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Heiner Goebbels / Ensemble Modern: Black on whiteBMG 1997. 58:30 Min Hier wird er deutlich: der stets neu und sensorisch vielfach zufassende Ausschnitt der tönenden Welt, den man Musik nennt. Ist’s eine Komposition für schreibende Hand solo und Ensemble, oder für spielende Finger und Musikinstrumente? Ein Stück für Sprechstimme solo und Brass mit verschiedenen „Intermezzi“ für Ping- Pong und brennenden Teebeuteln in gleißendem Tutti-Licht? Daß diese Aktionen den Rang des Solistischen einnehmen, ist klar: In Großaufnahmen stehen sie im Rampenlicht. Nein, dies ist weder Sarkasmus noch Verriß. Für alle, denen’s schwer fällt: Konventionen bieten die Grundlage: G’sund ist’s! Ordungsebenen verschieben sich: Gut so! Grenzen werden eingeebnet: Zeit wird’s! Musik im engsten geschieht nur nebenbei, aber Muuusiiik liegt hier in der Luft, macht Zeit hör- und spürbar und – sichtbar: sie bewegt sich und wird bewegt, leuchtet und wird beleuchtet, zerstäubt und wird zerstäubt, wirft Schatten und wird beschattet: Musik, wie sie den Menschen angeht und von ihm ausgehen kann, in der Ganzheit seiner sinnlichen Wahrnehmungs- und Ausdrucksmöglichkeiten. Gottseidank sind wir weit darüber hinaus, Musik allein auf die auditive Sensitivität einzuengen und sie darin verkommen zu lassen! „Black on white“ ist der Beleg dafür, daß es auch anders geht und im Frankfurter Ensemble Modern hat’s seinen angemessenen Meister der Interpretation gefunden. Mit unübertroffener Präzision werden da Unisono-Partien sowohl instrumentaler wie bewegungsmäßiger Art ausgeführt, sind akkordische Effekte abgestimmt auf visuelle. In theatralischer Versiertheit werden Klangkörper ausgepackt und eingerichtet – und die Musik spielt dazu, nicht sichtbar, wie szenisch deskriptive Filmmusik eben. Mit kindlichem Einfallsreichtum wird herausgefunden, was die musikalische Gegenstandswelt so alles zu bieten hat. Es eignet sich ein Blechinstrumentenmundstück zu weitaus mehr, als daß man lediglich profan hineinbläst. Nein! Es kann auch über den Steg einer elektronischen Gitarre abrollen, und selbst, wenn’s keinen Laut abgibt, der Zuschauer ist mittlerweile musikalisch derart aktiviert, daß er meint er höre... Ein allseits bekannter Effekt im ausgehenden Jahrhundert künsteübergreifender Performances. Wer auch immer die Sitzbänke in Reih’ und Glied angeordnet hat, sie halten’s begreiflicherweise nicht aus und schreien förmlich nach Veränderung – die Musik als zeitliche Verlaufsform sendet ihnen Musiker, die’s tun. Hinter aufgehängte Papierbahnen geben sie zudem zwar hervorragende Motive des suggestiven Schattenspiels ab: Scheinwerferspiel verändert Form und Größe, Entfernung und Nähe, betont Soli und Tutti, muß sich letztlich aber im knisternden Niederriß des Papiers enttarnen, sichtbar und hörbar. Auf diesem musikalischen Spielplatz wird der Mensch zum musikalischen Entdecker, lernt mit musikalischen Elementen und Gegenständen umzugehen, erprobt deren Eigenschaften über das Normierte hinaus, läßt sich von der Musik inszenieren und inszeniert die Musik, beispielhaft verkörpert im Komponisten Heiner Goebbels und in all denen, die sich im Video auf das Spiel dieser Entdeckungsreise eingelassen haben. Damit ist das gelungen, was diese Entdeckungsreise um eine „möglichst intensive Gestaltung des Verhältnisses Musik und Theater“ (Original Ankündigungstext) erklärtermaßen und nach Absicht des Komponisten ausmacht: „stets stellt sich die Musik selbst dar“ (Original Ankündigungstext) – als stets neu und sensorisch vielfach zufassender Ausschnitt der tönenden Welt. Verpassen Sie ihn nicht! Dietmar Jürgens

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