Platz zur Verfügung hat, nützliche Informationen.
Diese beinhalten biografische Angaben zum Komponisten und zumeist von ihm selbst zu Wort gebrachte Erläuterungen zum eigenen Beitrag für dieses Projekt. Die globale Initiative des Schott-Verlages veranlasste einige Komponisten, Tanzstücke als Momentaufnahme, auch aus einer Laune heraus, oder als Verballhornung zu betrachten und sie mit Witz auszustatten. Der 70. Geburtstag des Verlagschefs Peter Hanser-Strecker, der mit dem Erscheinen der Sammlung zeitlich zusammenfällt, war für die Mehrzahl der beauftragten Komponisten Anlass genug, ihre Stücke „ihrem“ Verleger zuzueignen. Liest man die auf der Umschlagseite in alphabetischer Reihenfolge aufgeführten Namen der 75 Komponisten, so begegnet einem kaum ein unbekannter. Wenngleich die deutschen Komponisten dominieren, so sind es immerhin noch mehr als 50 Kollegen, die nicht nur im europäischen Raum, sondern auch in Ägypten, Arabien, Nordamerika, Asien oder Neuseeland geboren wurden. Ihre Werke stehen letztlich im Zentrum des Projekts, da sie Einblick gewähren in unbekannt Neues. Die Schreibweisen unterscheiden sich dabei kaum, es passiert nichts, auch hinsichtlich der Notation, das nicht schon dagewesen wäre. Das Unbekannte erschließt sich erst beim Hören.
Zeitgenössische Techniken stehen im Kontext zu Melodik und Klang, charakteristischen Rhythmen und Leitern. Diese Komponenten wirken sich auch auf die Spieltechnik aus, für deren Funktionieren man gelegentlich einiges erfinden muss. Alle Tänze sind für sich genommen Entdeckungen im wahrsten Sinne. Somit muss der Radius der Suchenden auch nicht eingegrenzt werden. Die Schwierigkeitsgrade sind eher im anspruchsvollen Bereich angesiedelt, was nicht bedeutet, dass die Literatur nicht auch von Schülern gespielt werden könnte. Die multimediale Ausrichtung des Petrushka-Projects wirkt mit Sicherheit positiv auf dessen Verbreitung.