Mark Barden (*1980): viscera (2010/11) für Viola, Violoncello und fünfsaitigen Kontrabass (mit Skordatur) – Edition Peters Leipzig +++ Dietrich Eichmann (*1966): Blasted Blazes (1997) für Streichtrio – Edition Gravis Brühl +++ Theo Loevendie (*1930): Dance for Two or Three (2017) für A-Klarinette, Violine mit Sopran-/Sopraninoblockflöte oder Piccoloflöte ad libitum – Peermusic Classical +++ Jörg-Peter Mittmann (*1962): selbdritt (2008) Szenische Kammermusik für drei Violinen, optional auch zwei Violinen und Viola +++ Christian Wolff (*1934): Trio V for James Tenney (2006) für Klavier vierhändig und einen Schlagzeuger – Edition Peters Leipzig
Mark Barden (*1980): viscera (2010/11) für Viola, Violoncello und fünfsaitigen Kontrabass (mit Skordatur) – Edition Peters Leipzig, EP 14430 (Spielpartitur)
Stilrichtung, allg. Charakter: Zerrütteter Expressionismus. Der extrem ereignisreiche, Grenzen der Fasslichkeit meist gewaltsam sprengende Satz schöpft aus immensem Repertoire impulsiver und komplexer Einzelgesten mit hohem Geräuschanteil. Als Kontrastmittel temporär hervortretende Reibe-, Gleit- und Liegeklänge.
Form, Struktur: Einsätzige Form, die durch eine klare Auftrittsdramaturgie der Akteure plastisch wird. Einem Cello-Solo folgt ein Duo mit Viola, ein Kontrabass-Solo, eine prekäre „Menage à trois“, die nach Klimax und Fermate klanglich zu Duo (Gestengestöber) und Solo (Doppelflageoletts) zerfällt, dann erlischt.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Herkömmliche Partitur mit polytempischen Episoden. Viele Sonderzeichen für neue Spieltechniken und ungefähre Klangresultate grenzgängerischer Instrumentalaktionen. Dauer: ca. 7 min. | sehr schwer
Kommentar: Musik explosiver Eloquenz, die zum furchtlosen Eintauchen in die Eingeweide (lat. „viscera“) einer extrem körperbetonten Virtuosität einlädt. Konfliktbehaftete, aggressive, gewalttätige, verzweifelte, sehnsüchtige, sanfte Momente lassen das Stück als markerschütterndes Psychodrama erscheinen.
Dietrich Eichmann (*1966): Blasted Blazes (1997) für Streichtrio – Edition Gravis Brühl, eg 2461 (Partitur und Stimmensatz)
Stilrichtung, allg. Charakter: Musikalisches Ideendrama, in dem zwei Idiome miteinander konkurrieren: swingende Leichtigkeit jazzig harmonisierten Zwiegesangs mit gezupfter Begleitung einerseits, harmonisch starre, immer unsteter und druckvoller artikulierte Kakofonien samt plötzlicher Bewegungsschübe andererseits.
Form, Struktur: Einsätzige Form, hergeleitet aus bipolarem Geschehen, bei dem sich gegensätzliche Satztypen und Ausdruckssphären in sechs disproportional anwachsenden Abschnitten plus Coda abwechseln, aber auch in verschiedenem Maße gegenseitig bedrängen, infizieren oder durchführungsartig verbinden.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Herkömmliche Partiturnotation (relativ stabile Metrik, immer flexiblere Artikulation), Dauer: ca. 11 min. | schwer
Kommentar: Schwer zu sagen, welche Gluten (blazes) hier gesprengt (blasted) worden sein sollen: Jedenfalls weicht die leicht zerzauste Unbeschwertheit des Anfangs nach und nach dem fast beklemmenden musikalischen Protokoll einer Bedrängnis oder Heimsuchung (Migräne, Tinnitus, innere Zwänge?).
Theo Loevendie (*1930): Dance for Two or Three (2017) für A-Klarinette, Violine mit Sopran-/Sopraninoblockflöte oder Piccoloflöte ad libitum – Peermusic Classical New York Hamburg PCH 4166 (Partitur und Stimmensatz)
Stilrichtung, allg. Charakter: (Tanz-)rhythmisch teils vertrackte, von musikantischer Spielfreude geprägte „Folklore imaginaire“, in der Country-and-Western-typisches Fiddeln (kreisende Melodik, Borduneffekte) mit dissonanter Würze, Bläserfarben und den unregelmäßigen Rhythmen türkischer Volksmusik verbunden wird.
Form, Struktur: Rondoartige Form mit zentral eingeschobenem Lento mit innigem Melos von Klarinette und Geige. Kurze, geradtaktige Ritornelle wechseln sich mit längeren, satztechnisch vielgestaltigeren Episoden (Zäsuren, variable Metren) ab. Über weite Strecken herrscht ein durchgehender Sechzehntelpuls.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Traditionelle Partiturnotation, Dauer: ca. 5 min. | schwer
Kommentar: Dieses gewitzte und sehr unterhaltsame Stück geht auf ein Geigensolo von 1986 zurück, das mit gutem Grund zu Loevendies meistgespielten Werken zählt und sukzessiv um weitere Stimmen erweitert wurde. Der Geiger hat mit am Fuß angebrachten Schellen auch rhythmisch zu stampfen.
Jörg-Peter Mittmann (*1962): selbdritt (2008) Szenische Kammermusik für drei Violinen, optional auch zwei Violinen und Viola – Verlage Neue Musik Berlin NM 2917 (Partitur und Stimmensatz)
Stilrichtung, allg. Charakter: Instrumentales Theater als Allegorie sozialer Interaktion innerhalb homogener Orchestergruppen. Zahlreiche überraschende Wendungen anhand choreographisch erweiterter Palette gegensätzlicher Ausdruckswerte und neuerer Streichertechniken (Artikulationsweisen, Vierteltöne, Geräuschanteil).
Form, Struktur: Episodische Form, deren zweite Hälfte anhand klarer Textur-, Tempo- und Dynamikwechsel immer kleinteiliger wird, jedoch auf die Ausgangssituation (Wechsel zwischen Tutti- und Divisi-Passagen) durch das melodische und harmonische Permutieren eines zentralen Tonvorrats Bezug nimmt.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Herkömmliche Partiturnotation mit szenischen Anweisungen, nicht-metrischen und begrenzt aleatorischen Episoden. Dauer: ca. 10 min. | schwer
Kommentar: Hier werden auf musikalisch prägnante, szenisch unterhaltsame, dramaturgisch vielleicht nicht immer ganz schlüssige Weise kommunikative Situationen zwischen Anpassung, Austausch, Disput und Verweigerung inszeniert. Bevorzugt im Stehen und aus einem Notenexemplar zu spielen.
Christian Wolff (*1934): Trio V for James Tenney (2006) für Klavier vierhändig und einen Schlagzeuger – Edition Peters Leipzig EP 68174 (Spielpartitur)
Stilrichtung, allg. Charakter: Sehr fasslicher, im besten Sinne freier Stil, der sukzessiv tonale, zwölftönige, serielle, aleatorische, improvisatorische, anekdotische Züge (u.v.m.) anzunehmen vermag und dabei doch völlig schlüssig erscheint. Spieltechnisch reduziert, umso mehr zu hellhöriger, feinfühliger Interaktion einladend.
Form, Struktur: Einsätzige Reihungsform, deren elf Abschnitte unterschiedlichste Texturen mit je genau dosierten Freiheitsgraden in puncto Zusammenspiel und Gestaltung musikalischer Details (Auswahl von Tonhöhen, perkussiven Klangfarben oder Schlüsselung, Abfolge gegebener Module etc.) aufweisen.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: Unkonventionell und selektiv genutzte traditionelle Notationsweisen, ergänzt um einfache Symbole und Anweisungen zur Koordination. Dauer: variabel (ca. 12-15 min.) | technisch leicht, kommunikativ anspruchsvoll
Kommentar: Sympathisch unprätentiöses Tombeau für den zu früh verstorbenen Altersgenossen James Tenney, dessen eigene kompositorische Vielseitigkeit sich im spielerischen Facettenreichtum dieses Trios (inkl. melancholisch angehauchtem Melos und gut versteckter Buchstabensymbolik) widerspiegelt.