Maurice Ravel: Leichte Klavierstücke und Tänze, Bärenreiter, BA 6580 +++ Maurice Ravel: Gaspard de la nuit, Wiener Urtext Edition, UT 50261 +++ Felix Mendelssohn Bartholdy: Rondo capriccioso op. 14, Wiener Urtext Edition, UT 50215 +++ Felix Mendelssohn Bartholdy: Variations sérieuses op. 54, Wiener Urtext Edition, UT 50278
Maurice Ravel: Leichte Klavierstücke und Tänze, Bärenreiter, BA 6580
Michael Töpel, der die Reihe des Bärenreiter-Verlages betreut, dürfte angesichts des Schwierigkeitsgrades dieser Stücke von Ravel richtig liegen: Keines von ihnen ist als wirklich „leicht“ zu bezeichnen. Der Blick auf Ravels äußerst virtuose Zyklen rechtfertigt allenfalls diese Einstufung. Jüngere Pianisten sollten sich deshalb mit Bedacht dem Notentext nähern. Die Entstehungszeit der neun Miniaturen erstreckt sich über einen Zeitraum von 1895–1917, einem Abschnitt also, in dem das gesamte Klavierwerk Ravels entstand.
Die „Pavane pour une infante défunte“ zählt zu den populärsten Schöpfungen des Komponisten. Dabei wirkt der Satz wenig klavierbezogen und mutet wie ein nachträglich angefertigter Klavierauszug der wohl erfolgreicheren Orchesterfassung an. „Modéré“ und „Assez animé“ aus den „Valses nobles et sentimentales“ kommen federnd elastisch daher, mit durch Grazie geschmeidigter Kraft, mit Verzicht auf das Entbehrliche. Diese beiden Walzer sowie das „Prélude“ von 1913 (ursprünglich als Prima-vista-Stück für Musikstudenten entstanden) können unter Berücksichtigung grifftechnischer Aspekte durchaus von jugendlichen Spielern bewältigt werden. Ravels Hauptwerk aus der Kriegszeit, der Klavierzyklus „Le Tombeau de Couperin“, ist mit „Forlane“ vertreten.
Sowohl Titel als auch Satzbezeichnungen greifen retrospektiv auf den französischen Barock, auf seine fast asketische, kristallklare, hart gemeißelte und stilisierte Sprache zurück. Trotz seiner Memorialbestimmung strahlt der Zyklus keine Trauer, sondern eine lichte, wenn auch kühle Serenität aus, was in „Forlane“ (die älteste verwendete Tanzform und wesensverwandt mit der Gigue) besonders deutlich zum Tragen kommt und sogleich auf spieltechnische Schwierigkeiten verweist. Zu nennen wären noch die Einzelstücke „Menuet sur le nom d’Haydn“, „A la manière de…Emmanuel Chabrier“ und „…Borodin“ sowie das „Menuet antique“ als frühestes Werk (1895). Letztlich verdeutlicht diese Auswahl einmal mehr die Einflussnahme der namentlich genannten Musiker auf die Ausprägung von Ravels originellem Stil, der sich durch Klarheit, eleganten Klaviersatz, neuartige Harmonik und Behandlung des Instruments ausdrückt.
Maurice Ravel: Gaspard de la nuit, Wiener Urtext Edition, UT 50261
Die „Drei romantischen Dichtungen“, wie sie der Komponist bezeichnet, wirken wie hinter einem Schleier versteckt, der sich freilich als ungemein fein abgetöntes Gewebe erweist. Und doch gibt er die fast wahnwitzigen technischen Schwierigkeiten preis, die dem Pianisten eine Virtuosität abverlangen, die seinesgleichen sucht (alle Arten von Tonrepetition, Handabtausch, mehrschichtige Abschnitte).
Peter Roggenkamp spricht in seinen „Hinweisen zur Interpretation“ deutliche Worte: Genügend Lockerheit im Spielapparat und eine entsprechend große Hand sind unverzichtbare Voraussetzungen, die allerdings den Kreis derjenigen, die den Zyklus beherrschen können, massiv einschränkt. Zudem gestattet Ravel keine Kompromisse im Hinblick auf seine im Notentext fixierten Vorgaben (Strawinsky nannte ihn einen „Schweizer Uhrmacher“). Eine Fülle von Zeichen (die Verwendung von Tonarten mit vielen Vorzeichen und damit einhergehend eine Harmonik, die zusätzlich mit Versetzungszeichen aufwartet) erschwert das Lesen enorm. Da mag es nicht verwundern, dass Ravel auch bezüglich der Tempi klare Vorstellungen vorschwebten, die er eingehalten wissen wollte. Diese Wucht von Anforderungen an den Interpreten soll den Blick auf die Stücke aber nicht trüben. „Beim Gaspard ist es mit dem Teufel zugegangen, kein Wunder, da er ja der Verfasser der Gedichte ist“, so der Komponist, der die Stücke 1908 rasend schnell komponierte. Die literarischen Vorlagen stammen von Aloysius Bertrand, der mit dem Titel seiner Phantasiestücke auf die Urbedeutung des persischen Namens Kaspar (= Schatzmeister) zurückgriff. In allen Druckausgaben werden diese lyrischen Gedichte auch jeweils den Noten vorangestellt. So schlägt dem Leser aus Bertrands gespenstischen Gedichten eine Mischung aus Kleinodien, Grauen und Hexerei entgegen. Eine Wassernixe, ein Galgen und ein Höllenzwerg stehen im Mittelpunkt der drei Stücke, die den Komponisten mithilfe der geschliffenen, bildreichen Sprache Bertrands zu bislang unerreichten Klanglösungen führte. Dazu Alex Ross: „In ,Le Gibet‘ … steigen und fallen geisterhafte Figuren um ein immer wieder angeschlagenes B – eine Struktur, die selbst schon eine neue Art musikalischer Sprache darstellt, nämlich die Wiederholungsästhetik eines vorweggenommenen Minimalismus.“
Die vorliegende großformatige Ausgabe nennt als Quelle die 1909 bei Durand erschienene Erstausgabe und orientiert sich an der Korrektur von Ravel und Ricardo Viñes, der das Stück im gleichen Jahr in Paris uraufgeführt hat.
Felix Mendelssohn Bartholdy: Rondo capriccioso op. 14, Wiener Urtext Edition, UT 50215
Mendelssohns Klavierwerke, die in seinem Œuvre einen bedeutenden Platz einnehmen, siedeln innerhalb der romantischen Klavierliteratur wohl eher in einer Nische. Der eigentlich virtuos-brillante Zug, den die Zeitgenossen wie Chopin und Schumann für sich beanspruchen können, fehlt bei Mendelssohn fast völlig. Seine Klavierstücke sind zudem formal überschaubar. Voraussetzungen also, die eine Zielgruppe, wenn auch ungewollt, in den Fokus rückt: technisch gut geschulte Liebhaber, die Musik für ihre Salons suchen. Gerade das „Rondo capriccioso“ dürfte in mehrfacher Hinsicht dies belegen.
Das beweisen einerseits die hohen Stückzahlen der Erstdrucke, deren Ausgaben auf den Notenständern der „höheren Töchter“ landeten, andererseits eignete es sich besonders, das Können bravourös in Szene zu setzen. Für das Stück sind mehrere Entstehungsphasen verbürgt. An seine Schwester schreibt der Komponist im Juni 1830: „…ich habe es nämlich mit einem rührenden Einleitungsadagio, und einigen Melodien und Passagen schmackhaft zubereitet…“. Die Tempoangaben freilich unterlagen Änderungen, die einhergingen mit den Veränderungen am formalen Aufbau. Die Publikation gestaltete sich schwierig. Nachdem es sowohl mit Breitkopf & Härtel als auch Hofmeister zu keiner Einigung kam, bot Mendelssohn das Manuskript dem Wiener Verleger Mechetti an. Es wird allerdings vermutet, dass dieser lediglich eine Kopie erhielt, während an Cramer nach London eine handschriftliche Stichvorlage ging, die letztlich für die vorliegende Ausgabe herangezogen wurde. In gewohnt routinierter Weise nehmen die Herausgeber Ulrich Leisinger und Peter Roggenkamp ihre Aufgabe wahr, die zum Lesen der vielen „sachdienlichen“ Hinweise nahezu verpflichtet.
Felix Mendelssohn Bartholdy: Variations sérieuses op. 54, Wiener Urtext Edition, UT 50278
Diese 17 Variationen aus dem Jahr 1841 gelten zu Recht als das Werk Mendelssohns, welches alle Merkmale seines ausgefeilten Klavierstils vereinigt; ein Kompendium jahrelang erprobter Spielfiguren, die gut in den Händen liegen. Das 16-taktige Thema offeriert nur scheinbar eine liedhafte Thematik, die sich einer mit Chromatismen getränkten Vorhaltsmelodik beugt. Die Kurzgliedrigkeit, die mit einer Verschiebung des Schwerpunktes einhergeht, rückt das Thema eher in die Nähe des Choralgesangs. Seine Präsenz ist für den Hörer stets wahrnehmbar. Besondere Aussagekraft verleiht dem Stück neben der Formulierung die Wahl der Tonart d-Moll, die die Charakteristik zu unterstreichen versucht und sich deutlich von einseitiger Präsentation brillanter Klaviertechnik abgrenzen will. Auch dieses Werk Mendelssohns erschien im Verlag Pietro Mechetti, eingebettet in eine Publikation des „Beethoven-Pracht-Albums“, dessen Erlös zur Errichtung eines Beethoven-Denkmals in Bonn verwendet werden sollte. Diese Wiener Erstausgabe und Mendelssohns autographe Stichvorlage dienten dieser Neuauflage als Quelle.