„So unverrückbar die Limitationen elektronischer Tanzmusik sind (4/4-Takt, tanzbares Tempo zwischen 110 und 130 bpm, durchgehende Bassdrum auf jeder Viertel) so frei darf man sich innerhalb dieser Grenzen bewegen. Aber wäre diese Feier von Spieltrieb und Experimentierfreude auch in einem völlig anderen Kontext zu identifizieren?“ Fragte sich der Kölner Komponist und Pianist Gregor Schwellenbach, bevor er aufbrach, um 20 herausragende Techno-Stücke aus den 20 Jahren verdienstvoller Labelgeschichte des Kölner Kompakt-Labels ins kammermusikalische Format zu ‚übersetzen‘.
Zu diesem Zweck hat Schwellenbach als erstes das Gehörte in Noten gefasst. Und da etliche Stücke komplett mit Noten im Booklet der aktuellen CD „Gregor Schwellenbach spielt 20 Jahre Kompakt“ stehen, darf der Hörer nun auch visuell eintauchen in die repetitiven Strukturen einer solchen Musik. Noch exklusiver kommt die Vinyl-Edition dieser Jubiläums-Produktion daher: Hier ist sämtliche Musik in Noten abgedruckt.
Schwellenbach sieht hierein auch etwas Musikpädagogisches: „Jeder der gerne Klavier spielt ist eingeladen, die Stücke mal selber auszuprobieren. Der Spaßfaktor ist garantiert. Und auch für den Klavierunterricht ist dieses Material durchaus geeignet.“
Welcher Reiz darin besteht, aus Techno-Tracks Kammermusik zu schaffen? „Ich liebe hier den unverklemmten Forschergeist und die lustvolle Sachlichkeit“, lobt er in seinen Linernotes die Philosophie von Kompakt. Schwellenbach destillierte musikologisch forschend die Substanz heraus. Ein guter Track braucht eine zündende Grundidee, ohne die gar nichts läuft. So variabel diese sein, kann, so unmittelbar sollte diese auch in ihrer „Transkribierung“ weiterleben. Wie kann man all die sinnlichen Aspekte weiterleben lassen, die im Original vor allem aus der elektronischen Klangmodulation hervorgehen? Wenn es um Klang geht, nutzt Schwellenbach alles, was physisch und handgemacht auf und mit den Instrumenten geht. Das Eröffnungsstück „Triumph“ von Jürgen Paape pocht und pulsiert mit trockenem perkussiven Biss, wenn der Steinwayflügel innen und außen und auf den Saiten traktiert wird.
Ein Stück von Justus Köhncke fordert eher dazu heraus, die einprägsame melodische Struktur aufzugreifen – heraus kam ein minimalistisches Streicher-Arrangement. Vor allem in mehreren Stücken des Kölner Duos „Closer Musik“ hat Schwellenbach die Atmosphäre der „Originale“ besonders traumwandlerisch getroffen. Das Stück „Departures“ lässt es angesichts seiner schrägen Polyrhythmik selbst seinen Neuarrangeuer „immer wieder schwindelig“ werden. Hier hat er synkopische Klavierfiguren miteinander verzahnt, die in einer „bimodalen Harmonik“ aufeinander bezogen sind und das gar in „gegenläufigem Fünfvierteltakt“. „No Gravity“ von Closer-Musik wirkt so bittersüß und lyrisch und zieht ein sinnliches Vokal-Motiv heran. Bei Schwellenbach ist eine ätherische Harfen-Harmonium-Figuration herausgekommen. „AG Penthouse“ von Triola atmet eine pentatonische Harfen-Luftigkeit - es könnte auch eine Ballet-Komposition des Cage-Schülers Lou Harrison aus den 50er-Jahren sein. Das Stück „Unter Null“ von Michael Mayer und Reinhard Voigt wurde zu einem schlichten Klavierstück von hoher erzählender Dimension. Man denkt bei so viel moll-getränkter Lyrik gerne an Michael Nyman, von dem Schwellenbach maßgeblich beeinflusst wurde - oder an schönen, berührenden Film.
In vieler Hinsicht „ein magischer Moment“ war die Arbeit an der Version von „Gong Audio“ – mit einem indonesischen Gamelanensemble. Wer schon mal ein Konzert mit einer solchen Truppe erlebte, weiß wovon die Rede ist. Eine repetitive Tonfolge ist allein schon durch die spezifisch eingesetzten Instrumente vorgegeben. Die Musiker treiben ihr aufregendes Spiel voran, um damit Trance zu erzeugen, wie es auch der DJ mit Klangmodulationen, Mixern, Lautstärkereglern und Effekten tut. Eine dumpfe Bassdrum pulsiert unerschütterlich. Die Tonfolge schwirrt durch ein grelles Kaleidoskop aus Obertonfrequenzen hindurch mit verspielten Wechseln von Schattierungen, Akzentverschiebungen und Gegenschlägen. Das ist größtmögliche Verdichtung bei extremer Präzision. Gregor Schwellenbach ist selbst begeistert: „Da war es wieder, dieser Augenblick: Die gemeinsame Schwingung eines geschmeidig verzahnten Rhythmus, hypnotischer Obertonreichtum, physische Präsenz des Beats. Musik kann so glücklich machen.“
Live wurden einige Stücke bereits mit einem Kammermusikensemble im Rahmen des „Acht-Brücken“-Festivals im Frühjahr aufgeführt. Bald soll es eine weitere Konzert-Tournee geben.
Gregor Schwellenbach spielt 20 Jahre Kompakt
Kompakt CD 108