Asia Ahmetjanova: א (Aleph) (2016) für Tuba +++ Jérôme Combier: Freezing Fields (2017) für Violoncello und Klavier +++ Sascha Janko Dragićević: Autogamie (2005/06) für Fagott und elektronische Klänge +++ Leopold Hurt: Fred Ott's Sneeze (2011) Klarinette/Bassklarinette in B, Violine, Violoncello, Schlagzeug (Würfelspiel, stabiler Holztisch, Vibraphon), Klavier und Zuspielungen +++ Uroš Rojko: Tongen II (1986) für zwei Kontrabässe
Asia Ahmetjanova (*1992): א (Aleph) (2016) für Tuba
Collection Jack-Adler-McKean, Edition Gravis Brühl, eg 2530 (Spielpartitur)
Stilrichtung, allg. Charakter: Agogisch in hohem Maße intuitiv zu gestaltendes Stück mit improvisatorischem Charakter. Etüde in Zweistimmigkeit, bei der über weite Strecken gleichzeitig zu spielen und zu singen ist. Der dafür erforderliche Kraft- und Koordinationsaufwand führt zum Gestus steten Ringens mit dem „Biest“.
Form, Struktur: Durchkomponierte Form, anhand von Artikulation und Tonvorräten klar unterteilbar in drei kurze, zwischen Lento und Presto schwankende Abschnitte und einen ausgedehnten Accelerando-Schluss. Tonfolgen wie Glissandi bewegen sich innerhalb klar definierter Tonräume (meist Quartraum f-h).
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Anders als Tonhöhen werden Dauern bewusst unscharf (Balken als Schlangenlinien etc.) und proportional notiert. ca. 6 min. schwer
Kommentar: Wo das hebräische „Aleph“ für „den Menschen, der seinen Atem empfindet“ (R. Steiner) bzw. das Luft-Element steht, in das sich sprachliche Formen einschreiben, erscheint die Wahl des besonders korpulenten Instruments durch die lettische Komponistin schlüssig. Dennoch eher eine Petitesse.
Jérôme Combier (*1971): Freezing Fields (2017) für Violoncello und Klavier
Verlag Neue Musik Berlin, NM 3023 (Partitur und Stimmensatz)
Stilrichtung, allg. Charakter: Klanglich breit gefächerter, aber konzis gefasster Sensualismus zwischen Rührung und Erstarrung, mit romantisch-expressivem Einschlag. Gut dosierter Einsatz neuerer Spieltechniken (Aktionen im Klavierinnenraum, erhöhter Bogendruck, etc.), Perkussives stets gedämpft und weich, niemals grob.
Form, Struktur: Drei zyklisch angelegte Sätze, die ein dichtes Netz interner Verweise und Ableitungen in Gestalt bestimmter Texturtypen verbindet, davon mit je extra markantem Auftritt in den Einzelsätzen: 1. polytemporal aufgefächerte Klänge, 2. rasche, girlandenartige Impulsfolgen, 3. mikrotonales Melos.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Herkömmliche Partiturnotation mit Sonderzeichen für Vierteltöne, neue Spieltechniken (dreiseitige Legende) / Dauer: ca. 15 min. / sehr schwer
Kommentar: Für den frostigen Titel erstaunlich warm timbriertes Erinnerungsspiel zwischen Zuständen von Bedrängnis und Besänftigung, Stoizismus und Verzweiflung, Trance und Tristesse. Man ist von den kompositorischen Feinheiten der Musik so angetan, wie von ihrem leicht morbiden Charme betört.
Sascha Janko Dragićević (*1969): Autogamie (2005/06) für Fagott und elektronische Klänge
Edition Gravis Brühl eg 2257 (gebundene Partitur, zusätzlich Schiebeblätter)
Stilrichtung, allg. Charakter: Hyperaktiv-noisige MINT-Fächer-Musik, quasi-organisch hervorgetrieben aus einem zentralen gestischen Impuls, sich räumlich weitend durch druckvolle, teils bedrohliche elektronische Sounds. Erfordert, was erweiterte Spieltechniken betrifft, einen mit allen Wassern gewaschenen Virtuosen.
Form, Struktur: Auf mathematischen, fraktalähnlichen Grundlagen streng durchstrukturierte Form in zehn Teilen, die im abwechselnd dynamischen oder statischen Gehalt zunächst klar gegeneinander abgesetzt sind, die Statik starrer Mehrklänge zugunsten wachsenden Tumults immer weiter hinter sich lassen.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Herkömmliche Notation mit Referenzsymbolen für 19 verschiedene Multiphonics (extra Legende) Sonderzeichen für Mikrotöne und spezielle Artikulationsweisen; ausführliche Werkeinführung. / ca. 10 min. / sehr schwer
Kommentar: Atemraubende Musik des „Horror vacui“ und steter Eskalation, stets auf der Schwelle zum finalen Kollaps. Der Titel verweist auf den biologischen Vorgang der Selbstbefruchtung. Für den Spieler stehen vier verschieden aufwändige Versionen mit oder ohne (live-)elektronischen Klängen bereit.
Leopold Hurt (*1979): Fred Ott's Sneeze (2011) Klarinette/Bassklarinette in B, Violine, Violoncello, Schlagzeug (Würfelspiel, stabiler Holztisch, Vibraphon), Klavier und Zuspielungen
Edition Juliane Klein EJK 0602 (Partitur)
Stilrichtung, allg. Charakter: Musikalischer Surrealismus voller überraschender Stimmungs-, Farb- und Texturwechsel, der von signalartigen Motiven, anekdotischen (Würfelspiel-)Klängen, schattenhaften Instrumentaldoubles und äußerst präzisem Timing zusammengehalten wird. Einer Traumlogik folgender Erzählcharakter.
Form, Struktur: Einsätzige Form, die angeregt durch eine der frühesten kinematographischen Aufnahmen (Kurzfilm gleichen Titels von 1894) filmische Techniken (Schnitt, Montage, Überblendung, Zoom) adaptiert und als nahezu perfektes Amalgam aus Live-Spiel und daraus abgeleiteten Samples konzipiert ist.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Herkömmlich notierte Partitur (exakte Zeitangaben, extra Systeme für Clicktrack und Darstellung der zugespielten Inhalte). / Dauer: 11 min. / ziemlich schwer
Kommentar: Die Absurdität eines fünfsekündigen Films, dessen Handlung lediglich aus dem schnupftabak-bedingten Niesen des Fred Ott besteht und Thomas Edison seinerzeit dazu veranlasste, das allererste Filmcopyright zu beantragen, wird hier auf kurzweilige, prägnante Weise auf die Musik übertragen.
Uroš Rojko (*1954): Tongen II (1986) für zwei Kontrabässe
Verlag Neue Musik Berlin NM 846 (Set mit zwei Spielpartituren, Ringbindung)
Stilrichtung, allg. Charakter: Extrem dissonanter Stil, bei dem Einzelklänge durch vielfältige Artikulationsweisen belebt werden. Exzessives Spiel mit diversen Phänomenen der Reibung (Vierteltönigkeit, starker Bogendruck, perkussive Aktionen, zeitversetzte Glissandi etc.) treibt. Äußerste Wildheit dank präziser Setzung...
Form, Struktur: Einsätziger Steigerungsverlauf in vier Teilen, die jeweils von vierteltönig gedoppelten Zentraltönen geprägt sind, wobei diese als Klangachsen in den Binnenteilen immer stärkeren Anfechtungen (Flageolets, lange Pausen, Glissandi, chromatische Verdichtung des Satzes etc.) ausgesetzt sind.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Normale Partiturnotation (ohne jegliche Vortragsbezeichnung!), grafische Symbole für variabel auszuführende Artikulationsweisen. / Dauer: ca. 12 min. / sehr schwer
Kommentar: Seit seinen Anfängen einer der stärksten Komponisten seiner Generation, wie dieses elementare Urgewalten entfesselnde, neu edierte Duo von 1986 bezeugt. Zwei konfliktfreudige Charaktere mit ähnlichem, dennoch individuellem Zungen- (ndl. „Tongen“)schlag, sich fatal ineinander verkeilend.