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Insekten, die in einem Kadaver brummen ...

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Franz Liszts frühe Schriften in der bemerkenswerten Neuausgabe von Breitkopf & Härtel
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Franz Liszt: Sämtliche Schriften. – hrsg. von Detlef Altenburg. Band 1: Frühe Schriften. – hrsg. von Rainer Kleinertz, Breitkopf & Härtel BV 232, 704 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 104,- €.

Franz Liszts frühe Schriften in der bemerkenswerten Neuausgabe von Breitkopf & Härtel Franz Liszt: Sämtliche Schriften. – hrsg. von Detlef Altenburg. Band 1: Frühe Schriften. – hrsg. von Rainer Kleinertz, Breitkopf & Härtel BV 232, 704 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 104,- €. Die Leistung Lina Ramanns, die in den Jahren 1880 bis 1883 Liszts Schriften in sechs Bänden herausgegeben hat, verblasst vor der neuen historisch-kritischen Ausgabe des Verlages Breitkopf & Härtel. Es werden jedoch noch Jahre vergehen, bevor das anspruchsvolle Projekt einen Abschluss findet. Seit Mitte der 80er-Jahre kommen sukzessive immer wieder Bände der Liszt-Schriften heraus, zuletzt die Frühen Schriften (Band 1), die im Vergleich zu Ramanns Edition ganz neu zusammengestellt wurden. Zunächst einmal stehen die französischsprachigen Originaltexte, wenn sie auffindbar waren, den deutschen Übersetzungen direkt gegenüber. Manche Texte allerdings wurden auch zum ersten Mal beziehungsweise erstmals vollständig ediert. Ramann hatte sich seinerzeit recht großzügig mit Fragmenten begnügt oder bewusst Kürzungen vorgenommen. Im Vergleich zum Originaltext treten nun aber auch Übersetzungsfehler ihrer Ausgabe zutage, die in der Neuübersetzung gewissenhaft korrigiert und dokumentiert werden.

Unverzichtbare Bestandteile der Neuausgabe sind die Fortsetzung der Artikelserie „De la situation des artistes“ unter dem Titel „Encore quelques mots sur la subalternité des musiciens“, die „Lettres d’un bachelier ès-musiques IX., X., XI. und XV.“ sowie die Konzertberichte „Concert de M. Berlioz, Revue musicale de l’année 1836", den Ramann unvollständig wiedergibt, die „Trois morceaux dans la genre pathétique par C.-V. Alkan“ und „Concert de Chopin“. Eine bemerkenswerte editorische Entscheidung betrifft die geschlossene Abtrennung der „Lettres d’un bachelier ès-musique“ aus der Chronologie der Schriften, für die die Herausgeber die Begründung fanden, dass Liszt selbst im Jahre 1839 den Wunsch geäußert hatte, aus dieser Textserie eine Buchveröffentlichung zu machen.

Der vorliegende Band, der übrigens die alte Rechtschreibung beibehält, widmet sich also sämtlichen vor Liszts Weimarer Zeit entstandenen Texten. In der neuen Zusammenstellung und Übersetzung wird noch klarer, wie stark sich der Autor von Grundideen leiten ließ, die alle Schriften wie ein roter Faden durchziehen. Dazu gehören die Funktion der Kunst im öffentlichen Leben, die Stellung des Künstlers, für dessen gesellschaftliche Aufwertung sich Liszt ungemein stark gemacht hat, und sein damit ver- bundener Plan einer groß anlegten Reform des Musiklebens. So weit gespannt, sagt der Herausgeber, das Spektrum des Themas der frühen Schriften ist, so unübersehbar ist die Tatsache, dass die Reisebriefe und die Kritiken und Konzertberichte in einem engen Zusammenhang stehen und dass überdies nahezu alle wesentlichen großen Themen und Ideen der Weimarer Schaffensphase bis hin zur Idee einer „Weltliteratur in Tönen“ hier bereits angelegt sind.

Schon der junge Liszt hat kein Blatt vor den Mund genommen. Streng geht er in seinem Aufsatz über die Situation der Künstler ins Gericht mit den Opernhäusern, Konzertveranstaltern und nicht zuletzt mit den Musikern selbst, die er „moralisch“ in Künstler und Handwerker unterteilt. Der Ton wird schärfer, wenn Liszt die Kirchenmusik seiner Zeit ins Auge fasst: Stumpfsinniges Gebrüll halle aus dem Gewölbe nieder und die obligaten Bass-Begleitungen klängen doch wie Insekten, die in einem Kadaver brummen. Viel Polemik also, aber noch keine klar formulierte These, wie es denn eigentlich besser zu machen sei. Mystisch bleibt sein Rat, dass sich die wahre Musik an Volk und Gott wenden müsse und dies übrigens in einer symbiotischen Verbindung von Theater und Kirche. Ja, eine Menschheitsmusik schwebe ihm vor. Ob sein Wunsch zum Beispiel mit dem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ seines späteren Schwiegersohns in Erfüllung gegangen war, bleibt dahingestellt. An Durchsetzungsvermögen jedenfalls stand Liszt Wagner um nichts nach. Entschlossenheit spricht auch aus den Reisebriefen, den überaus lesenswerten, mit Landschafts- und Situationsbeschreibungen den „Literaten“ Liszt präsentierenden Miniaturen. Liszt gelingt es immer, den Bogen wieder zurück zu seiner eigenen Lebenswelt und Philosophie zu schlagen. Stets beschäftigt ihn die Reflexion über den Künstler und das Künstlertum. Dabei bemüht er sich, die Orte und Ereignisse in seinem Umfeld auszuleuchten und sie in sein kulturpolitisches Bild mehr hineinzuzwängen als hineinzufügen. Er geht sogar soweit zu behaupten, der Künstler lebe außerhalb der sozialen Gemeinschaft, weil die Regierung an „Poesie“ verloren habe. Das sind harte Vorwürfe, ganz ungestüm, wie es Liszt nicht nur in seiner Augen zu sein pflegte.

Diese Haltung kennzeichnet auch die Aufsätze, Konzertberichte und Rezensionen der Jahre 1836–1841 mit überaus aufschlussreichen Beiträgen über Konzerte von Berlioz, Schumann, Thalberg und Chopin.

Am Ende seines Essays über die Situation der Künstler aus dem Jahr 1835 kommt Liszt zu erstaunlichen Forderungen, mit denen er seiner Zeit weit voraus war. Für den französischen Kulturraum wünscht er sich eine sporadisch abzuhaltende Versammlung für religiöse, dramatische und symphonische Musik, die eine Auswahl der zeitgenössischen Produktionen bestimmen soll. Die von dieser Gesellschaft gekürten Werke sollen im Anschluss von der Regierung erworben und auf deren Kosten veröffentlicht werden! An zweiter Stelle nennt er die kompromisslose Einführung des Musikunterrichts an den Volksschulen. Außerdem schlägt er eine Hochschule für die Elite außerhalb des Konservatoriums vor, eine – wie er es nennt – „Fortschrittsschule“. Schließlich regt er die Schaffung eines Lehrstuhls für Musikgeschichte und Philosophie an.

Der Band wurde 1989 im Rahmen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Liszt-Forschungsstelle am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität-Gesamthochschule Paderborn und der Hochschule für Musik Detmold begonnen und am Institut für Musikwissenschaft der Universität Regensburg abgeschlossen. Der exzellente Erläuterungsapparat enthält keineswegs nur stichwortartige Verweise, sondern geschlossen formulierte Artikel und ist allein schon die Lektüre wert.

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