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Tastenkrokodile, Nussknacker und andere Kinderstücke

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Neue und bekannte Klavierliteratur für Kinder und Jugendliche im Überblick
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Für das Mozart-Jubiläum hat Matthias Kirschnereit in Zusammenarbeit mit dem Bärenreiter-Verlag drei Urtextausgaben mit Fingersatz-Bezeichnung herausgegeben. Die Veröffentlichung in Einzelausgaben ist sinnvoll und praktisch und zudem preiswert. In der vorliegenden Auswahl wurde akribisch genau recherchiert. Erst bei einem Vergleich mit anderen Ausgaben nimmt man die Feinheiten wahr, die zwangsweise zu einer peniblen Erarbeitung des Textes führen und natürlich auch die Interpretation positiv beeinflussen. Ein weiterer wichtiger Moment sind die Fingersätze und dabei können sich schon mal die Geister scheiden. Hier wäre (verlagsintern) ein Vergleich mit den Ausgaben von Michael Töpel empfehlenswert und aufschlussreich. Kirschnereit ist hier sicher auch noch auf der Suche, aber er gibt ausgesprochen intelligente Denkanstöße zum Phänomen Fingersatz. Diese Ausgaben sollten in keinem Notenschrank fehlen.

PFERDE! Leichte Klavierstücke mit dem Tastenkrokodil, Edition Breitkopf 8780

Pferde gehören zweifelsfrei zu den Lieblingstieren der Kinder. Und Pferde eigneten sich schon immer auch als „Zugpferde“; sämtliche Medien und auch die Spielzeugindustrie reiten geschickt und werbewirksam auf diesem Tier herum. Faszination Pferd? Auch Komponisten widmeten sich diesem Tier und bevorzugten als Instrument das Klavier. Tatsächlich gibt es eine Fülle von Stücken und die Vermutung liegt nahe, dass bei dieser Thematik wohl alles so ziemlich ähnlich klingen könnte. Die Autorinnen legten Wert auf Vielfältigkeit der musikalischen Darstellung und auf praxisorientierte Verwendung möglichst über mehrere Unterrichtsjahre hinweg. Dabei wird der Wortstamm „Pferd“ verallgemeinert; es gibt Seepferdchen, Heupferde, Schaukelpferde, Ponys. Eindeutig dominieren hier die Kompositionen des 20. Jahrhunderts: Bekannt sein dürfte „Im Galopp“ von Kabalewski oder „Mein Pferdchen“ von Gretchaninoff sowie „Das Spiel“ von Bartok. „Das Heupferdchen“ von Rybicki, „Cowboy-Ritt“ von Schoenmehl und „Cowboy-Lied“ von Takacs ergänzen sich im Stil, der „Wettlauf der Indianerponys“ von Glover ist dagegen ein absolut flott-witziges Stück mit Esprit. Norton wagt mit „Galoppieren“ einen Boogie mit rhythmischem Anspruch. Der „Wilde Reiter“ von Schumann darf in einer solchen Sammlung natürlich nicht fehlen, schade, dass auf das „Steckenpferdchen“ von Tschaikowsky verzichtet wurde. Spieltechnische Parallelen zur Charakteristik des Reitens ziehen die Stücke „Im Gärtchen“ von Majkapar, „Ballett“ von Weber, „Allegro“ von Hässler und „Allegretto“ von Diabelli. Ergänzt wird die musikalische Pferdelektüre mit dem „King William’s March“ von Clarke oder auch dem „Seepferdchen“ in zeitgenössischer Notationstechnik. Gut in diese Sammlung gepasst hätten noch „Eselsritt“ von Hawkins, „Pferdchen mit drei Beinen“ von Hurnik oder auch das „Pferdchen der Puppe“ von Rybicki. Ein Tastenkrokodil mit vielen Pferdestärken!

Friedrich Kiel: Werke für Klavier, Heft 3, Melodien op. 15, Tarantelle op. 27, Edition Dohr 96302

Friedrich Kiel lebte von 1821 bis 1885 und erwarb sich seinerzeit hohes Ansehen als Pianist, Komponist und Musikpädagoge. Seine Hauptwirkungsstätte befand sich in Berlin, wo er anfangs freischaffend tätig war und hernach an renommierte Institutionen gerufen wurde. Zuletzt lehrte er dort als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik. Kiels Einfluss darf nicht unterschätzt werden. Er gilt als „entdeckenswerter Vertreter des deutschen Musiklebens in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts für all diejenigen, die neues Repertoire jenseits des abgegrasten Feldes der allzu bekannten ‚Hauptkomponisten‘ kennen lernen wollen“ (Vorwort). Tatsächlich widmet er sich in seinem Klavierschaffen eher den kleinen Formen. Das war im Jahrhundert des Klaviers durchaus üblich, eine Sammelleidenschaft von Albumblättern griff um sich, und auch Klavier spielende Hausfrauen wollten versorgt sein. Dem dabei eventuell aufkommenden Verdacht auf billige Massenware muss allerdings vehement widersprochen werden. Das vorliegende op. 15 aus dem Jahre 1858 wirkt da wie ein sprudelnder Quell. Romantisch überschwänglich, jedoch nicht aufdringlich, zart, lieblich und auch verträumt klingen seine Melodien, zahlreiche Zäsuren beinhalten kurze kadenzartige Einwürfe, wunderschöne Kantilenen stehen kontrapunktischen Akzenten gegenüber. Die spieltechnischen Anforderungen halten sich in Grenzen, auf überzogene Virtuosität wurde bewusst verzichtet. Zur Ausgabe gehört noch die Tarantelle op. 27, die sich in Umfang, Tempo, technischem Anspruch abhebt und fast konzertant endet. Die Kombination der elf Melodien mit der Tarantelle, die doch als Kontrast angesehen werden kann, ermöglicht einen noch umfassenderen Einblick in das Schaffen Kiels.

Mike Cornick: Blue Baroque, UE 21315

Jazzige Arrangements von Barockstücken gibt es schon seit geraumer Zeit. Einerseits eignet sich dieser Stil gut, andererseits reicht eine einfache Rhythmisierung nicht aus, will man einem gewissen Anspruch gerecht werden.

Cornick ist da Profi genug, um abwägen zu können, was machbar ist. Da steht an erster Stelle die Auswahl der Stücke und die kann hier als gelungen betrachtet werden. Besonders schön sind die zwei Sarabanden (d aus BWV 812 und a aus BWV 807), die nach einem nahezu originalen A-Teil quasi Improvisando-Teile als Jazz-Solo anschließen. Dabei ändert sich auch die Harmonik etwas, wobei der Schluss sich wieder ans Original anlehnt. Erwähnenswert ist die Bezeichnung des Fingersatzes, der wohl durchdacht aufs Papier kam und Liebhabern gute Dienste leisten dürfte. Vier Stücke aus dem „Klavierbüchlein der Anna Magdalena Bach“ (Menuett G, Musette D, Polonaise g, Marche D) zählen entsprechend dem Schwierigkeitsgrad zu den einfacheren; hier bot sich eine Anlehnung an Latin und Swing geradezu an. Francois Couperins L’epineuse erfährt eine Verwandlung zur Slow Swing Ballad und die Gavotte 2 ou la Musette aus der Englischen Suite No.3 wird mit einem kleinen Vorspiel versehen, um sich einhören zu können. Schließlich wurde noch ein Thema gefunden, welches sich zu variieren lohnt: „Der harmonische Grobschmied“ – Air aus der Suite Nr. 5 von Händel. Hier hat man den Eindruck, Cornick will noch einmal alle bereits verwendeten Tanzarten Revue passieren lassen. Empfehlenswert ist in jedem Fall die Beschäftigung mit dem Original, ehe die Adaptionen studiert werden.

Boris Mersson: Cinq pièces burlesques, HBS Nepomuk, MN 12048

Boris Mersson wurde 1921 in Berlin geboren und wuchs ab 1923 in Lausanne auf. Nach umfangreichen Studien auf musikalischem Gebiet erwarb er sich einen Namen als Pianist und Dirigent und wirkte an unterschiedlichen künstlerischen Einrichtungen. Die fünf veröffentlichten Miniaturen entstanden zum Jahreswechsel 1937/38 und bezeichnen offiziell sein op. 1. Mersson kommentiert im Vorwort jedes Stück, was den Einstieg erleichtert. Titel wie „Sonja und der Spiegel“, „Blindekuh“, „Regenbogen“, „Im Kasperltheater“ und „Nussknacker“ deuten auf einen kindlichen Bezug hin, Kinderstücke sind es dennoch nicht. Der Einfluss der französischen Schule ist allgegenwärtig: zarte Melodien, fließende Klangbilder, die Ruhe ausstrahlen, die Kasper witzig, keck und tollpatschig. Der „Nussknacker“, ein Gopak, ist ein Pasticcio auf Themen aus Tschaikowskys Nussknacker-Suite. Die sich über maximal zwei Seiten erstreckenden Stücke erfordern eine solide technische Grundausbildung am Klavier und ein differenziertes Gestaltungsvermögen. Wer auf der Suche nach einem zeitgenössischen Stück ist, sollte hier fündig werden.

Hans-Günther Allers: Impressionen op. 54, edition mf, E.D.22953

Die 1991 komponierten Impressionen bestehen aus fünf kurzen, ganz unterschiedlich konzipierten Stücken zu vier Händen. Es sind hervorragende Vorspielstücke, die sich von dem sonst zuhauf veröffentlichten, vermeintlich zeitgenössischen Repertoire angenehm abheben. Heiter und witzig mit rhythmischer Raffinesse kommt das „Zwergenballett“ daher. „Good morning, Mr. D.“ ist ein liebevoller Gruß an Diabelli, sozusagen ein Frage-Antwort-Spiel zwischen Primo und Secondo. Düster, mit tiefer Basschromatik erinnert der „Wintertraum“ an die dunkle Jahreszeit, auch die Melodie wandert in den Bassschlüsselbereich, aber die Harmonik zielt auf einen Schlussakkord in E-Dur. „Hyazinthen“ ist ein echter Blumenwalzer. Hier halten die Tanzpartner fröhliche Zwiesprache. Etwas aus dem Rahmen fällt da die „Jazzologie“. Sie ist das technisch anspruchsvollste Stück, erfordert rhythmisches Geschick und Versiertheit im Zusammenspiel und schöpft den Tonumfang des Klaviers fast vollständig aus. Charakteristisch ist die Achtelmotorik im Staccato mit wechselndem Metrum.

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