Hauptrubrik
Banner Full-Size

Zwischen Cinemascope und Monochromie

Untertitel
Neue Chornoten – geistlich und weltlich – im Überblick
Publikationsdatum
Body

Aus den zahllosen Veröffentlichungen für Chor seien einige herausgegriffen, die, in all ihrer Stilvielfalt und auch im unterschiedlichen Anspruchsniveau, den Blick auf einen kleinen, sehr kleinen Ausschnitt zeitgenössischen Chorschaffens zulassen.

Bei Bärenreiter ist eine stilistisch vielseitige, epochenübergreifende Sammlung von Kompositionen erschienen, die allesamt in mehr oder minder engem strukturellen Bezug auf der „Da pacem-Antiphon“ beruhen. Epochenbezogene Schwerpunkte liegen hierbei auf Vertonungen des 16./17.Jahrhunderts und des 20./21.Jahrhunderts. Die für routinierte Laienchöre in meist gut zu bewältigendem Schwierigkeitsgrad gehaltenen 2- bis 6-stimmigen Sätze eint gleichermaßen solides Kompositionshandwerk, es trennt sie die Fallhöhe bezüglich der künstlerischen Überhöhung des rein Handwerklichen. Eine hinsichtlich der funktionellen Ausrichtung auf ökumenische Breitenwirkung durchaus verdienstvolle Edition.

Ähnlich ausgelegt ist die, dem Themenjahr „Reformation und Musik“ 2012 gewidmete Zusammenstellung von zwanzig Auftragskompositionen in leichtem bis mittleren Schwierigkeitsgrad, erschienen bei Strube. Von am Sprachfluss orientierten, durch klassische Vokalpolyphonie inspirierten, mixturartig-melismatisch angelegten an graphisch-phonetische Notation der 1960er-Jahre angelehnten bis hin zu Gospeltechniken adaptierenden Satzmodellen reicht die Bandbreite der 2- bis 12-stimmigen Werke, so dass wohl die meisten, an zeitgenössisch-sakra-ler Chormusik interessierten Chöre gemäß ihrem Anspruchsprofil fündig werden dürften. Nicht begeistern kann hier das etwas ungelenke Layout: Das Partiturbild ist in manchen Stücken recht unübersichtlich geraten und der stark vertikal geprägte Schrifttyp der Texte inspiriert nicht gerade zu linear ausgerichtetem Singen.

„Benedictus Dominus“, eine sechsstimmige Motette (SSATBB) von Heinrich Poos, erschienen bei Schott, entwickelt sich aus tonal angelegter, an Mehrchörigkeit gemahnender Homophonie zum allmählich zerfließenden linearen Abgesang sich überlagernder Glocken. Ein Werk von rückgewandter Klarheit – und doch eigenen Ton findend.

Markant individuelle Wege geht Gonzalo Grau mit seinem in jeder Hinsicht groß dimensionierten Oratorium „Aqua“, einer Auftragskomposition der internationalen Bachakademie Stuttgart, erschienen 2012 bei Carus. Ein Werk, in welchem die Polystilistik der musikalischen Anlage, eine gleichermaßen vielschichtige, stark ethnisch-metaphorisch angelegte librettistische Auseinandersetzung mit dem Thema „Wasser“ als gefährdetes, gefährdendes und lebensspendendes Element und eine üppige Mischbesetzung aus Chor, Solisten, akustisch-sinfonisch, perkussiv erweitertem Orchesterklang und elektronischen Klangerzeugern eine interessante Liaison eingehen. Hypertroph-klangliches Cinemascope und individuelle Binnenstrukturen finden im Sinne positiv verstandener Publikumswirksamkeit letztlich zur Balance, verlangen aber neben dem besetzungstechnischen Aufwand den Ausführenden einiges an technischen Fähigkeiten und stilistischer Flexibilität ab.

Mit der swingenden Anverwandlung einer Auswahl von Heine-Texten aus dem Zeitraum 1820 und 1840 hat sich Uli Führe in „Nach den Menschen mach ich Affen“ kompositorisch beschäftigt (Fidula). Die gut zu bewältigenden Sätze geizen nicht mit schön klingenden Voicings, wobei die vorgesehene Alt2-Option (statt Tenor) nicht in jedem Satz für Begeisterungsstürme in der betreffenden Stimmgruppe sorgen dürfte. Der jeweils vorangestellte Originaltext Heines und ein hintangestellter Kommentar umrahmen die meist kürzeren Stücke und ergeben ein angenehmes editorisches Bild. Ob der relativ monochrome Vertonungsstil den sich in unterschiedlichsten Brechungen artikulierenden Texten auf Augenhöhe zu begegnen vermag, ist nur im Einzelfall zu beurteilen – und liegt vielleicht auch gar nicht in der Intention Führes. Nicht die zyklische Aufführung, sondern vielmehr die gezielte Platzierung einzelner Stücke in gemischter Programmgestaltung dürfte, wie auch schon vom Autor anempfohlen, ihren Reiz besser zur Geltung kommen lassen.

Abschließend sei noch die Sichtung neuer, in der Jazz- und Popchor-Serie bei Schott erschienenen Einzelsätze dringend empfohlen. Die Vorlagen reichen von Nat King Cole über Stevie Wonder bis zu Peter Gabriel und kulminieren in einem rhythmisch ausgefeilten Arrangement des Nirvana-Klassikers „Smells like teen Spirit“. Nachzuhören in kompetenter Umsetzung bei „Maybebop“. Ob sich Minimalist Cobain darin wiederfinden würde?

Bibliografie

  • Deutscher Chorverband Pueri Cantores / Chorverband in der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Verleih uns Frieden / Da pacem, Domine – Ökumenisches Chorbuch, Bärenreiter BA 6921
  • Peter Helmut Lang (Hg.):„…ich kann nicht anders“ – 20 neue Kompositionen zum Themenjahr Reformation und Musik, Strube Verlag VS 6637
  • Heinrich Poos: Benedictus dominus, Schott C 54480
  • Gonzalo Grau: Aqua, Carus 28.103/00 (Partitur)
  • Uli Führe: Nach den Menschen mach ich Affen, Fidula 395

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!