Gänzlich unspektakulär hat die Bremer Musikproduktion Hastedt eine CD-Reihe ‚Vier Jahrzehnte Musik in der DDR’ initiiert, in welcher sich so substantielle Schätze wie Symphonien und Konzerte von Fritz Geißler, Günter Kochan, Johann Cilensek oder Manfred Schubert, Werke von Rudolf Wagner-Régeny, Ottmar Gerster, Fidelio Finke usw. finden. Eine andere Reihe widmet sich schlicht ‚Musik der Zeit’, und als 36. Folge sind nunmehr Klavierstücke von Martin Torp erschienen, gespielt vom Komponisten.
Wie der ausführlich und anschaulich auf die Werke eingehende Bookletheftext von Carlos Lange von Beginn an nahelegt, ist der 1957 in Flensburg geborene Torp ein fantasievoller Klangmaler. Alles hat Farbe, ist stimmungsvoll und zauberisch, auch dort, wo die Gewebe sehr asketisch angelegt sind, was Lange schlagwortfertig als ‚Neue Sparsamkeit’ bezeichnet. Das sehr imaginativ-träumerische , klanglich kultivierte, farbenreiche Klavierspiel Torps trägt wesentlich zu diesem Eindruck bei. Stilistisch schlägt sich vieles kreuz und quer durch die Historie und Geographie nieder: gediegener Kontrapunkt, Minimalmusic-Freuden, altdeutsch anmutender Choralsatz, viel fein ausgehörte Zweistimmigkeit, ‚mikrokosmische’ Motivspiele, kleine Obsessionen, atmosphärische Stillleben usw. Wenn er innig wird (wie in den teils choralhaften Widerspiegelungen russischer Ikonenmalereien), so dringt ein inbrünstig religiöser, protestantisch anmutender Ton ans Ohr.
Die hier vorgestellten Kompositionen stammen alle aus den Jahren 2008-09. Es sind 16 Miniaturen, die meist wie Momentaufnahmen wirken, die aus größeren Entwicklungen extrahiert scheinen; die letzte Miniatur ist ein sehr schöner, altertümelnder Choral, der ein wenig so zu Bach und Haßler steht wie der Choral aus Schumanns ‚Album für die Jugend’ und unmittelbar überleitet zur Choralfaktur der ersten der ‚5 Ikonen’, in welcher der Prophet Elias im feurigen Gefährt zum Himmel auffährt.
Klassisch dreisätzig (Allegro – Adagio – Allegro) ist Torps Zweite Klaviersonate, deren langsamer Satz besonders kunstvoll und klangschön geraten ist und in eindrucksvoll schwebender Weise fugierten Satz durchführt – manche mögen es ideologiesicher als Anachronismus verteufeln, doch jedenfalls wirkt es bei unbefangenem Hören weder scholastisch belehrend noch schwerfällig. Wer das also für einen Zopf hält, kann wenigstens zugeben, dass dieser Zopf sehr elegant geflochten ist! Und nun wird es eh klanglich kühner: unter den 6 ‚Kleeblättern’ (kurze Klavierstücke zu Bildern von Paul Klee) ragt die leichthin geworfen scheinende Charakterstudie ‚Die Zwitschermaschine’ heraus (die hat ja auch Gunther Schuller schon eindrucksvoll für Orchester gesetzt), eigentümlich auch die ‚Lachende Gotik’, sehr fein der ‚Engel, noch weiblich’.
Zum Schluss gibt’s ein pointillistisches Divertimento ‚Modern Art’, das blitzlichtartig sieben führende Avantgarde-Künstler portraitiert: Jackson Pollock (mit katzenartig auf den abgedeckten Klaviersaiten tobenden leichten Metallketten), KO Götz (schon rabiater und auch kürzer), Gerhard Altenbourg, Yves Klein, Wassily Kandinsky (natürlich mit Schönberg-Bezug), László Moholy-Nagy (webernitisch) und Emilio Vedova (wild) – und Torp zeigt, dass er auch kann wie viele andere, auch wenn er nur gelegentlich will. Martin Torp hat auch Symphonien komponiert, die er gerne aufgeführt sähe, und ein lyrisch-episch ansprechendes Oratorium ‚Siehe, ich mache alles neu’ nach der Johannes-Offenbarung. Als Pianist hat er uns nun primär mit der intimen Seite seiner pittoresken Künstlernatur bekannt gemacht, und auch mit einigen gelehrsamen und komischen Aspekten, und es ist überwiegend zarte Musik, die bei vielen Menschen sympathische Resonanzen auslösen dürfte.
Martin Torp: Klavierwerke 2008-09; Hastedt HTCD 5336