Brigitte Wanner-Herren & Evelyne Fisch: Die Schneckenklasse. Ein praxisnahes Unterrichtswerk für Streicherklassen, Bd. 1–2, jeweils Lehrerband mit Partitur und methodischem Kommentar, Klavierbegleitung, Schülerhefte Vl., Vla., Vc., Kb., Edition Hug GH 11757 – GH 11768.
Graswurzelartig hat sich die Zahl der Streicherklassen in den letzten zwanzig Jahren vermehrt und eine Erfolgsgeschichte in Musikschulen, Schulen und Kooperationsmodellen Deutschlands und der Schweiz geschrieben. Streicherklassen-Pädagogen berufen sich in ihrer Mehrheit auf die Methodik des US-amerikanischen Geigers Paul Rolland (1911–1978). Wie ein grobes Netz, verlangt es diese Tradition, solle ein Anfängerschüler alle grundlegenden Techniken des Streichinstrumentenspiels kennenlernen, um sie später zu verfeinern und zu differenzieren. Besonders gut kann diese Grundlegung in gemischten großen Gruppen gelingen, wo ein Lehrerteam die Möglichkeiten der Gruppendynamik nutzt und seinen Unterricht auf der Erkenntnis aufbaut, dass das Bewegungsrepertoire der vier klassischen Streichinstrumente zu 60 bis 80 Prozent übereinstimmt.
Diese Unterrichtsprinzipien für Grundschulkinder umzusetzen, haben sich die Autorinnen der „Schneckenklasse“ zur Aufgabe gemacht. Wir finden animierende Musikstücke und Lieder in großer stilistischer Vielfalt und über die bekannten Evergreens hinausgehend, für Kinder zugänglich gemacht als singbare Melodien mit schweizerdeutschem, deutschem oder fantasiesprachlichem Text, zu denen anfangs leere Saiten gespielt werden. Die sorgfältigen Bearbeitungen fokussieren jeweils unterschiedliche technische Aspekte wie neue Töne, Pausen, Rhythmus, Motorik, aber immer auch musikalischen Ausdruck als heitere oder feierliche Stimmung und großes Gefühl.
Die eigentliche Herausforderung einer solchen Schule jedoch besteht darin, zu zeigen, welche Inhalte in einer Arbeitsphase, Woche oder Stunde parallel behandelt werden können, damit Unterrichtsstunden einerseits Vielfalt bieten und andererseits die Forderungen umfassender instrumentaler Ausbildung und die des Grundschullehrplans erfüllen: Instrumentenhaltung, Aufbau der rechten und linken Hand, Griffarten, Bogenartikulationen, Rhythmen musizieren, lesen und vergleichen, Tonhöhen singen und lesen, Solmisationssilben benutzen sind Themen, die eine gute Stundendramaturgie miteinander verbinden sollte.
Eine ausgezeichnete Hilfe bietet dabei der Lehrerkommentar. Hier finden sich die nötigen Querverweise zwischen den verschiedenen Technik-Kapiteln, Ideen zu ihrer Umsetzung im Unterricht und die Synopse aller gleichzeitig zu behandelnden Themen, unter denen die frühe Anbahnung des Vibrato allerdings leider fehlt. Die Verfasserinnen finden jedoch für die Fülle des Stoffs eine sehr gelungene Präsentation, indem sie die Schülerhefte einer thematischen Ordnung folgen lassen, während sie die Lehrerkommentare in chronologischer Ordnung präsentieren. Auch die Grafik schafft ausgezeichneten Überblick. Jedes Lied bekommt mit Melodie, Text und Begleitung genau eine oder zwei Seiten, unterschiedliche Druckgröße grenzt Aufgaben unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades voneinander ab: eine sehr einfache, eine mittlere Stimme und schließlich eine Lehrerstimme, die auch für fortgeschrittene Schüler gedacht ist. Denn unterschiedliche Lerntempi oder Vorkenntnisse sind eine in jeder Lerngruppe bald auftretende Realität, der hier von Beginn an Rechnung getragen wird. Sehr zu empfehlen!