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Zurück zur Moderne

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Berg und Debussy in neuen übersichtlichen Urtextausgaben
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Alban Berg: Konzert für Violine und Orchester. Urtextausgabe hg. v. Michael Kube. +++ Claude Debussy: Prélude à l’après-midi d‘un faune, für Orchester. Hg. v. Doug­las Woodfull-Harris.

Alban Berg: Konzert für Violine und Orchester. Urtextausgabe hg. v. Michael Kube. Breitkopf & Härtel in Kooperation mit dem G. Henle Verlag, Studienpartitur PB 15122, ISMN 979-0-004-21272-1

Werden die Urtextausgaben von Breitkopf & Härtel aufgrund ihres hellblauen Umschlags augenzwinkernd die „Himmlischen“ genannt, so ist dies in Bezug auf die neu vorgelegte Partitur des Violinkonzertes von Alban Berg Programm. In Zusammenarbeit mit dem Münchner G. Henle Verlag wurde Bergs letztes vollendetes Werk 2010 erstmals als Urtext präsentiert – mit positivem Echo von allen Seiten. Als „Referenzausgabe für alle, die es genau wissen wollen“, wurde sie hier in der nmz von Christoph Schlüren vorgestellt, und die Geigerwelt freute sich über den Klavierauszug mit exzellenten Fingersätzen von Frank Peter Zimmermann (Henle, HN 821). Mag sicherlich manche Herausgeberentscheidung zukünftig noch diskutiert werden, muss ein solches Debattierfundament doch erst einmal gelegt werden!

Zu der Dirigierpartitur mit ihrem geschätzten Druckbild gesellte sich kürzlich noch eine „kleine“, welche dieses aufnahm, ohne unübersichtlich zu werden. Für die Studienausgabe wurde das Vorwort nicht lediglich dem Layout angepasst, sondern die Textnachweise wurden nochmals beachtlich erweitert. Es informiert über den beginnenden Entstehungsprozess bis hin zur Uraufführung kurz nach Bergs tragischem Tod und führt in das verwendete Material ein. Der Revisionsbericht wurde hier zwar ausgespart, steht aber kostenlos auf beiden Verlagsseiten zum Download zur Verfügung.

Scheint sie so auf den ersten Blick der historisch-kritischen Gesamtausgabe von 1996 lediglich in puncto Faksimiles nachzustehen, gleicht sie dieses sogar doppelt wieder aus: Erstens konnte der Herausgeber Michael Kube einige „Irrtümer“ Bergs aufdecken. Fehlerhafte Abweichungen von der Grundreihe wurden hierbei neben dem kritischen Bericht auch direkt auf der betreffenden Partiturseite vermerkt. Das war möglich, da das Druckbild wie erwähnt sehr augenfreundlich angelegt wurde und sogar noch Platz für zahlreiche Anmerkungen des Komponisten ließ. All diese wurden zudem in englischer Übersetzung mitgeliefert. Zweitens scheint der günstige Preis für diese Qualität konkurrenzlos.

Also tatsächlich eine himmlische Ausgabe? – Es gilt, auf dem Boden zu bleiben, denn wer ein Haar in der Suppe sucht, wird immer fündig: Dem Verweis von Seite 46 ist nicht zu folgen und in Fußnote 14 muss die Jahreszahl verbessert werden. Zudem – man traut es sich fast nicht zu erwähnen – passierte dann eben doch ein verblüffender Druckfehler: Die Abbildung der zugrunde liegenden Zwölftonreihe beginnt auf dem falschen Ton! Wird jeder zur Partitur greifende Musikfreund doch wissen, dass die unterste Violinsaite auf G (nicht auf A!) gestimmt ist, so erscheint der Lapsus einfach als menschlich in der neuen „Himmlischen“. Etwas Beruhigendes hat dies doch auch …

Claude Debussy: Prélude à l’après-midi d‘un faune, für Orchester. Hg. v. Doug­las Woodfull-Harris. Bärenreiter, Partitur BA 8841, ISMN 979-0-006-54057-0

Pünktlich zum Jubiläumsjahr 2012 – Debussys 150. Geburtstag – erschien sein wohl beliebtestes Orchesterwerk „Prélude à l’après-midi d’un faune“ als Urtextausgabe bei Bärenreiter. Oftmals wird dieses mit dem Beginn der Moderne in Verbindung gebracht – nun, so scheint es, liegt zum ersten Mal eine tatsächlich moderne Fassung der Orchesterpartitur vor. Endlich wurde damit eine bedeutende Lücke der his­torisch-kritischen Debussy-Gesamtausgabe stellvertretend geschlossen. Doch bevor ein Loblied angestimmt werden kann, muss man an eine kritische Ausgabe jedoch äußerst kritische Fragen herantragen, welche anscheinend auch bei der zweiten Auflage noch nicht gestellt wurden.

Sollten beispielsweise die Spiel- und Tempoanweisungen nicht zumindest auch ins Englische übersetzt werden, um dem strikten Festhalten an den umstrittenen Metronomangaben entgegen-zuwirken? Sollte ein Standardwerk wie die „Biographie critique“ über Debussy von François Lesure (1994/2003) nicht auch einmal außerhalb des kritischen Berichtes (vollständig!) angegeben werden? Apropos Vollständigkeit: In den Übersetzungen des Vorworts wird der „Norton Critical Score“ von 1970 (FN 4) als allgemein bekannt vorausgesetzt, und das Zitat von Paul Dukas wurde in der deutschen Fassung gänzlich vergessen nachzuweisen. Doch fehlt es nicht nur den Übersetzern an akribischer Sorgfalt, denn die letzte Partiturseite verweist zum Beispiel mit einer falschen Seitenangabe auf den Faksimileabdruck. Dass schließlich im kritischen Bericht nicht jegliche Divergenzen der Quellen ausführlich nachgewiesen wurden, bleibt verschmerzbar, doch zumindest die Differenzen der drei abgedruckten Faksimileseiten und des hergestellten Notentextes sollten doch zur Sprache kommen. Nur ein Beispiel: Warum fehlt im drittletzten Takt der zweiten Flöte der Bindebogen, wenn ihn doch Debussy (Faksimile auf S. 35) handschriftlich eintrug? Oder ist dies ein Druckfehler wie das h# statt g# der Harfe in Takt 7?

Das Gesamtprädikat soll aufgrund dieser Spitzfindigkeiten keinesfalls en gros schlecht ausfallen, kann das Zielpublikum mit dem vorliegenden Notentext doch tatsächlich sehr zufrieden sein. So wurden auch die Orches­terstimmen und die Taschenpartitur an den Urtext angepasst, und die Einführung sowie der kritische Bericht stehen auf der Verlagsseite kostenlos zum Download bereit. Wissenschaftlern bietet die schön bestellte Ausgabe ein solides Fundament, welches hoffentlich zu weiteren Diskussionen einlädt. Das Vorwort führt gut in das Werk und in die editorischen Probleme ein, ohne sich beispielsweise in überholten Diskussionen über die Translation der „Éclogue“ von Mallarmé zu verlieren. Auch an aufführungspraktischen Hinweisen wird nicht gespart. Ein Wunsch bleibt jedoch an die übersichtlich eingerichtete Partitur heranzutragen: Die – von Debussy autorisierten – Probeziffern sollten in der nächsten Ausgabe auffallender gestaltet sein.

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