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Michael Vetter: Pianissimo. Improvisieren am Klavier. Eine Rezeptsammlung. Zürich und Mainz: Atlantis Musikbuch-Verlag 1996. 121 Seiten, 1 CD.Als junger Mensch hatte ich Klavierunterricht, später ist das Klavierspielen irgendwie im Sande verlaufen. Und jetzt, eingebunden in Familie und Beruf, wieder neu anfangen? Solange ich nicht regelmäßig übe, hat das doch keinen Zweck… Geht es Ihnen ähnlich? Dann kann ich ein krampflösendes Medikament empfehlen: „Pianissimo“, entwickelt und getestet von Michael Vetter.
Das Buch enthält – so der Innentitel – „Klavierstücke für Nichtpianisten und solche, die es werden wollen“. Notiert sind sie ohne Noten: Kurze Texte stecken den Rahmen für das musikalische Geschehen ab, wecken häufig Assoziationen, bieten großen Handlungsspielraum für die improvisatorische Ausführung. Ein Beispiel: „Einzelne Töne, Figuren bildend, in Räumen aus Stille. So leise spiele ich, wie es nur eben geht.“ Die Spanne der Musiziervorschläge reicht von meditativer Wiederholung eines Einzeltons bis zu virtuosen Spielfiguren, von liedhaft schlichten Terzenfolgen bis zu abrupten atonalen Gesten, vom durchsichtigen pentatonischen Klanggewebe bis zum chromatischen Cluster. Vetter kostet die volle Dynamik des Instruments aus, betont aber: „Leise spielen können ist wichtiger als laut spielen können.“ Er lädt zum Lauschen ein, zum Hineinhorchen in die Eigenheiten der Ein- und Mehrklänge, der entstehenden Melodien und Rhythmen. Folgerichtig warnt er vor zu raschem Tempo, das ein „oberflächliches Ungefähr“ zur Folge hat – ohne deshalb die „Hochgeschwindigkeitskreativität“ auszuklammern.
Neben den verschiedensten Anregungen für das Spiel auf den Tasten (allein und zu zweit) kommt das direkte Bearbeiten der Saiten mit den Fingern zur Sprache, und die Verbindung mit der eigenen Stimme ist ein weiteres Thema. Bei vielen Stücken bleibt das rechte Pedal von Anfang bis Ende getreten, doch gibt es auch „trockene“ Klänge und das Aufheben der Dämpfung nur für einen Teil der Saiten. Ein Anhang mit Grundregeln zur Improvisation rundet den Text ab. Anfänger und Fortgeschrittene finden in dem Buch vielfältige Anregungen. Leser ohne Vorkenntnisse hätten kurze Erklärungen der benutzten musikalischen Fachbegriffe sicher begrüßt. Die beiliegende CD enthält fünfzehn abwechslungsreiche Beispiele zur Realisation der Konzepte. „Pianissimo“ kann all jenen helfen, die früher einmal Klavierunterricht hatten und zwanglos wieder spielen möchten; jenen, die einen unkonventionellen Zugang zum Instrument suchen, um vielleicht später Klavierstunden zu nehmen; und nicht zuletzt Klavierspielern und Lehrenden, die das gewohnte Repertoire durch Improvisation und neue Klangwelten bereichern wollen. Noch ein Hinweis auf Risiken und Nebenwirkungen: Womöglich gibt es zu Haus Diskussionen darüber, wer zuerst ans Instrument darf. Diesen Gefahren sollten Sie ins Auge sehen.