Edvard Grieg hat keine Violinkonzerte komponiert. Jetzt werden drei bei Naxos auf CD angeboten. Bei ihnen handelt es sich um seine drei zu Unrecht kaum noch beachteten Violin-Klavier-Sonaten, die, auf der Basis des Klavierparts orchestral ausgearbeitet, als Konzertfassungen erscheinen.
Es geht also um Bearbeitungen. Dem norwegischen Geiger Henning Kraggerud und seinem Musikerkollege Bernt Simen Lund aus dem Tromsø Chamber Orchestra ist es gelungen, Griegs Kompositionen in den großorchestralen Rahmen bruchlos zu überführen - mit Vehemenz, Kompetenz und Delikatesse.
Kompositorisch exakt notierte Musik ist schon immer umgeschrieben, ergänzt, gekürzt worden, manchmal von deren Urhebern selbst, aber ebenso häufig von Bearbeitern. In den barockzeitlichen Komponisten-Werkstätten war der Arbeitsvorgang legitim. Er erweiterte die Repertoires ausübender Künstler. Im vormedialen Zeitalter warb er für Werke aus Schaffensbereichen, die bestimmten Gesellschaftsgruppen verschlossen bleiben mussten. Später griffen komponierende Virtuosen - Liszt, Busoni, eine Legion anderer – zu Kollegenwerken und glichen sie ihren objektivierenden Vorstellungen oder ihren interpretatorischen Bedürfnissen an. Als nochmals später die Originale in Oper und Konzert von allen erreicht werden konnten, sank die Bereitsschaft, Bearbeitungspraktiken zu akzeptieren. Das ergab sich verstärkt im originalistätsorientierten 20. Jahrhundert. Liszts Bach- und Griegs Mozart-Adaptionen, sogar Anton Weberns Instrumentierung von Bachs Ricercare (aus dem Musikalischen Opfer) wurden als geschmackliche Fehlleistungen indiziert.
Adversativ durchdrungene Aufregungshaltungen, auch Wissenschaftler- und Rezipienten-Zurückhaltung sind mit der Post-Moderne irrelevant geworden. Heute geht alles, wenn eine abgeschwächte Originalitätsvorstellung, dafür ein ausgeprägter Qualitätsanspruch die Voraussetzung bilden und hinter den bearbeiteten Kompositionen einfühlsam und sachspezialisiert operierende Fachleute standen.
Dies ist wie beim Grieg-Beispiel auch der Fall bei zunächst seltsam anmutenden, in der Rezeptionsgeschichte nicht unbekannten, für die Praxis hingegen verschütteten Transkriptionen Mozartscher Klavierkonzerte (acht an der Zahl, das Konzert für zwei Klaviere und Orchester K. 365 inklusive) und Sinfonien (4). Deren Autor ist der Mozart-Schüler Johann Nepomuk Hummel. Seltsam muten diese Transkriptionen deshalb an, weil ein, neben dem solistisch tätigen Klavier, für das Mozart-Orchester eintretendes Ensemble aus Flöte, Violine und Cello besteht. Der Grund für Hummels Besetzungs-Entschluss scheint nicht bekannt zu sein.
Im Grunde geht man im voraus davon aus, dass seine drei Wahl-Instrumente Mozarts unterschiedlich instrumentierten und reichhaltigst differenzierten Orchestersatz kaum zufriedenstellend wiedergeben können. Aber da wird man nicht nur eines Besseren belehrt, sondern man hört die Ausführung auch durchaus zustimmend an. Hummel hat aus den Konzerten in praxi Klavierquartette gewonnen. Das heißt: das Klavier führt nicht nur die Soli aus, sondern bestreitet auch den Orchestersatz mit Flöte, Violine und Cello in partnerschaftlichem Musizieren. Darin folgt Hummel zum Teil Mozart selbst, der Anweisungen für das aktive Mitgehen des Pianisten in den Orchestersätzen, den Ritornellen, in die Konzert-Autographe eingezeichnet hat. Die von Hummel verfassten Kompositionsbilder werden partiturgetreu wiedergegeben, nur in der Detailausführung der Klaviersoli verfährt er frei. Er war dreizehn bei Mozarts Tod, hatte also dessen improvisatorische Vorlieben beim eigenen Vortrag, für den die exakten Aufzeichnungen oft nicht vorlagen, kennengelernt, erinnerte die Auszierungs-Varianten, die originale Dynamik, Mozarts Darstellungsfreiheiten im ganzen.
Die Pianistin Fumiko Shiraga, Henrik Wiese (Flöte), Peter Clemente (Violine), Tibor Bényi (Cello) bieten die Bearbeitungen der sieben Konzerte (ohne das Doppelkonzert) und der großen g-Moll-Sinfonie (in Aufnahmen von 2003 bis 2006, die jetzt in einer Kassette ediert sind) so spielerisch versiert und stimmungsvoll dicht, dass sie für den Alternativ-Vortrag dieser Kompositionen im Kammermusikbereich erfolgreich werben, so wie es die beiden Norweger Kraggerud und Lund für Griegs Violinsonaten im orchesterbegleiteten Konzertformat tun.