Hans-Joachim Hespos (*1938): A G L A J A (2019) für zwei Violinen (mit Kiste und Stahlstange) +++ Benjamin Lang (*1976): Skagsanden (2019) für Violine solo +++ George Lewis (*1952): The Mangle of Practice (2018) für Violine und Klavier (mit diversen Objekten für Inside-Spiel) +++ Seung-Won Oh (*1969): Mixtures II (2018) für vier verstärkte Violinen (Tonabnehmer, Mischpult, 4-8 Lautsprecher erforderlich) +++ Wolfram Schurig (*1967): capriccio per goldner (2016-17) für Tenorblockflöte und Violine
Hans-Joachim Hespos (*1938): A G L A J A (2019) für zwei Violinen (mit Kiste und Stahlstange)
hespos H 201 E (Spielpartitur, Schiebeblattausgabe)
Stilrichtung, allg. Charakter
Beunruhigendes musikalisches Psychogramm eines Menschen in existenzieller Bedrängnis, bei dem im Duo anhand meist geräuschhafter Spielweisen Extreme des Ausdrucks, damit von Artikulation, Dynamik und Tempo ausgelotet werden – schwankend zwischen Zusammenhalt und Dissoziation.
Form, Struktur
Linear angelegte, durch Stillen oder ephemere Aktionen perforierte Außenteile umrahmen einen aus zwei Materialvorräten (mit je elf meist komplexen Aktionsfeldern) nach verbalen Vorgaben und Verlaufsplan frei zu speisenden turbulenten Mittelteil, darin ein fragiler Einschub zu platzieren ist.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Teils lineare, teils modulare Notation, mit vielen verbalen Anweisungen, exakten Dauernangaben für Einzelaktionen oder Aktionsfelder und zahlreichen Symbole für neue Spielweisen.
Dauer: ca. 15 min.
sehr schwer (hoher Leseaufwand, spieltechnisch vielseitige Anforderungen)
Kommentar
Für das Duo Gelland komponiertes, stark aufrüttelndes Epitaph als Geste der Solidarität mit den zerbrechlichen Seelen in einer menschlich unheilvollen Welt, hier der rumänisch-schweizerischen Dichterin Aglaia Veteranyi (1962–2002), „die in die Kälte des Zürichsees ging, um zu ertrinken“.
Benjamin Lang (*1976): Skagsanden (2019) für Violine solo
Verlag Neue Musik Berlin NM 3031
Stilrichtung, allg. Charakter
Offenbar durch kontemplative Naturbeobachtung inspirierte Musik expressiv zurückhaltenden und prozessualen Charakters. Elementare Bewegungen werden figurativen, klanglichen, dynamischen Wachstumsprozessen, artikulatorischer, bogentechnischer, vierteltöniger Nuancierung unterzogen.
Form, Struktur
Einsätzige, asymmetrische Form, die durch Wechselwirkung additiver, subtraktiver und variativer Prinzipien entsteht und in drei charakteristische Abschnitte zerfällt, jeweils geprägt von Auf- und Abwärtsbewegungen, einem Liegeton und dem Wechsel zwischen Arpeggio- und Trillerfakturen.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation
Dauer: ca. 10 min.
schwer
Kommentar
Der auf den berühmten Sandstrand auf den norwegischen Lofoten deutende Titel legt musikalische Sinnbilder für das dortige Spiel der Elemente, Strömungen und Gezeiten, Farb- und (Nord-) Lichtverhältnisse nahe. Ästhetisch ansprechende Verbindung natur- und etüdenhafter Aspekte.
George Lewis (*1952): The Mangle of Practice (2018) für Violine und Klavier (mit diversen Objekten für Inside-Spiel)
Edition Peters Leipzig EP 68679 (Partitur und Stimme)
Stilrichtung, allg. Charakter
Virtuoser, mit Geräuschen angereicherter dissonanter Stil improvisatorischen Charakters. Stärkere Linearität rasender Wellenbewegungen, kurzer Triller- und Glissando-Einlagen bleibt Ausnahme im satztechnisch extrem disparaten Geschehen. Expansive, vorwiegend sprunghafte Instrumentalgestik.
Form, Struktur
Analog zur aus vielen kurzen Abschnitten gebildeten Großform setzt sich auch der musikalische Dialog aus miteinander verzahnten Einzelimpulsen oder komplexen Instrumentalgesten zusammen, wobei auf allen Ebenen nur vereinzelt Zusammenhänge, Kontinuitäten, Bezüge erkennbar werden.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Traditionelle Partiturnotation mit einigen wenigen Symbolen für indeterminierte Detailgestaltung
Dauer: ca. 13 min.
sehr schwer
Kommentar
Die in Filser-Manier mitschwingende Lesart des Titels „Der Mangel an Praxis“ wäre korrekt als „Das Wirrwarr (oder: die Zerfleischung) der Praxis“ zu übersetzen. In der Tat: welch furioses, vom Chicagoer Jazz-Avantgarde-Posaunisten kompositorisch lustvoll angezetteltes Hauen und Stechen!
Seung-Won Oh (*1969): Mixtures II (2018) für vier verstärkte Violinen (Tonabnehmer, Mischpult, 4-8 Lautsprecher erforderlich)
Deuss Music Den Haag 15191240975848 (Spielpartitur), zu bestellen über Deussmusic.com
Stilrichtung, allg. Charakter
Raumkomposition, bei der eine klanglich homogene Ausgangssituation durch subtilen Einsatz eines breiten Spektrums erweiterter Spieltechniken und fein abgestufte Nuancen bzw. stufenlos gleitende Übergänge auf allen Gestaltungsebenen immer stärker belebt, variiert und ausdifferenziert wird.
Form, Struktur
Entlang einer zentralen Tonachse (a²) entfalteter, energetisch mehrfach an- und abschwellender Spannungsbogen (incl. dreimaliger Verlagerung ins Geräuschhafte), dessen 13 Episoden durch polyphone Auffächerungen, klangliche oder figurative Anreicherungen aller Art charakterisiert sind.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation (ausführliche Spielanweisungen)
Dauer: ca. 15 min.
schwer
Kommentar
Spannende Anknüpfung an Giacinto Scelsis Strategien der musikalischen Belebung des Einzeltons als vieldimensionalem Phänomen und deren weitere Anreicherung und Verfeinerung. Vor allem die starke Klammer der Zentraltönigkeit relativiert den Eindruck eines Katalogs neuer Spieltechniken.
Wolfram Schurig (*1967): capriccio per goldner (2016-17) für Tenorblockflöte und Violine
Edition Gravis Brühl eg 2462 (Partitur und Stimmensatz)
Stilrichtung, allg. Charakter
Unerbittlicher Parforce-Ritt mit wenigen Ruhephasen, der Linearität als komplexes Phänomen in Szene setzt und vom ungleichen Duo allerhöchste Konzentration im rhythmisch und dynamisch wechselhaften Zusammenspiel erfordert. Erweiterte Spieltechniken dienen v.a. der Tonartikulation.
Form, Struktur
Mannigfaltigen Verschleierungs- und Filtervorgängen unterliegendes Perpetuum mobile im stets eng verwobenen, doch an kapriziösen Eskapaden immer reicheren Zusammenspiel. Ausgehend von mikrotonal kreisenden Skalenfragmenten greifen immer expansivere, bewegtere Tonhöhenverläufe.
Notation, Dauer, Schwierigkeit
Partiturnotation (vier verschiedene Arten von Taktstrichen zur musikalischen Orientierung)
Dauer: ca. 13 min.
sehr schwer
Kommentar
Eindrucksvoller Auftritt eines gegensätzlichen, aber auf Gedeih und Verderb aneinander gefesselten (Zwillings-?)Paars im spannend gestalteten Clinch. In empfundener Seelenverwandtschaft bezieht sich Schurig auf die filigranen Lineaturen in den Bildern des Vorarlberger Künstlers Egon Goldner.