Gwyn Pritchard: Objects in Space (1978) für Klarinette in B, Harfe und Schlagzeug (Holz, Metall) +++ Jānis Petraškevičs: Text & Alphabet (2018) für Violine, Klarinette in B und Klavier +++ Hans-Joachim Hespos: M I A S (2020) für Es-Klarinette und zwei Spieler an großer Metallscheibe (UFIP Tam Tam) mit diversen Utensilien +++ Sara Glojnarić: Sugarcoating #2 (2017) für Klarinette, Violoncello, präpariertes Klavier und elektronische Zuspielung (Laptop, Mischpult, 2 Lautsprecher) +++ Samuel Andreyev: Vérifications (2012) für Piccolo, Musette, Piccoloklarinette in As, Schlagzeug, Casio SK-1 Keyboard (mit Verstärker und Lautstärkenpedal) und Violoncello
Samuel Andreyev (*1981): Vérifications (2012) für Piccolo, Musette, Piccoloklarinette in As, Schlagzeug, Casio SK-1 Keyboard (mit Verstärker und Lautstärkenpedal) und Violoncello
Edition Impronta IE-SA-9-2018 (Spielpartitur, Leihmaterial auf Anfrage)
Stilrichtung, allg. Charakter
Fein ziselierte, Kindheitserinnerungen beschwörende, durchweg freundlich gestimmte Musik im Stil naiver Klangmalereien. Spielerische Bewegungshaltungen im mitunter leicht derangierten Miteinander treffen auf Aspekte von Melomanie und die Nostalgie historischer Keyboardklänge.
Form, Struktur
An klassische Modelle angelehnte viersätzige Form: 1. lebendiger Diskurs zwischen musikalisch eigensinnigen Charakteren; 2. langsam, vielfarbig sich entfaltendes Melos; 3. launiges Scherzo mit patchworkartiger Faktur; 4. sechsteiliger, konduktartiger Variationssatz mit fünftönigem Leitmotiv.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Partitur
Dauer: ca. 11 min.
sehr schwer
Kommentar
Andreyev gelingt es hier auf bestrickende Weise, lange gehegte Klangvorstellungen zu verifizieren, für die die geeigneten Mittel erst gefunden werden mussten, darunter ein billiger Sampler aus den 1980er Jahren, die barocke Musette, Blechdosen und die selten gespielte Piccoloklarinette in As.
Sara Glojnarić (*1991): Sugarcoating #2 (2017) für Klarinette, Violoncello, präpariertes Klavier und elektronische Zuspielung (Laptop, Mischpult, 2 Lautsprecher)
Edition Juliane Klein EJK 1015 (Studienpartitur)
Stilrichtung, allg. Charakter
Musikalischer Neo-Fauvismus. Weitgehend geräuschsatter, gestisch aggressiver Parforce-Ritt, der den Musikern aufgrund des textural extrem sprunghaften, dabei fast durchweg homorhythmischen Verlaufs eine geradezu übermenschliche, ja explizit roboterhafte Koordinationsleistung abverlangt.
Form, Struktur
Einsätzige Form, bei starken Tempo- und Dynamiksprüngen unregelmäßig montiert aus etwa einem Dutzend verschiedener, teils repetitiver, teils variiert aufgegriffener Solo- oder Tutti-Texturen. Kurz wird verzerrtes Material der live gespielten Musik elektronisch zugespielt. Tonlose, visuelle Coda.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Partitur, erweitert um grafische Elemente (erweiterte Spieltechniken, mäandernde Tonbewegungen, oszillierende Klangeffekte)
Dauer: ca. 9 min.
sehr schwer
Kommentar
Mit „Schönfärberei“ ironisch betitelte Metamusik als polemisch angereichertes Spiel mit statistisch gewonnenen Erkenntnissen über die parametrische Beschaffenheit der Popmusik der letzten 50 Jahre und deren übergreifende Verarmungstendenzen in puncto Tonsatz, Klangfarbe, Dynamik.
Hans-Joachim Hespos (*1938): M I A S (2020) für Es-Klarinette und zwei Spieler an großer Metallscheibe (UFIP Tam Tam) mit diversen Utensilien
hespos H 204 E (Spielpartitur, Schiebeblattausgabe)
Stilrichtung, allg. Charakter
Klangaktionistischer „Stylus phantasticus“: Alles Musizieren und Musikhören steht hier auf dem Prüfstand eines sich unbeugsam allen schlampigen Routinen entziehenden Geistes. So gilt es, mit erhöhter Bereitschaft zu extremen Spielhaltungen vieles vorher Ungeahnte, Rätselhafte zu wagen.
Form, Struktur
„Hochdifferenziert immer wieder neuAndere hörräume aufstoßendem“ erstem Teil (3,5 min.) und fragil-leisem Intermezzo (1,5 min.) folgt „chaotisches toben“ (je zwei nach genauem Zeitplan auszuschöpfende Materialpools für Bläser und Schlagduo; 6,5 min.) und „zäher“ Epilog (1,5 min.).
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Um zahlreiche Symbole für ungewöhnliche Spieltechniken (mehrseitige Legende) und verbale Anweisungen erweiterte Notation, deren Dauern v.a. grafisch proportional aufzufassen sind.
Dauer: ca. 13 min.
sehr schwer (hoher Lese-/Einstudierungsaufwand, spieltechnisch extrem vielseitige Anforderungen)
Kommentar
Diesem eindringlichen, für Spieler wie Zuhörer im wachküssenden Sinne widerborstigen Stück – dem gleichgesinnten Schlagzeuger Matthias Kaul in memoriam gewidmet – geht in der Partitur Friedrich Schillers abgrundtief schwarze, akustisch assoziationsreiche Fantasie „Die Pest“ voraus.
Jānis Petraškevičs (*1978): Text & Alphabet (2018) für Violine, Klarinette in B und Klavier
Edition Gravis eg 2757 (Partitur, Satz mit Spielpartituren auf Einzelblättern)
Stilrichtung, allg. Charakter
Polyphonisch-diskursiver Stil, bei dem die chromatische Tastenordnung des Klaviers auf die durch spezielle Klarinettengriffe feinst ausdifferenzierte Welt der Mikrotöne und die flexible Tongebung der Violine trifft. Rhapsodischer Spannungsverlauf zwischen leisem, ruhigem Beginn und Ende.
Form, Struktur
Dreiteilige, nach turbulentem Schlussteil in überraschend reduziertem Epilog mündende Form, die durch ein eher lockeres Netz klingender Bezüge (v.a. durch die mikrotonalen Klarinettenmotive) zusammengehalten wird. Insgesamt viermal reduziert sich das Geschehen auf Duo-Konstellationen.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
traditionelle Notation
Dauer: ca. 10 min.
sehr schwer
Kommentar
Einigermaßen rätselhaft bleiben die „Buchstaben“ des im Titel genannten Alphabets, die zu diesem „musikalischen Text“ gesetzt wurden: Vielleicht geht es ja um ein Herantasten an (Klang-)Sprache auf dem hinsichtlich syntaktischer/satztechnischer Ordnung schwierigen Feld der Mikrotonalität?
Gwyn Pritchard (*1948): Objects in Space (1978) für Klarinette in B, Harfe und Schlagzeug (Holz, Metall)
Verlag Neue Musik Berlin NM 1298 (Partitur, Satz mit Spielpartituren auf Einzelblättern)
Stilrichtung, allg. Charakter
Diskursiver Stil in freier Zwölftönigkeit, erweitert um wenige vierteltönige Klarinettentriller und präzis gesetzte, auratische Schlagzeugeffekte. Große expressive Bandbreite zwischen geheimnisvoll nächtlicher Stimmung und expressiver Melodik, zartem und hochenergetischem Zusammenspiel.
Form, Struktur
Formal verschachtelter Einsätzer, dessen Episoden sich im freien Wechsel aus drei musikalischen Sphären speisen, jeweils definiert durch eigene Tempo/Zeitordnung, harmonisch charakteristische Akkorde, besondere perkussive Timbres und unterschiedlich stark variierte Motive und Texturen.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche, teils metrische, teils proportionale Notation (mit Einsatzzeichen)
Dauer: ca. 13 min.
schwer
Kommentar
Zur Zeit wird hier der Raum: Gut vierzig Jahre nach seiner Entstehung erstmals ediert, trägt dieses Stück sehr zu Recht einen Titel, der größtmögliche Perspektiven-Vielfalt verheißt. Einladung zum spannenden Unterfangen, den kompositorischen Ausgangsobjekten ggf. auf die Spur zu kommen.