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Singen in der Schule als kognitive Aufgabe

Untertitel
Ralf Schnitzer legt zu seinem Singklassen-Konzept Lehrer- und Schülerband vor
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Ralf Schnitzer: Singen ist Klasse. Lehrerband mit DVD, 120 Seiten, ISBN: 978-3-7957-0166-6, 19,95 Euro; Schülerheft, 64 Seiten, ISMN: 979-0-001-15156-6,9,95 Euro

„Singen ist klasse“ – so lautet der Titel des Lehrbuches zu einem vor gut zehn Jahren am Dietrich Bonhoeffer Gymnasium in Eppelheim entwickelten musikpädagogischen Konzepts, den Singklassen. Mit Einführung dieses Modells emanzipierte sich das Fach Musik am Gymnasium in Eppelheim zu einem zentralen Schwerpunkt und schließlich zum Profilfach der Schule. Dabei erfolgt die Vermittlung der gesamten Musiktheorie und Musikgeschichte über Stimmbildung und Singen. In allen Klassenstufen wird Musikunterricht von der Stimme ausgehend erteilt. Im Vordergrund steht der stimm- und gehörbildnerische Aspekt sowie das Erarbeiten stilistisch vielfältiger, vokaler Literatur.

Diese Unterrichtskonzeption erläutert der Autor in seinem Lehrerband. Dieser teilt sich in fünf Kapitel. Nach einigen einleitenden Worten zur Definition einer Singklasse nimmt Schnitzer in Kapitel 2 den Schüler in den Blickpunkt. Hier geht der Autor auf die emotionalen Aspekte beim Singen und Lernen ein. Als besonders wertvoll wird herausgestellt, dass die Faszination der Stimmbildung unter anderem daran liegt, dass der Schüler sich mit sich selbst befasst, sich entdeckt und entfaltet und sich nicht, wie in vielen anderen Fächern, einen fremden, abstrakten Lernstoff aneignet. Das Besondere am Vorsingen einzelner Schüler, das im Kontext dieser Konzeption selbstverständlich und von den Schülern gern gemacht wird, zeigt, dass es hier nicht um die Kategorien „richtig“ oder „falsch“ geht, sondern um die Bereitschaft der Schüler an sich zu arbeiten. Ein ungenauer Ton disqualifiziert nicht, sondern ist Anlass zur Hörkontrolle, zur bewussten Abfrage des Hörgedächtnisses, oder zur Arbeit an der körperlichen Energie.

Kapitel 3 stellt die Methodenpraxis des Konzeptes „Singen ist Klasse“ dar. Der Autor führt  mit einer an dieser Stelle etwas unglücklichen Darstellung einer „Schlüsselszene“, die die methodischen Schritte des Einstiegs nur unzulänglich ersetzt, in das große Kapitel der Methodik ein. Ähnlich den Vokabeln, Redewendungen und Standardsätzen beim Spracherwerb stellt Schnitzer im weiteren Teil des Methodikkapitels Übepatterns für tonale und harmonische Formeln aus der musikalischen Literatur vor. Zunächst verwendet er das durtonale Material, dann das  molltonale und zuletzt das modale. Die Übungen bestehen aus immer länger werdenden melodischen Bausteinen der jeweiligen Tonalität, die auf den entsprechenden Solmisationssilben gesungen werden.

Eine weitere Einheit zur Vorbereitung der Mehrstimmigkeit schließt sich an. Die beiden letzen Kapitel widmen sich dem Notenlesen und der Phase des Stimmwechsels. Das Kapitel, das den Methoden folgt, beschreibt die Lerninhalte und gibt weiterführende Literaturempfehlungen. Dem Lehrbuch ist eine DVD mit einzelnen Videosequenzen aus Stundenverläufen der Klassen 5, 6, 7, 8 und 10 beigefügt, die einen situativen Einblick in die konkrete Arbeitsweise und Atmosphäre der Singklassen gewährt.

Auf der DVD befinden sich außerdem zwei ergänzende Textdateien im PDF- Format, die genauer ausführen, was im Buch in den Kapiteln „Singesituationen“ und „Stückwerk“ dargestellt wird. Zu dem beschriebenen Lehrerband ist ein gleichnamiges Schülerheft erschienen, welches sowohl den Unterricht als auch das Training zu Hause begleitet. Viele Übungen aus dem Schülerheft werden im Unterricht zunächst ohne Noten gelernt. Das Notenbild dient als Erinnerungsbild an den dann schon bekannten Klang. Des Weiteren enthält es Notenbeispiele, die nicht aus dem Unterricht bekannt sind, aber Ausschnitte oder auch nur einzelne Töne aus den gemeinsam erlernten Übungen enthalten. Es folgen Patterns, die die Stimme, das Gehör oder einfach das Zusammensingen trainieren. Am Ende jedes Kapitels findet man eine Auswahl an Stücken aus unterschiedlichen Stilen und Zeiten.

Mit der Konzeption „Singen ist Klasse“ liefert Schnitzer eine durchdachte, systematische Anleitung zur Durchführung einer Singklasse. Jedoch wählt er einen stark kognitiven Zugang. Im Primarbereich ist dieses Konzept nicht durchführbar bzw. zu wenig ganzheitlich, lustbetont oder kindorientiert. Auch für junge Kinder der Sekundarstufe würde ich mir einen bewegungsfreudigeren Ansatz wünschen.

Dieser Eindruck verstärkt sich bei der Betrachtung der Videosequenzen. Von der im Buch beschriebenen Begeisterung der Schüler ist wenig sichtbar. Der Ablauf der Singstunden wirkt gleichförmig und ähnelt eher einer stimmlichen Dressur als einer Persönlichkeitsentfaltung. Solmisation ohne Handzeichen ist unvollständig, ihr wird die wesentliche Komponente der Anschaulichkeit und Ganzheitlichkeit genommen. Für Lehrkräfte, die in Singklassen mit erweitertem Musikunterricht arbeiten, enthält das Lehrbuch jedoch wertvolle Ideen und Übungen, die sich methodisch verbessert teilweise auch für den Einsatz im Primarbereich eignen.

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