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Musik eines Vergessenen

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Der Münchener Komponist Johann Kaspar Kerll – neue Edition
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Denkmäler der Tonkunst in Bayern (Neue Folge), Bd. 19: Johann Kaspar Kerll – Delectus Sacrarum Cantionum (München 1669). Ed. Bettina Eichmanns, Breitkopf & Härtel SON 249, 117 Euro

Er diente am Münchner Hof in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, war einer der größten Organisten seiner Zeit, wurde vom Kaiser 1664 geadelt – und doch ist er heute nur mehr einer kleinen Gemeinde von Künstlern und Kennern bekannt. Dabei verdient die Musik des Johann Kaspar Kerll, der 1627 im Vogtland geboren und in Wien und Rom ausgebildet wurde, unbedingt Aufmerksamkeit. Etwa seine geistliche Vokalmusik aus seiner bedeutendsten Sammlung „Delectus Sacrarum Cantionum“, die 1669 in München im Druck erschien. Sie besticht mit außerordentlichem kontrapunktischen Können, mit leuchtenden warmen Klängen und dem raffinierten Wechsel intimer solistischer und prächtiger chorischer Abschnitte, exemplarisch verwirklicht in der „Cantate laudes Mariae“, einem marianischen Lobgesang in allen erdenklichen Stimmkombinationen. Oder auch die Motette „Exultate corda devota“ belegt Kerlls hohe Vokalkunst aufs eindrücklichste: Hier wetteifern zwei Soprane, Tenor und Continuobegleitung um die Gunst des Hörers, und nachdem von Sopran und Tenor zunächst in kontemplativer Manier nacheinander die „große Frömmigkeit“ der Jungfrau Maria gepriesen wurde, vereinen sich alle drei Sänger zu reich ausgeschmücktem Jubel auf die Gottesmutter.

Johann Kaspar Kerll trat 1656 in den Dienst von Kurfürst Ferdinand Maria und bescherte als Hofkapellmeister der einst unter Orlando di Lasso berühmt gewordenen Münchner Hofkapelle eine neue Blütezeit. Eine Leistung, die umso beeindruckender ist, als mit Kerll zum ersten Mal ein deutscher Musiker das musikalische Sagen am Münchner Hof hatte, der bis dato unter italienischem Einfluss stand. Doch Intrigen italienischer Musiker waren es dann höchstwahrscheinlich, die ihn 1673 bewogen, sein Münchner Amt und damit die Leitung der Gottesdienste, der Kammer- und Tafelmusik wie auch der Hofoper aufzugeben. Kerll zog es zurück nach Wien, wo seine musikalische Karriere einst begonnen hatte, und diente dort ab 1677 als erster Hoforganist. Sein neues Amt hielt ihn aber nicht von zahlreichen Besuchen in München ab, wo er 1693 starb. Zu Lebzeiten besonders geschätzt wurden neben der geistlichen Vokalmusik seine insgesamt elf Opern – frühe Beiträge zur Geschichte der deutschen Oper, die leider alle verschollen sind. Zusätzlich erschwert wird eine angemessene Würdigung und Einschätzung Kerlls durch den Mangel an Werkausgaben. In der Reihe „Denkmäler der Tonkunst in Bayern“, veröffentlicht von der „Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte“ unter der Editionsleitung von Stefan Hörner, ist nun als Band 19 eine vorzügliche Edition seines lange Zeit verschollen geglaubten Motettenzyklus „Delectus Sacrarum Cantionum“ erschienen, für die die junge Musikwissenschaftlerin Bettina Eichmanns verantwortlich zeichnet. In ihrer modernen Ausgabe – also mit Vorzeichen, die nach modernem Gebrauch gesetzt sind, mit Balken statt der originalen Fähnchen bei Achtel- und Sechzehntelnoten – wird erstmals die große Besetzungsvielfalt dieser vokalen Ensemblemusik ersichtlich: Die insgesamt 26 Werke, die formal mitunter an die „Kleinen geistlichen Konzerte“ von Heinrich Schütz erinnern, schöpfen systematisch alle Stimmkombinationen von zwei Cantus bis vier Bässe aus, einige verlangen sogar zwei konzertierende Violinen. Vor allem aber machen diese lange Zeit verschwundenen Geistlichen Konzerte – wiedergefunden wurde der Druck von 1669 von Martin Zöbeley in Krakau – mit ihrer charakteristischen Synthese von stilistischer Vielfalt, kunstvoller Kontrapunktik und virtuosem Konzertieren bewusst, welch begnadeter Komponist Johann Kaspar Kerll wirklich war. Damit schließt diese Edition eine wichtige Repertoirelücke und verhilft einem verkannten Meister zu neuer Wertschätzung, nicht zuletzt auch dank einer kenntnisreichen, engagiert geschriebenen Einleitung Bettina Eichmanns. So bleibt dieser wunderbaren Vokalmusik nur zu wünschen, dass sie viele gelungene Aufführungen erleben möge, wie zuletzt vergangenen Herbst bei der „Residenzwoche München“ durch die von Christoph Hammer geleitete „Neue Hofkapelle München“ im Antiquarium.

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