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Überzeugend und harmonisch

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Kammermusik und mehr – Neuentdeckungen für Holzbläser
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Carl Reinecke: Trio for Piano, Oboe and Horn in A minor op. 188 +++ Camille Saint-Saëns: Urtext Fagottsonate Opus 168 +++ George Gershwin: Porgy and Bess 5 Songs arranged for woodwind quintet by Ernst-Thilo Kalke +++ Isaak Dunajewski: Die Kinder des Kapitän Grant (Ouvertüre), Bläserquintett und Klavier +++ Enjott Schneider: Circulus vitiosus (Teufelskreis) für Oboe und Cembalo (Klavier, Orgel) +++ Rodion Shchedrin (*1932): Oboenkonzert, Edition Schott, OBB 49

Carl Reinecke: Trio for Piano, Oboe and Horn in A minor op. 188, MR 2265 (2011), ISMN 979-0-004-48855-3

Gleich zu Beginn überzeugt das Trio op. 188 des kompositorisch ebenso wendigen als auch vielseitigen Carl Reinecke mit einem stark bewegten, sehnsuchtsvollen Motiv. Seine kompositorischen Vorbilder Mendelssohn Bartholdy und Schumann hinterließen in Aufbau und harmonischem Satz dieses Werkes deutliche Züge. Dieses Trio scheint die Geschichte eines Wanderers zu erzählen, der an einem schwül-heißen Sommertag zur Rast kommen will. Dabei lauscht er den Naturgeräuschen und verspürt Entspannung und Erleichterung. Die sich durch das gesamte Stück ziehende Wellenbewegung der Musik versetzt durch das stetig wiederkehrende Hauptthema in eine angenehme Entspannung. Im Werk selbst sind immer wieder harmonische und dynamische Höhepunkte gesetzt, welche kleine Stationen des Wanderers symbolisieren. Dieses klanglich ebenso wunderschöne wie auch für den Instrumentalisten anspruchsvolle Trio brilliert durch seine spielerfreundlichen Anmerkungen, den exzellenten Notensatz und eine übersichtliche Notenkonzeption. Geeignet ist es vor allem für den bereits erfahrenen Musiker sowohl im Zusammenspiel als auch im Beherrschen des eigenen Instrumentes. 

Camille Saint-Saëns: Urtext Fagottsonate Opus 168, HN 966 (2010), ISMN 979-0-2018-0966-3

Das letzte Werk des großen französischen Komponisten gilt nach wie vor als unerlässlich in der Fagottliteratur. Dieses Opus zeigt dem Spieler, wie ein erfahrener und glücklicher Mann auf sein langes und erfülltes Leben zurückblickt. Während das Klavier noch im ersten Satz die seufzende Stimme des Fagotts mit fließenden Sechzentelketten vorantreibt, akzentuiert es im zweiten Satz lediglich die heitere, verspielte Stimme. Der dritte Satz ist ein unbefangenes, fröhliches Adagio, das durch lange Legato-Bögen in den heiteren finalen Abschnitt des Werkes führt. Dieser beendet tänzerisch und den Instrumentalisten technisch herausfordernd das Gesamtwerk Camille Saint-Saëns. Spieltechnisch äußerst anspruchsvoll präsentiert sich diese Ausgabe als übersichtliche, mit dem Urtext kritische Fassung, die für den Interpreten viele neue Informationen birgt – sie könnte daher gerade für erfahrene Musiker sehr attraktiv sein.

George Gershwin: Porgy and Bess 5 Songs arranged for woodwind quintet by Ernst-Thilo Kalke, EW 830 (2010), ISMN M-50070-830-8

Viele Bearbeitungen von Gershwins Werken sind auf dem Markt erhältlich, doch nur wenige sind so überzeugend und harmonisch an das Original angelehnt wie diese Bearbeitung von Ernst-Thilo Kalke. Sowohl die Tonhöhen, Instrumentalbesetzungen und Klangcharaktere als auch die in der Oper gesetzte Harmonik sind als nahezu gleich in diese Bearbeitung für Holzbläserquintett eingeflossen. Die Abfolge der Lieder entspricht nicht der in der Oper verwendeten, sondern einer dem Arrangement angemessenen, sich zwischen langsamen und schnelleren Sätzen abwechselnden. Der Höhepunkt dieser Bearbeitung endet mit dem Lied „Bess, you is my woman now“ und bringt damit den Operninhalt auf einen dramaturgischen Zielpunkt. Das gesamte Arrangement ist äußerst spielfreundlich gestaltet, enthält herausnehmbare Seiten der Einzelstimmen, um ein permanentes Umblättern zu verhindern und erscheint in einem übersichtlichen Druck. Insgesamt kann diese Fassung von „Porgy and Bess“ für in der Kammermusik erfahrenere Schüler Verwendung finden, um sie einerseits an gehobenere Kammermusik und gleichzeitig an die Musik Gershwins heranzuführen. 

Isaak Dunajewski: Die Kinder des Kapitän Grant (Ouvertüre), Bläserquintett und Klavier, H.S. 2412 (2011), ISMN  979-0-003-03855-1 

Die 1936 gedrehte Verfilmung des weltbekannten Jules-Vernes-Klassikers ist heute leider nur noch wenigen Musikern bekannt. Dabei zählt eben diese noch in die Schaffensperiode von Dunajewski, in der er sich nicht mit propagandistischer Musik der Sowjetunion auseinandersetzte, sondern heitere, lebensbetonende Musik schrieb. Die Ouvertüre zu „Die Kinder des Kapitän Grant“ ist von einer tiefen russischen Seele geprägt, die sich vor allem durch die anfänglich wogende, dunkle Grundharmonie und die sich darauf aufbauende hoffnungsvolle Abenteuerlust stützt. Anfänglich umherirrend und suchend setzt mit einem vollen sonoren Klang das Bläserquintett auf das solide Fundament des Klaviers ein und führt dramatisch zu der verzweifelten Suche nach Kapitän Grant hin. Heitere Elemente dieser Reise, unvorhergesehene Gefahren und die Grundhoffnung durchziehen das gesamte Werk und bauen im Spieler selbst eine Spannung auf, die erwartungsvoll bis zum Ende der Ouvertüre hin verläuft. Vladimir Genin doppelte einige Hauptthemen zu Beginn, um die Eindrücklichkeit dieser zu verstärken und sie fester in das Gedächtnis einzuprägen. 

Neben den angesprochenen Aspekten zeigt auch die technische Veranlagung der Einzelstimmen, dass sich diese Bearbeitung vor allem für erfahrene Musiker anbietet, die das Interesse daran besitzen, neue „alte“ und bislang selten betrachtete Filmmusik zu spielen. Dieses Werk ist eine Perle unter der frühen russischen Musik, die noch politisch nahezu unbefleckt bis heute überlebt hat. 

Hagen Andert

Enjott Schneider: Circulus vitiosus (Teufelskreis) für Oboe und Cembalo (Klavier, Orgel), Edition Schott, OBB 51

Der Komponist wurde 1950 in Weil am Rhein geboren und ist Professor an der Hochschule für Musik in München. Er hat unter anderem zahlreiche Filmmusiken geschrieben. Der „Teufelskreis“ wurde 2010 uraufgeführt. Es ist ein sehr anregendes einsätziges Rondeau, das wie in einem wilden Tanz viel Virtuosität verlangt. Außer ein paar Halbtonglissandi werden keine experimentellen Techniken verwendet. 

Rodion Shchedrin (*1932): Oboenkonzert, Edition Schott, OBB 49.

Der russische Komponist lebt heute in Moskau und München, wurde 1973 zum Präsident des Russischen Komponistenverbandes ernannt und ist seit 1989 Mitglied der Berliner Akademie der Künste. Das dreiteilige Werk entstand 2009 als Auftragswerk mehrerer internationaler Orchester (des Koninklijk Concertgebouworkest, des Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, der Dresdner Philharmonie und des Orchestre Nationale du Capitole de Toulouse) und wurde 2010 uraufgeführt. Es ist für großes Orchester geschrieben und verlangt vom Solisten hohes technisches Niveau, jedoch keine experimentelle Techniken. Es ist ein spannendes, gut komponiertes Stück.

Dietrich Schmidt

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