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Emilie Mayer: Sonate d, Edition Massonneau, em 0117
Emilie Mayer: Sonate d, Edition Massonneau, em 0117
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Kühne harmonische Wendungen

Untertitel
Klaviersonaten in neuen Einzelausgaben – Teil 2: Brahms, Beethoven, Berger, Weinberg, Mayer
Publikationsdatum
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Johannes Brahms: Sonate f, op. 5, Henle 1290 +++ Ludwig van Beethoven: Sonate e, op. 90, Henle 1124 +++ Ludwig Berger: Grande Sonate Pathétique, Edition Walhall, EW 1002 +++ Friedrich Schneider: Sonate e, op. 14, Pfefferkorn Musikverlag, PF 2039 +++ Mieczyslaw Weinberg: Sonatine op. 49/ Sonate op. 49bis, peermusic, PCH 3870 +++ Emilie Mayer: Sonate d, Edition Massonneau, em 0117

Johannes Brahms: Sonate f, op. 5, Henle 1290

Brahms fertigte die Stichvorlage für seine dritte Sonate selbst an (mit Ausnahme des 3. Satzes) und bestand auch nach der Zusendung der Korrekturabzüge durch den Verleger Bartholf Senff auf „unumgänglich notwendige“ Änderungen, die kompositorischer Art waren. In der Tat beschäftigte Brahms dieses Werk immer wieder von Neuem, ohne dass er sich zu einer Umarbeitung entschließen konnte. Wenngleich die Sonate nicht an Simrock ging, so äußerte sich Brahms doch ihm gegenüber, dass er nicht „zu kritzeln“ beabsichtige. Die Gründe des Henle-Verlags, den autorisierten Erstdruck heranzuziehen und die später vorgenommenen Änderungen zu negieren, dürften also im Sinne von Brahms sein. Das gewaltige und in den einzelnen Sätzen nicht chronologisch entstandene Werk wurde entgegen der üblichen Form vom Komponisten um ein eingefügtes Intermezzo auf fünf Sätze erweitert. Detaillierte Angaben, die in der Gesamtausgabe der Werke von Brahms im Henle-Verlag nachzulesen sind, wurden in die Einzelausgabe nicht übernommen. Die Ausgabe erfreut sich eines gut lesbaren Noten-Layouts und ist auch hier mit Fingersätzen versehen.

Ludwig van Beethoven: Sonate e, op. 90, Henle 1124

Die Sonate op.90 ist ein zweisätziges Werk, das „durchkomponiert“ ist. Der formale Aufbau weicht vom klassischen Sonaten-Satz ab. Es kursieren eher weniger glaubhafte Varianten zur Entstehungsgeschichte, die, ähnlich wie bei der Fis-Dur-Sonate, die Gründe für den Anlass zur Komposition der Sonate benennen und hernach für die Wahl dieser Form und des intimen Charakters verantwortlich sein sollen. Anton Schindler ging davon aus, dass „Beet­hoven seinen Werken eine poetische Idee zum Grunde legte“. Der Wechsel des Tonartgeschlechts im 2. Satz soll absichtlich einen Gegensatz darstellen, aber zugleich auch eine Verbindung knüpfen, indem das schön gegliederte Thema des Kopfsatzes ein äußerst melodisches Pendant im Finale erhält. Auffallend ist, dass Beet­hoven sich bei der Bezeichnung der Sätze der deutschen Sprache bedient. Der Komponist wollte diese Sonate zudem direkt vom Autograph stechen lassen, aber wie so oft sorgten mehrere Abschriften und Korrekturgänge für Unklarheiten, die sich später als Stichfehler herausstellten. Henle sah nun die Originalausgabe als sicherste Quelle an und entwarf für seine Edition eine sehr eindeutig ausgerichtete Lesart, versehen mit hilfreichen Fingersatzangaben. Erhältlich auch für die „Henle -Library“-App.

Ludwig Berger: Grande Sonate Pathétique, Edition Walhall, EW 1002

Ludwig Berger (1777–1839) reiste als Pianist durch Europa, bevor er sich als angesehener Klavierpädagoge (zu seinen Schülern gehörten die Geschwis­ter Mendelssohn) in Berlin niederließ. Sein kompositorisches Schaffen wurde zu Lebzeiten unterschiedlich bewertet; das Klavierwerk genießt allerdings heute wegen des lyrischen Talents, von dem Mendelssohn schon profitierte, eine gewisse Beachtung. Wenn ein Komponist eine Sonate „Grande Sonate Pathétique“ nennt, so darf er den Vergleich mit Beethoven nicht scheuen. Bergers op.1, entstanden 1804, wartet neben der Verwendung des Titels mit weiteren Parallelen auf: die identische Tonart c-Moll und Ansätze gleicher Formgebung. Sowohl der Umfang als auch das dramaturgisches Konzept haben mit Beethovens Werk nichts gemein. Wie Thomas Hug im Vorwort anmerkt, versinkt Berger eher in einem düsteren Stimmungsgemälde, weit entfernt vom heroischen Pathos Beet­hovens. Letztendlich war Berger mit seinem olympischen Plan überfordert, aber allein die Art seiner Vorgehensweise im Adagio patetico und im Rondo verdient unbedingt Beachtung. Spieltechnisch gesehen birgt die Sonate einige Tücken in sich wie Vollgriffigkeit, Lauftechnik und eine besonders galante Anschlagskultur. Die korrekt edierte Ausgabe erscheint im Querformat mit Spiralbindung.

Friedrich Schneider: Sonate e, op. 14, Pfefferkorn Musikverlag, PF 2039

Auch der Komponist Friedrich Schneider (1786–1853) legt eine „Grande Sonate pathétique“ vor, die er vom 22. bis 24. Mai 1809 komponierte. Obwohl Schneider Beethovens 5. Klavierkonzert erst zwei Jahre später in Leipzig uraufführte, darf angenommen werden, dass ihn Beethovens Kompositionen schon viel früher inspirierten. Interessant ist auch, dass die Grande-Pathétique-Sonaten Bergers und Schneiders gewisse Übereinstimmungen, wie das gesteigerte Auskosten von verminderten Septakkorden, aufweisen. Das in sich geschlossene Werk mit vier Sätzen startet voller Pathos mit Pedal-Arpeggien, setzt die Themen geschickt zueinander und bleibt auch in der Verarbeitung derselben einfallsreich. Die Wahl des 9/8-Taktes für den zweiten Satz, Andante con moto, bringt die G-Dur-Melodie in ein in sich ruhendes Dreier-Gleichmaß, das immer wieder aktiviert wird und schlussendlich in der Dominate verharrt, um attacca in das Allegretto scherzando überzuleiten. Das Trio in E-Dur lehnt sich an das Anfangsmotiv an, vertreibt aber die düs­tere Stimmung für einen Moment, ehe Da capo gespielt wird. Im Finale zieht der Komponist alle Register, rast wie im Wahn über die Tasten, entschließt sich aber nicht zu einem pathetischen, sondern absolut fulminanten Abschluss in E-Dur. Die Einzelausgabe ist Teil einer Veröffentlichung von mehreren Sonaten Schneiders im Pfefferkorn-Verlag und benutzt als Quelle, da auch hier das Autograph verschollen ist, die Originalausgabe. Für die Edition wurde der Notentext weitgehend übernommen und lediglich das Notenbild in eine heute gebräuchliche Form übertragen.

Mieczyslaw Weinberg: Sonatine op. 49/ Sonate op. 49bis, peermusic, PCH 3870

Der erst vor einigen Jahren ins Bewusstsein gerückte Pole Weinberg (1919–1996) war eine faszinierende Persönlichkeit, die mit einer tragischen Biografie umzugehen hatte und deren Arbeit während der Stalin-Ära reglementiert wurde. Es entstanden daraufhin zahlreiche Stücke unter Verwendung von Volksmelodien für den Unterricht. Die Sonatine, Schostakowitsch gewidmet, ist als Fazit dieser Kampagne anzusehen, die aber auch einen positiven Nebeneffekt hatte: Von den vielen in dieser Zeit entstandenen Stücken profitieren Klavierschüler noch heute und besonders auch, zeitversetzt, im Westen. Das Werk ist an sich ein schlichtes und kurzes Stück, mit elegischer einstimmiger Eingangsmelodie, die immer wieder imitiert wird. Etwas problematisch erscheint die Großgriffigkeit bis zu einer Dezime, die Kinder nicht greifen können. Dem langsamen Satz im 6/4-Takt liegt ein Oktav-Unisono im Bass zugrunde, das sich im dreifachen Piano bewegt und im düster gravitätischen Charakter die Lautstärkeskala im unteren Bereich einzufrieren scheint. Diese Beobachtung bezieht sich auf das gesamte Stück, denn auch der letzte Satz huscht wie ein leises Tuscheln vorüber. Im Jahr 1978 proportionierte Weinberg die Sonatine neu und erweiterte sie zur Sonate 49bis. Er fügte Teile ein, setzte an die Stelle des Adagietto ein Andantino, versah sie mit Wiederholungen und bricht zum Forte mit mehr Klangfülle durch. Das Oktav-Unisono verortet er nun im letzten Satz, auch hier im Forte, und setzt virtuose Elemente obenauf. In die Ausgabe haben sich kleine aber nicht gravierende Fehler eingeschlichen, die jeder Interpret selbst verbessern kann.

Emilie Mayer: Sonate d, Edition Massonneau, em 0117

Emilie Mayer (1812–1883) führte mit Selbstbewusstsein die Berufsbezeichnung „Componistin“. Sie nahm bei Carl Loewe und Adolph B. Marx Unterricht in Komposition und hinterließ ein beachtliches Œuvre mit immerhin 8 Sinfonien, 15 Ouvertüren sowie Instrumental- und Kammermusik, die europaweit zur Aufführung kamen. Auch als Pianistin wurde ihr Anerkennung gezollt. Als Entstehungszeit der d-Moll-Sonate werden die 1860er Jahre angegeben, die aber nicht verbürgt sind. Dieses Stück greift weit in die Romantik vor, was kühne harmonische Wendungen, richtungsweisende Formprinzipien und gezielt durchgearbeitete musikalische Einfälle belegen. Die Sonate hat vier Sätze, die sich über 37 Seiten erstrecken. Obwohl das thematische Material immer wieder in Erscheinung tritt und in einen sehr akkordischen Klaviersatz integriert wird, bleibt dieser erstaunlich klar und durchsichtig. Virtuose Elemente drängen nicht an die Oberfläche, sondern scheinen sich ganz natürlich in das musikalische Geschehen einzufügen. Mayer versteht es meisterhaft, Übergänge vorzubereiten und zu gestalten und Kontraste innerhalb der Sätze zu fixieren. Die im Adagio fast chorsatzartig gedeutete Melodie findet selbst bei später zugefügter Figuration zu höchster Sinnlichkeit und Erdung. Selbst in den schnellen Sätzen bleibt der Sinn für Melodik hörbar, ohne ins Seichte abzugleiten. In der vorliegenden Ausgabe, die auf dem Autograph beruht, beschränkt sich der Verlag nur auf eine praxisgerechte Handhabung und verzichtet der besseren Lesbarkeit wegen auf Kleingedrucktes auf dem Notenblatt.
 

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