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Mit steigender Leidenschaft, wehmütig …

Untertitel
Romantische Literatur für Singstimmen und Klavier
Publikationsdatum
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Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847): Lieder für Singstimme und Klavier. Zu Lebzeiten erschienene Lieder, Band I; Zu Lebzeiten erschienene Lieder, Band II; Nachgelassene Lieder, Band III; Lieder und Gesänge – neu entdeckt, 44 ungedruckte oder entlegen veröffentlichte Kompositionen für Singstimme und Klavier +++ Franz Schubert (1797–1828): Schubert Lieder Band 4. Für hohe Stimme; Winterreise op. 89. Für hohe Stimme, Urtextausgabe aus: Franz Schubert, Neue Ausgabe sämtlicher Werke +++ Robert Schumann (1810–1856): Dichterliebe op. 48, auf Texte von Heinrich Heine (1797–1856) +++ Louis Spohr (1784–1859): Lied Edition. Gesamtausgabe der ein- und zweistimmigen Lieder, Band 1, Deutsche Lieder op. 25 & op. 37; Band 11, Einzellieder II

 

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847): Lieder für Singstimme und Klavier. Zu Lebzeiten erschienene Lieder, Band I Edition Breitkopf 8651, ISMN M- 004-18326-7; Zu Lebzeiten erschienene Lieder, Band II, Edition Breitkopf 8652, ISMN M-004-18328-1; Nachgelassene Lieder, Band III Edition Breitkopf 8653, ISMN M 044 18346 5; Lieder und Gesänge – neu entdeckt, 44 ungedruckte oder entlegen veröffentlichte Kompositionen für Singstimme und Klavier, Herausgeber: Christian Martin Schmidt, Breitkopf & Härtel MUSIKA RARA MR 2296, ISMN M-004-48848-5

Hochinteressant! Während der Recherchen zur Leipziger Ausgabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy sind 44 Lieder aus tiefster Versenkung zutage befördert worden. Sie machen nicht weniger als ein Drittel seines gesamten Liedschaffens aus. Diese waren vorher überhaupt nicht oder nur handschriftlich überliefert und höchstens in einigen Dissertationen behandelt worden. Hierfür gibt es vielerlei Gründe: 1.) Nicht wenige Lieder Mendelssohns waren für das häusliche Musizieren geschrieben worden. Somit reklamieren sowohl Felix als auch seine Schwester Fanny für ihr Liedschaffen nicht ausschließlich höchsten Kunstanspruch, sondern pflegten auch die bisher gering geschätzte soziale Komponente des geselligen Umgangs. Das heißt: hier ein Stammbucheintrag, dort ein Albumblatt, ein Geburtstags- oder Hochzeitsgeschenk, eine Widmung als Dank für erwiesene Wohltat. Je nach Anlass und sorgfältiger Textauswahl entdeckte der Tondichter durchaus auch im poetisch befähigten Freundes- und Bekanntenkreis (Carl Klingemann) Gedichte, die seinen literarischen Ansprüchen standhielten. Er kreierte gar selbst Reime. Nachweislich schreckte Mendelssohn vor Textänderungen, Kürzungen, Umstellung und Streichung mehrerer Strophen auch bei Heine-, Eichendorff-, Goethe-Gedichten nicht zurück. „Romantische Aneignung“ ist dafür der gängige Fachbegriff. 2.) „Revisionskrankheit“ nannte Mendelssohn seinen übertriebenen Respekt vor der Veröffentlichung seiner Werke und seiner vielfältigen Überarbeitungen. Im Band neu entdeckter Lieder finden sich bis zu fünf Fassungen (Nr. 35a bis e) von „Mein Liebchen, wir saßen beisammen“ sowie weitere nicht veröffentlichte Liedüberarbeitungen. Und 3.) betraf die mehr als 100 Jahre währende Vernachlässigung der Werke Mendelssohns insbesondere das Liedschaffen. Missverstandene Romantik, Süßholzraspeln und genug garstige, wenig kompetente, doch zeittypische Attribute waren Mendelssohns Musik unterstellt worden. Dabei ist in diesem Zusammenhang die unsägliche Nazi-Verfemung nicht zu unterschätzen. Dem Musikwissenschaftler Christian Martin Schmidt kann man ohne Einschränkung dahingehend zustimmen, wenn er sagt, dass „die Kenntnis der hier vorgelegten Komposition das Bild von Mendelssohn als Liedkomponist entscheidend verändern wird“. Es lohnt sich die Herausforderung anzunehmen, das Füllhorn zu öffnen, um das allseits Bekannte und das seither Unbekannte neu zu entdecken. 

Franz Schubert (1797–1828): Schubert Lieder Band 4. Für hohe Stimme, Bärenreiter-Verlag Kassel BA 9104, ISMN 979-0-006-53053-3; Winterreise op. 89. Für hohe Stimme, Urtextausgabe aus: Franz Schubert, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, herausgegeben von der Internationalen Schubert-Gesellschaft, vorgelegt von Walther Dürr, Bärenreiter-Verlag Kassel BA 9118, ISMN 979-0-006-53874-4

Die Ankündigung der Neuen Schubert-Ausgabe macht neugierig. Sie versteht sich als praktische, „offene Ausgabe“. Christoph Prégardien und Andreas Staier schreiben dazu im Vorwort zum 4. Band: „Sie berücksichtigt neben allen autorisierten Quellen auch Aufführungsvarianten, die aus dem Umkreis Schuberts überliefert sind und eine Vorstellung von der zeitgenössischen Aufführungspraxis vermitteln.“ Der Revisionsbericht älterer Ausgaben befriedigt die heute potenziell geforderte Rezeptionsästhetik nur ungenügend. Künstlerische Interpretation lebt in immerwährender Kommunität mit der Musikwissenschaft, will ständig neu erklärt, gedeutet werden. Die aktuelle Ausgabe bedient diesen Anspruch in hervorragender Weise. Sämtliche Lieder und Liederzyklen sind ab op. 1, dem „Erlkönig“, chronologisch angeordnet. Am Ende des 4. Bandes finden sich in alphabetischer Reihenfolge die deutschsprachigen Originaltitel Schuberts, einschließlich englischer Untertitel. Quellen zur Entstehung, Daten und Hintergrundinformationen zu jedem einzelnen Lied sind dem lehrreichen Vorwort beigefügt, außerdem die Originaltexte in ursprünglicher Strophenfolge. Im Sommer 2009 unterschrieb der Musikwissenschaftler Walther Dürr den seinerzeit herausgegebenen 4. Band mit Liedern ab op. 105 (August 1828) bis op. post. 130. Ob die Winterreise „ein Zyklus schauerlicher Lieder“ (Schubert-Zitat) sei, mögen Künstler und Hörer selbst entscheiden. Die neue Ausgabe jedenfalls lässt wahrscheinlich auch neue Interpretation und damit neues Hinhören erwarten.

Robert Schumann (1810–1856): Dichterliebe op. 48, auf Texte von Heinrich Heine (1797–1856), herausgegeben von Hansjörg Ewert, Bärenreiter-Verlag Kassel BA 7851, ISMN 979-0-006-53966-6

Es gibt nur die eine „Dichterliebe“, beendet im Juni 1840. Dieser Neuauflage wird der Erstdruck op. 48 von Breitkopf & Härtel aus dem Jahre 1843 mit 16 Liedern sowie die Erstdrucke der nachträglich veröffentlichten weiteren 4 Lieder aus op. 127 und op. 142 nach Schumanns Handexemplaren und seinem eigenen Arbeitsmanuskript zugrunde gelegt. Der Herausgeber Hansjörg Ewert beschreibt im unbedingt lesenswerten Vorwort zur vorliegenden Ausgabe, welche Gründe für eine Kürzung auf 16 Gedicht-Vertonungen des ursprünglich als „Liederkreis von 20 Liedern“ vorgesehenen Heine-Zyklus sprechen. So verweist er in erster Linie auf dramaturgische Motive der Gedichtinhalte als die wohl wahren Gründe für eine Kürzung. Die auf formale Proportionen gegründete symmetrisch paarweise Anlage, die tonartliche Architektur tritt so entschieden deutlicher hervor als in der Langfassung. Vier Lieder, die aus der „Dichterliebe“ gestrichen wurden – „Dein Angesicht“ op. 127,2, „Lehn’ deine Wang’“ op. 142,2, „Es leuchtet meine Liebe“ op. 127,3, „Mein Wagen rollet langsam“ op. 142,4 – finden sich deshalb im Anhang der neuen Bärenreiter-Ausgabe abgedruckt. Aufschlussreich erweist sich auch die Gegenüberstellung der Abweichungen des Arbeitsmanuskripts zur Erstausgabe sowie der kritische Revisionsbericht. Was den Notensatz betrifft, dürften keine Wünsche offenbleiben. Die Heine-Gedichte sind von Richard Stokes ins Englische übersetzt worden. „In diesem Sinne wendet sich die Ausgabe an den wissenden und fragenden Interpreten.“ (Zitat aus dem Vorwort)

Louis Spohr (1784–1859): Lied Edition. Gesamtausgabe der ein- und zweistimmigen Lieder, Band 1, Deutsche Lieder op. 25 & op. 37, Edition Dohr 29951 ISMN M-2020-1951-1; Band 11, Einzellieder II; Edition Dohr 29961, ISMN M-2020-1961-0, herausgegeben von Susan Owen-Leinert und Michael Leiner, Memphis/Tennessee

Louis Spohrs Klavierlied-Repertoire umfasst derzeit eine Sammlung von 105 Liedern, ohne Berücksichtigung seines Frühwerks. Aus damaliger Sicht stilistisch experimentell, ist es von großartiger Vielfalt und Ideenreichtum geprägt. Leider verlor die Internationale Louis Spohr Gesellschaft e.V. ihren gesamten Nachlass durch Konfiszierung im Jahr 1933. Nun sind dankenswerterweise etliche der in der früheren Gesamtausgabe des Louis Spohr-Forschers Clive Brown nicht enthaltenen Lieder wieder aus der Versenkung ausgegraben und zum ersten Mal in der vorliegenden zwölfbändigen Ausgabe abgedruckt worden. Spohrs erstes gedrucktes Liederheft mit insgesamt sechs Liedern op. 25 entstand im Jahr 1809 in Gotha. Sie sind mit einer Widmung an die Sängerin, Schauspielerin und Mätresse von Carl August von Weimar, „der Frau von Heigendorf geb. Jagemann in Weimar ergebenst zugeeignet“ und, von ihr protegiert, in Hamburg bei Böhme erschienen. Im 1. Band dieser Edition sind Opus 25 und weitere sechs deutsche Lieder op. 37 vom Entstehungsjahr 1815 enthalten. Auf das „Wiegenlied“ op. 25,1 mit nachgetragenem sowie op. 37,4, einem Lied mit englischsprachigem Text ist im Anhang hingewiesen. Gedichte von unterschiedlicher poetischer Qualität beflügelten Spohrs Phantasie zu hintergründig qualitätvoller Tondichtung. Vom einfachen Kinderwiegenlied bis hin zur vollendeten Kunstform scheint einfühlsamer Sprachduktus, Semantik und daraus sich entwickelnde musikalische Gestik der Fokus allen strukturellen kompositorischen Denkens zu sein. Exakte Tempoangaben sowie auch Vortragsangaben wie zum Beispiel „mit steigender Leidenschaft, wehmütig, erste Bewegung“ haben nicht nur Hinweischarakter. Einigen wenigen Gesängen sind Soloinstrumente beigegeben: Klarinette, Horn oder Harfe.Die jedem einzelnen der zwölf Bände vorangestellten allgemeinen Hinweise zur Edition, Vorwort und der kritische Bericht (Deutsch und Englisch) tragen erheblich zum Werkverständnis bei, nicht zuletzt die ausführlichen Liedkommentare. Der Blickwinkel auf Leben und Werk Louis Spohrs erhält mit dieser Gesamtausgabe neue Justierung, eine neue Farbe.

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