Stefan Wolpe (1902-1972): Schattenspiel-Musik op. 8 (1923) für drei Singstimmen a cappella (S.Ms.A.) (Text: Autor unbekannt) +++ Wolfgang Jacobi (1894-1972): Die Toten von Spoon River (1956/58) Vier Chansons für Bariton und Akkordeon (Klavier) (Texte: Edgar Lee Masters) +++ Ralf Hoyer (*1950): five spaces for six voices (2007) für Vokalsextett (S.Ms.A.T.Bar.B.) +++ Rozalie Hirs (*1965): silenced (2018) für Sopran und Klavier (Text: Rozalie Hirs) +++ Jérôme Combier (*1971): The Last Ebb (2019). Vier Lieder für Sopran, Flöte und Klarinette (Texte: Samuel Beckett)
Jérôme Combier (*1971): The Last Ebb (2019). Vier Lieder für Sopran, Flöte und Klarinette (Texte: Samuel Beckett)
Verlag Neue Musik Berlin NM 3090 (Set mit drei Spielpartituren)
Stilrichtung, allg. Charakter
Zart-expressiv-luzider, historisch beziehungsreicher Stil, bei dem – ohne direkte Zitate – ikonische Stücke der Tradition melodisch oder textural beschworen, palimpsestartig überlagert und mit dem eigenen, heutige Ausdrucksmittel (Vierteltöne, Geräusche) nutzenden Idiom amalgamiert werden.
Form, Struktur
Vier in freier Verbindung von Reihungs- und Variationsprinzipen individuell geformte Lieder: I. du silence (ground) und II. long sole sound (roundelay) mit unstet wechselnden Tempoebenen; III. the last ebb (cradle song) mit monodischen Zügen; IV. the summer rain rains on my life (passacaglia).
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Dauer: ca. 15 min.
schwer
Kommentar
Musikalisch betörendes Resultat einer Art kulturhistorischen Alchemie: englische und französische Texte des frühen Beckett gehen hintersinnige Verbindungen mit (teils selbst textbezogenen) Werken von Henry Purcell, Guillaume de Machaut, Maurice Ravel und einem irischen Wiegenlied ein.
Rozalie Hirs (*1965): silenced (2018) für Sopran und Klavier (Text: Rozalie Hirs)
Deuss Music Den Haag, ohne Ed.nr. (Spielpartitur), zu bestellen über Deussmusic.com
Stilrichtung, allg. Charakter
Bei tonaler Harmonik ansetzender, zunehmend dissonanter Stil, der vertraute Spielgesten (nach Art des Perpetuum mobile oder Tango) auf rhythmisch vertrackte Weise verfremdet, dazu im Wechsel syllabische Textvertonung und mit per Hand „zum Schweigen“ gebrachte, wortlose Gesangsgesten.
Form, Struktur
Auf einen außermusikalischen Vorfall bezogener, fünfteiliger Spannungsbogen, dessen erste beiden Teile nach intensiver, linearer gesungenem, akkordisch begleitetem Mittelteil variiert wiederkehren, wobei das vorgefallene Geschehen teils musikalisch symbolisiert, teils sprachlich artikuliert wird.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation
Dauer: ca. 4 min.
mittelschwer (Gesang), schwer (Klavier)
Kommentar
Geht das? Ein Klavierlied mit sozialkritischem Impetus, das in textlich bitterer und musikalisch teils ironischer Tango-Manier auf den auch im Kulturbereich alltäglichen Skandal sexueller Belästigung und des damit verbundenen Machtmissbrauchs meist männlicher Vorgesetzter stößt. Ja: Das geht!
Ralf Hoyer (*1950): five spaces for six voices (2007) für Vokalsextett (S.Ms.A.T.Bar.B.)
Edition Gravis Neuss eg 2422 (Partitur und Stimmensatz)
Stilrichtung, allg. Charakter
Unterschiedliche Grade zeitlicher Gestaltungsfreiheit aufweisende, quasi elementar-expressive Klangkomposition, die sich ausschließlich mal stimmlos, mal stimmhaft vorzutragender Phoneme oder diverser Effekte wie zwitscherndem Pfeifen oder schnellem Klopfen auf das Brustbein bedient.
Form, Struktur
Reihungsform mit fünf in Struktur, Dynamik und Verlauf unterschiedlich angelegten Feldern meist repetitiver Klangaktionen (Töne, Intervalle, rhythmische Patterns, komplexe Aktionsfolgen), wobei hinsichtlich des gestisch meist homogenen Zusammenwirkens teils begrenzte Aleatorik herrscht.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Partiturnotation ohne Metrum, teils ohne Notenlinien, mit grafisch angedeuteten Klangverläufen
Dauer: ca. 12 min.
schwer
Kommentar
Hier wird – vorbei an semantischer Aufladung durch Text oder herkömmlichen Dramaturgien des Ausdrucks – der Lust am puren Klang der Stimme und des Körpers gefrönt. Aus der Ferne grüßen vokale Anverwandlungen des Schlagzeugs im Scatgesang oder der karnatischen Musik Südindiens.
Wolfgang Jacobi (1894-1972): Die Toten von Spoon River (1956/58) Vier Chansons für Bariton und Akkordeon (Klavier) (Texte: Edgar Lee Masters)
Are Verlag Köln 2390 (Spielpartitur)
Stilrichtung, allg. Charakter
Ironisch historisierender Stil mit starkem Bezug zu genrehaften Spielgesten aus Marsch, Walzer oder Kondukt. Streng syllabischer, stark am freien Sprachrhythmus orientierter Gesang zum durch Rückungen, Alterationen, Schichtungen aller Art letztlich atonalen Spiel mit tonalen Dreiklängen.
Form, Struktur
Vier anhand asymmetrisch verbauter, mannigfaltig variierter Themen oder Spielfiguren metrisch variabel durchkomponierte Chansons voller expressiver Wendungen, harmonischer, rhythmischer Irritationen – gleichsam V-Effekte des Stolperns, Nachklapperns, In-Sich-Kreisens oder Stockens.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation
Dauer: ca. 8 min.
mittelschwer
Kommentar
Für das Konzertleben unbedingt zu reanimierende Musik eines zur Nazi-Zeit Verfemten, der hier anhand einer Auswahl aus Masters 1914 edierten gut 200 Epigrammen – auf sich selbst verfasste Nachrufe semifiktiver Kleinstadtbürger – mit Mitteln der Groteske diverse Untugenden „aufspießt“.
Stefan Wolpe (1902-1972): Schattenspiel-Musik op. 8 (1923) für drei Singstimmen a cappella (S.Ms.A.) (Text: Autor unbekannt)
Peer Music Classical New York Hamburg PCH 4461 (Partitur)
Stilrichtung, allg. Charakter
Dissonant-kontrapunktischer Stil, bei dem im Geiste der „Jungen Klassizität“, wie sie zu jener Zeit Busoni propagierte, traditionelle Satzkonzepte mit konsequent atonaler Harmonik, fluktuierendem Wechsel meist schneller Tempi und expansiver, ekstatisch-expressiver Melodik verbunden werden.
Form, Struktur
Weitgehend in dichter dreistimmiger Polyphonie an 18 meist vierzeiligen Strophen der Textvorlage entlang komponierte einsätzige, durch deutliche Zäsuren sechsteilige Form mit homophonen, streng kanonischen und choralartigen Episoden. Syllabische, punktuell auch melismatische Textvertonung.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Partiturnotation (einige Details aufgrund beschädigten Manuskripts rekonstruiert)
Dauer: mind. 5 min.
sehr schwer
Kommentar
Parodie einer mittelalterlichen Hymne an die Jungfrau Maria. Am Weimarer Bauhaus für eine geplante Puppentheaterproduktion entstandenes, erst 2019 in Dresden uraufgeführtes frühes Werk eines heimlichen Giganten jüngerer Musikgeschichte, dessen Todestag sich 2022 zum 50. Mal jährt.