Johannes X. Schachtner: Sieben letzte Worte | Evan Johnson: Del maravigliarsi | Vivienne Olive: Love, Orange Days and Summer Winds | Arnulf Herrmann: Tour de Trance | Thomas Buchholz: Goldberg-Intermezzi
Neue Noten 2025/02 – Kompositionen mit Stimme(n)
1
Johannes X. Schachtner: Sieben letzte Worte (2023), Aphorismen für Bariton und Violoncello
Verlag Neue Musik Berlin, NM 4163 (Spielpartituren)
Stilrichtung, allgemeiner Charakter
Mit stark reduzierten musikalischen Mitteln fängt der Komponist die Essenz der bekannten sieben Christusworte aus den Evangelien ein, indem er eine einfache, syllabische Textvertonung mit darauf bezogenen instrumentalen Texturen kombiniert.
Form, Struktur
Jeder der sieben kurzen Aphorismen hat eine eigene, freie Formgebung und basiert auf dem aufeinander abgestimmten Zusammenwirken jeweils gewählter Mittel der Textvertonung und einer ihnen zugeordneten klanglich-gestischen Idee im Violoncellopart.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Die Notation ist durch leicht zu entschlüsselnde Anweisungen zum Klopfen auf dem Instrumentenkorpus und zum Einsatz der Sprechstimme erweitert.
Dauer: ca. 5 Minuten
Schwierigkeitsgrad: mittelschwer bis schwer
Kommentar
Die besondere Herausforderung des Zyklus besteht darin, den individuellen Ausdruck und Klangcharakter jedes einzelnen Christuswortes adäquat einzufangen und die Abfolge der sieben Aphorismen zu einer dramaturgischen Einheit zu formen.
2
Evan Johnson: Del maravigliarsi (2022) für Sopran und Klavier auf einen Text von Leonardo da Vinci
Edition Gravis, Brühl. eg 3040 (Spielpartituren)
Stilrichtung, allgemeiner Charakter
Eine von Leonardo gefertigte Liste anatomischer Fragestellungen wird in eine stark zurückgenommene, geradezu introvertierte Musik aus konzentrierten Stimm-, Klang- und Geräuschaktionen an der Grenze der Wahrnehmung übersetzt.
Form, Struktur
Die einsätzige Komposition besteht aus fein gestalteten Ereignissen, die in einem annähernd bogenförmigen Verlauf solistisch oder gemeinsam unter Verwendung differenzierter Gesangs- und Spieltechniken am Textauszug aus Leonardos Tagebüchern entlang hervorgebracht werden.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Die kalligrafisch und rhythmisch ausgefeilte Notation steckt voller Detailinformationen und erfordert, gestützt durch ein ausgedehntes Vorwort, eine intensive Einarbeitung.
Dauer: ca. 11 Minuten
Schwierigkeitsgrad: sehr schwer
Kommentar
Die Komposition eignet sich nur für sehr erfahrene Interpret:innen und setzt ein Höchstmaß an Kontrolle beim Umgang mit Stimme und Instrument voraus; im Sinn einer „Etüde in Offenheit“ (Johnson) bleibt die Musik unvorhersehbar und verzichtet dabei auf jegliche Theatralität.
3
Vivienne Olive: Love, Orange Days and Summer Winds (2019), Liederzyklus auf Gedichte von Pam Morehead für Singstimme (tiefe Männerstimme) und Klavier
Furore Verlag, Kassel. fue 15073 (Singpartituren)
Stilrichtung, allgemeiner Charakter
Die Komponistin verbindet Liebesgedichte der amerikanischen Dichterin Pam Morehead zu einem vierteiligen Zyklus, der unterschiedliche Grade von Nähe oder Distanz zur vertrauten Tonalität als Mittel der dramaturgischen Gestaltung über vier Stationen hinweg einsetzt.
Form, Struktur
Jedes der vier Lieder geht von bestimmten, aus den zugrundeliegenden Gedichten abgeleiteten musikalischen Ideen aus, die zur Schaffung individueller musikalischer Atmosphären beitragen. Gesangstimme und Klavierpart sind kompositorisch jeweils eng aufeinander bezogen.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Die Notation weist keinerlei Besonderheiten auf.
Dauer: ca. 15 Minuten
Schwierigkeitsgrad: mittelschwer
Kommentar
Die Lieder werden von dicht verzahnten melodischen Liniengeflechten beider Ausführenden dominiert; zur Vertiefung der vorherrschenden Stimmungen wird das Miteinander immer wieder zugunsten kürzerer, allein dem Klavier vorbehaltener Passagen ausgesetzt.
4
Arnulf Herrmann: Tour de Trance (2017/2022) für Sopran und Klavier auf einen Text von Monika Rinck
Edition Peters, Leipzig. EP 14258 (Spielpartituren)
Stilrichtung, allgemeiner Charakter
Ausgehend von engen, mikrointervallischen Tonumkreisungen über hart angeschlagenen, resonierenden Akkordschichtungen zeichnet das Lied einen Zustand seelischer Erschütterung nach, der sich im Abtasten vokaler Extremlagen und zunehmend polyphonen Klaviertexturen äußert.
Form, Struktur
Über vier vom Charakter her unterschiedliche, variativ aufeinander aufbauende Abschnitte hinweg vollzieht die Komposition einen Entwicklungsverlauf, der durch Anwachsen rhythmischer Komplexität und Steigerung der Ausdrucksintensität charakterisiert ist.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Die Stimme ist unter Einbeziehung von Vierteltonabstufungen notiert; der Klavierpart erstreckt sich passagenweise auf drei Systeme.
Dauer: ca. 6 Minuten
Schwierigkeitsgrad: sehr schwer
Kommentar
Das für beide Ausführende herausfordernde Lied lässt sich als musikalischer Widerhall eines katastrophischen Ereignisses begreifen. Der einkomponierte Wechsel der Führungsrolle vom Sopran zum Klavier erweist sich als zentrale interpretatorische Aufgabenstellung.
5
Thomas Buchholz: Goldberg-Intermezzi (2024), Neun Vokalisen für vier gemischte Vokalstimmen
Verlag Neue Musik Berlin. NM 4088 (vier Partituren)
Stilrichtung, allgemeiner Charakter
In gemäßigt moderner Stilistik komponiert, sind die neun textlosen, aber technisch durchaus anspruchsvollen Singstücke als zeitgenössischer kompositorischer Kommentar zu Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“ gedacht.
Form, Struktur
Form und Struktur der Kompositionen werden mit jeweils konkretem Bezug auf einzelne Teile des Bach’schen Variationszyklus („Aria“, Variationen 7, 16, 18, 20, 22, 24, 27 und 30) und den darin vorkommenden musikalischen Elementen oder Kompositionstechniken entwickelt.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Die meisten Stücke sind herkömmlich notiert; in zwei Fällen (Nr. 5 und 6) finden sich leicht zu erschließende Besonderheiten der Notation (miteinander verschränkte Stimmen und Mobile-Kästchen).
Dauer: ca. 16 Minuten.
Schwierigkeitsgrad: schwer.
Kommentar
Die Stücke entfalten ihre Wirkung am besten als Einschübe in eine Aufführung der „Goldberg-Variationen“. Ergänzend hierzu hat der Komponist im Anhang eine Bearbeitung der abschließenden „Aria“ für Tasteninstrument und Stimmen hinzugefügt, um alle Mitwirkenden zusammenzuführen.
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