Obwohl bereits vor zwei Jahrzehnten durch die Herausgeberin am Klavier eingespielt, ist erst in diesem Jahr das pianistische Gesamtwerk der englischen Komponistin Ethel Smyth bei Breitkopf erschienen. Smyth darf als eine der erfolgreichsten Komponistinnen ihrer Zeit gelten. Zu ihrem umfänglichen Schaffen gehören einige Opern, geistliche Werke, Kammermusik, darunter einige Streichquartette, Lieder und eine größere Sammlung an Klavierwerken. Letztere sind fast ausschließlich in ihrer Studienzeit bei Heinrich von Herzogenberg in Leipzig entstanden, wo sie auch Brahms, Dvorák sowie Clara und Robert Schumann kennen lernte.
Diese Verbindung ist, neben der durch ihre Gouvernante erweckten Begeisterung für Beethoven, Schubert und Schumann, in einem Teil der Werke, vor allem in den Sonaten zu hören. Die Sonate Nr. 1 in C-Dur ist noch vollständig vom Geist Beethovens (inklusive Trauermarsch) beherrscht, die Sonaten Nr. 2 in cis-Moll und Nr. 3 in D-Dur sind vom Stil Schuberts, Schumanns und Brahms geprägt. Ein umfangreicher Variationszyklus, eine klanglich wie kompositorisch interessante Nocturne in kanonischer Gegenbewegung und kleinere Albumblätter runden diesen Komplex ab. In der anderen Hälfte ihrer Klavierkompositionen widmet sich Smyth barocken Formen, darunter eine Suite, Vier Tänze, zwei Kanons, Invention, Präludium und Fuge. Vor allem die beiden Sarabanden aus den vier Tänzen haben eine bemerkenswert schlichte Schönheit, ohne viel romantischen Ornat. Die spielerische Komplexität variiert stark. Die Albumblätter und die barocken Stücke sind mit Ausnahme der Fuge und der Kanons leicht auszuführen. Die Nocturne und die inneren Sätze der Sonaten sind von spieltechnisch gehobenem Niveau, während die Randsätze der Sonaten, die Fuge und der Variationszyklus schwierige Passagen aufweisen.
- Ethel Smyth: Sämtliche Klavierwerke. Hrsg. von Liana Gavrila-Serbescu. Breitkopf & Härtel. EB 9450