Hauptrubrik
Banner Full-Size

Neue Noten 2022/09 – Neue mittelschwere bis sehr schwere Musik

Untertitel
Musik von Peter Gahn, Ayaz Gambarli, Peter Michael Hamel, Sam Hayden, Rebecca Saunders und Enno Poppe
Publikationsdatum
Body

Peter Gahn: Vermischte Landschaft I–IV für Harfe, Posaune, Schlagzeug, Violine, Violoncello, Flöte und Klarinette | Ayaz Gambarli: Mirage für Klavier | Peter Michael Hamel: ...ebenso ins offene... Sechs kleine Stücke für Violine | Sam Hayden: Picking up the Pieces für Violine | Rebecca Saunders / Enno Poppe: Taste für Violine und Klavier

Peter Gahn: Vermischte Landschaft I–IV (2016) für Harfe, Posaune, Schlagzeug, Violine, Violoncello, Flöte und Klarinette
Edition Juliana Klein EJK 0836 (Gesamtpartitur, Aufführungsmaterial leihweise)

Stilrichtung, allg. Charakter
Sensualistischer, harmonisch freier Stil. Bei Ausführung der präzise notierten Einzelparts ist höchste Aufmerksamkeit für vielerlei (Geräusch-)Klänge, sich zeitweise herausschälende melodische oder gestische Kontinuitäten, vor allem aber das begrenzt aleatorisch organisierte Miteinander gefordert.

Form, Struktur
Textural vielgestaltiges Harfen-Solo, zu dem sich wahlweise und in verschiedenen Konstellationen drei weitere Duos gesellen, wobei innerhalb der zehn je gemeinsam zu beginnenden Teilen zeitlich unabhängig agiert wird. Einzelne Phasen klar artikulierten Linienspiels vor naturhaftem Wildwuchs.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Modulare Partiturform mit einer Vielzahl von Sonderzeichen für neue Spieltechniken und verbaler Anweisungen (u.a. zur Gestaltung der Anschlüsse)
Dauer: ca. 12 min.
schwer

Kommentar         
Etwas unelegant titulierte, polyperspektivische Landschaftsbeschreibung der abstrakt-musikalischen Art, die neben den Zuhörern in besonderem Maße auch die von exakter Koordination entlasteten Musiker zum meist kontemplativen Erlauschen dieses veritablen Zaubergartens der Klänge einlädt. 


Ayaz Gambarli: Mirage (2018) für Klavier
Universal Edition Wien UE 38069 (Sammelband mit weiteren Miniaturen von Dimitris Maronidis und Ignacio Brasa Gutiérrez)

Stilrichtung, allg. Charakter
Weitgehend kontemplativer Sfumato-Stil atonaler Prägung mit relativ einfachen, teils klassischer Moderne entlehnten Spielgesten (z.B. Debussy, Janáček, Messiaen). Arbeit mit wenigen, je leicht variierten Zentralmotiven im ruhigen Ineinander meist gedämpften Spiels auf Tasten und Saiten. 

Form, Struktur
Einsätzige Form, in der sich in Korrelation mit eng benachbarten Tempoebenen drei Texturtypen (je mit Tendenz zu disparater Abfolge kurzer Einzelaktionen, zu stetem Wechsel zwischen Klang und Melos, zu unterbrochenem Terz-Pendeln mit Kuckucksrufen) abwechseln, später auch verquicken.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Traditionelle Partitur
Dauer: ca. 6 min.
mittelschwer

Kommentar 
Siegerstück des auf Musikernachwuchs ausgerichteten Mauricio Kagel-Kompositionswettbewerbs 2019. Atmosphärisch stimmige Umdeutung sommerlich leuchtender Farben und kaleidoskopischer Luftspiegelungen in aserbaidschanischer Küstenlandschaft. Der Band hält weitere Preziosen bereit.


Peter Michael Hamel: ...ebenso ins offene... (2002) Sechs kleine Stücke für Violine
E.R.P. Musikverlag Eckart Rahn Berlin M-700252-16-8 (Spielpartitur)

Stilrichtung, allg. Charakter
Musikkulturell integrativer Stil, bei dem mit erweitertem Intonations- und Artikulationsspektrum im Wechsel indisch und abendländisch verwurzelte modale bzw. zwölftönige Tonsysteme mal sanglich expressiv, motorisch repetitiv, exuberant tänzerisch oder ritualartig gefasst durchschritten werden.

Form, Struktur
Sechs formal individuell gestaltete Miniaturen mit ein paar übergreifenden motivisch-gestischen Bezügen, in denen mal in diskursiver oder ritueller Manier, mal als Klang- oder Bewegungsprozess dodekaphones oder (meist nach additiven Prinzipien entwickeltes) modales Melos artikuliert wird.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Traditionelle Partitur, vereinzelte verbale Anweisungen/Sonderzeichen für neuere Spieltechniken, dazu kleine Schautafeln mit jeweils verwendeten Tonvorräten 
Dauer: ca. 14 min.
schwer

Kommentar         
Der Wechsel des Bezugssystems mal temperierter, mal reiner Stimmung für die Tonhöhennotation der Stücke und die daher allseits fälligen mikrotonalen Vorzeichnungen könnten Verwirrung stiften, verdeutlichen aber gut die Relativität des in heutigem Bewusstsein so stur verankerten Tonsystems.


Sam Hayden: Picking up the Pieces (1990-91/rev. 2019) für Violine
Verlag Neue Musik Berlin NM 2988 (Spielpartitur)

Stilrichtung, allg. Charakter
Aus archaisch und schlicht anmutender „Folklore imaginaire“ hervorwachsender rhapsodischer Stil, dessen detailreiche, rätselhafte Gestaltvielfalt das Flair aberwitzigen Improvisierens verbreitet und dem Geiger bis in ätherische Höhen intonatorische Feinheiten und höchste Spannkraft abverlangt.

Form, Struktur
Sich mit vielfach an- und abschwellendem Spannungsverlauf vollziehende, komplexe Großform.
Nach dem Prinzip ständiger Metamorphose in allen musikalischen Parametern immer stärker ausdifferenzierter, von prägnanten Harmonie-, Register- und Texturwechseln geprägter Diskurs.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Komplexes Partiturbild in traditioneller Notation
Dauer: ca. 14 min.
sehr schwer

Kommentar         
Geradezu symphonisches Adagio für ein Soloinstrument, dessen labyrinthischer Verlauf aufgrund fesselnder Dramaturgie des Werdens und Vergehens absolut zwingend erscheint. Musik, die im besten Sinne die Frage danach, wie sie gemacht sei, zugunsten jener, was sie sei, beiseite schiebt.


Rebecca Saunders / Enno Poppe: Taste (2020–22) für Violine und Klavier
Edition Peters Leipzig EP 14653 (Partitur)

Stilrichtung, allg. Charakter
Expressiv-gestischer Stil zwischen zart tastender und dramatisch zugespitzter Klangrede, die auch Phasen annähernden Stillstands durchläuft. Das äußerst variabel zu artikulierende vibrierende und mäandernde Geigenmelos trifft auf pointierte Cluster-, Glissando- und Pedalaktionen des Klaviers.

Form, Struktur
Freie Reihung von 21 individuell gestalteten, bis zu 37 Takten langen Phrasen der v.a. die G-Saite traktierenden Geige, die in einen quecksilbrigen Dialog mit der oft insulär auftretenden explosiven, selten auch expansiver aufrauschenden Klaviergestik treten. Ausnahme: diskret getrennte Tonhöhen.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Traditionelle Partitur mit wenigen ungewohnten Grafismen für Gleit- und Clusterbewegungen
Dauer: ca. 21 min.
sehr schwer

Kommentar        
Die quasi alchemistische Verschmelzung zweier älterer Stücke – „Shadow“ für Klavier von Saunders und „Schmalz“ für Violine von Poppe – ergibt eine musikalisch faszinierende Charakterstudie der schizophrenen Art. Und dem Tasten der Finger werden neue Dimensionen präzisen Spiels eröffnet.
 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!