Hauptbild
„Tár“ mit Cate Blanchett und Nina Hoss (im Hintergrund). Foto: Focus Features
„Tár“ mit Cate Blanchett und Nina Hoss (im Hintergrund). Foto: Focus Features
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Was mir die Macht erzählt – Cate Blanchett als Dirigentin im Kinofilm „Tár“

Publikationsdatum
Body

Mit „Tár“ touchiert der neue Film von Todd Field mit Cate Blanchett in der Hauptrolle der fiktiven Dirigentin Lydia Tár Diskurse der klassischen Musikwelt: #metoo und Cancel Culture im Klassikbetrieb, Universalismus der Musik und Identität, Hierarchien und Machtmissbrauch innerhalb von Orchestern, Karrierismus und große Kunst. Dabei ist der Film wie eine Sinfonie Mahlers: Mitreißend, humorvoll, tragisch, rätselhaft.

Lydia Tár ist eine lebende Legende. Eine wahre Superfrau: Dirigentin, Komponistin, Pianistin, Musikwissenschaftlerin, Autorin. Sie ist Gewinnerin von Emmy, Grammy, Oscar und Tony Award. Und sie ist Dirigentin der Berliner Philharmoniker, mit denen sie gerade eine Gesamteinspielung von Mahlers Sinfonien für die Deutsche Grammophon vornimmt. Sie hat alles erreicht, was man als klassischer Musiker erreichen kann. Charismatisch, lustig und sportlich ist sie auch. Das Erscheinen ihrer Autobiografie „Tár über Tár“ steht kurz bevor, da beginnt das Bild der Ikone zu erodieren.

Unter den Studenten einer Masterclass macht sich die Dirigentin unbeliebt (natürlich an der Julliard School), weil sie den universalistischen Anspruch klassischer Musik weißer cis-Menschen verteidigt. „Boomer“-Statements werden Großkünstlern in der Regel gerne verziehen. Der Selbstmord einer ehemaligen Assistentin wirft jedoch schließlich den Verdacht auf, dass der Klassik-Star seine omnipotente Position als Chef und genialischer Übermensch ausgenutzt hat: Frauen, die nicht mit der lesbischen „Maestra“ ins Bett gingen, habe sie aktiv an einer Karriere gehindert – so der Vorwurf. Der Film zeigt dem Zuschauer, dass die Vorwürfe berechtigt sind, wie weitreichend die Schuld der daraufhin von der Klassik-Szene abservierten Dirigentin ist, jedoch nicht.

Das Muster, das Todd Field hier aufgreift, kommt freilich bekannt vor, denn ähnlich wie in der Filmbranche bietet die strenge Hierarchie von Orchester und Opernbetrieben idealen Nährboden für Machtmissbrauch. 2019 wurde Daniele Gatti vom Concertgebouw Orkest fristlos entlassen, ein Jahr, nachdem sich die Metropolitan Opera von ihrem Chefdirigenten James Levine nach fast 40 Jahren Amtstätigkeit und mehreren von „Gerüchten“ erfüllten Jahrzehnten verabschiedete. In beiden Fällen wurde den Kapellmeistern vorgeworfen, die Personalunion aus Vorgesetzter und künstlerisches Idol für sexuelle Belästigung missbraucht zu haben. Als Außenstehender ist einem oft nicht bewusst, wie steil die Hierarchien von Orchestern sind: Der Geiger am zweiten Pult hat dem Vorspieler nichts zu sagen und ein Piccolo-Spieler dem Soloflötisten schon gar nicht! Die Machtstrukturen, die sexuellen Missbrauch begünstigen, werden in „Tár“ mit einer Genauigkeit nachgezeichnet, die auf gründliche Beobachtung und scharfsinniger Analyse gruppendynamischer Prozesse innerhalb von Orchestern schließen lässt. Mithilfe kurzer, vermeintlich unbedeutender Szenen schafft es der Film meisterlich zu erzählen, wie sich eine Beziehung zwischen Lydia Tár und einer Cellistin im Probejahr (also in der Hierarchie ganz weit unten) anbahnt und für welchen „Flurfunk“ dies sorgt.

Für Társ Kollegen Levine und Gatti blieben die Konsequenzen einigermaßen überschaubar: Daniele Gatti ist heute so gut wie rehabilitiert, er wurde 2022 zum Nachfolger Christian Thielemanns als Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle benannt. James Levine bekam 2019, zwei Jahre vor seinem Tod, von der MET eine Abfindung in der Höhe von 3,5 Mio. US-Dollar. In beiden Fällen ist unklar, was wirklich abgelaufen ist. Sind sie Täter oder Opfer der „Cancel Culture“? So oder so, ihre Lebensläufe sind mit einem Stigma versehen. Bei jeder Erwähnung des Namens Gatti in einem Zeitungsartikel wird es heißen: „Das ist der mit dem #metoo-Vorwürfen.“ Das Spannungsfeld des Daseins als Opfer und Täter lotet der Film „Tár“ in aufregender Art und Weise aus. Dadurch, dass Field dem Zuschauer nicht die ganze Wahrheit preisgibt, Lydia Társ „dunkle“ Vergangenheit nur scheibchenweise beleuchtet, gibt er Raum für Fantasie – so wie es auch die Vorlagen tun. Das ist aufregend, manchmal enigmatisch, mal spannend.

Lydia Tár indes kommt weniger gut weg als die männlichen Kollegen: Ihre Ehe mit der Konzertmeisterin Sharon (gespielt von Nina Hoss) zerrüttet zusehends, ihre Assistentin Francesca (Noémie Merlant) wendet sich gegen sie, schließlich wird sie für das Release-Konzert ihrer neuen Mahler-Einspielung durch einen gewissen Herrn Kaplan (Gilbert Kaplan?) ersetzt. Schließlich endet sie auf den Philippinen.  Dass die Dirigentin in diesem Fall eine Frau ist, dazu Lesbe, verleiht der Thematik eine besondere Wucht: Es lenkt den Blick von patriarchalen Strukturen und „alter weißer Mann“-Narrativen hin zur Person selbst.

Die Superkünstlerin wird von Cate Blanchett verkörpert, die diese Rolle auch unverschämt gut ausfüllt. In den ersten Szenen wirkt ihre Art zu spielen etwas zu betont charismatisch, aufgesetzt – erst im Verlauf des Films wird deutlich, dass sie wie Tár mehrere Masken trägt – je nach dem, mit wem sie spricht – und dann ist man einfach nur noch hingerissen. Hier muss jemand die Szene lieben, um mit einem derartigen Bewusstsein fürs Detail die Probenarbeit mit dem Orchester (dargestellt von der Dresdner Philharmonie) sowie die Körperlichkeit des Dirigierens nachzuempfinden.

Man fühlt sich an eine Mahler Sinfonie erinnert – lustigen Szenen folgen tragische, Momente des Horrors auf Momente der Liebe. Wie jede große Kunst vermag es dieser Film auf allen Ebenen zu packen: Für Liebhaber klassischer Musik und Kenner der Orchester- und Dirigentenszene ist der Film besonders lohnend, die Freude über versteckte Details und Anspielungen auf Bernstein, Mahler und Co täuscht wunderbar über einige Längen des Films hinweg.

Der Film startet am 2. März in deutschen Kinos, der eher unauffällige Soundtrack von Hildur Guðnadóttir wird bei der Deutschen Grammophon veröffentlicht (wo auch sonst).

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!