Klaus Treuheit hat nach eigenem Bekunden in der letzten Zeit wieder sehr viel Schwung geholt. „Ich freue mich auf alles, was noch kommt“ bekundet der Improvisator, Tastenvirtuose und Komponist aus Erlangen und legt aktuell gleich drei neue Tonträger in verschiedenen Konstellationen vor. Und es drücken sich hier auch drei unterschiedliche Säulen von Treuheits kreativem Schaffen aus.
Eine neue Besetzung präsentiert sich im Trio mit der Cellistin Johanna Varner und dem Gitarristen Dick Toering. Die drei gingen in der Petruskerk im niederländischen Usquert in Klausur und improvisierten hier betont sinnlich und abwechslungsreich. Das lädt zum Eintauchen in die Welt freier Klänge ein, denn auch der Genussfaktor kommt nie zu kurz.
Majästätisch wirkt der Einstieg, wie Johanna Varner auf ihrem Cello regelrecht choralartige Figuren spielt. Hierzu treten die Kaskaden der historischen Orgel von Petrus van Oeckelen aus dem Jahr 1852 in einen funkelnden Dialog. Das verdichtet sich, ballt sich manchmal zu Clustern, verändert sich meditativ und assoziativ, bringt Tonfolgen an die Oberfläche, die sich gegenseitig umspielen. Dick Toerings elektrische Gitarre produziert karge Grundklänge, erzeugt subtile perkussive Rhythmuseffekte. Später dann kommt es zu gellenden Glissando-Aufschreien, die manchmal fast an die frühen Pink Floyd erinnern – Klangereignisse, die immer wieder wie aufblitzende Irrlichter im Raum unterwegs sind. Kurzum: was hier passiert, ist verblüffend greifbar und atmosphärisch dicht. Wirkt mal sakral, dann fast rockig-psychedelisch. Vermittelnde melodische oder auch rhythmische Elemente sorgen für einen stimmigen roten Faden. „Usquert I-XI“ ist daher eines der zugänglichsten Werke aus dem Treuheitschen Kosmos – und kann daher gut zum Einstieg in solche Hörabenteuer empfohlen werden.
Klaus Treuheits Duo mit dem Violaspieler Gunter Pretzel hat schon einiges hervor gebracht. Auf der aktuellen CD „stunning by degrees“ sollte alles nochmal auf die Spitze getrieben werden, was in Sachen Ausforschung neuer Klangmöglichkeiten geht.
Treuheit spielt hier ausschließlich Cembalo und hat sein Instrument dafür „aufgerüstet“. Greift er doch auf ein neuartiges Modell zurück, das eine Bamberger Firma zwar nach historischer Vorlage konstruierte, diesem aber ein modernes Innenleben (unter anderem Springer aus Metall sowie Plektren aus einem Spezialkunststoff) mit Stahlsaiten und Metallplektren einpflanzte. Damit geht viel mehr Dynamik – und auch extremere, härtere Klänge sind möglich. Also erschließt sich hier ein ganzes Kaleidoskop an neuen Obertönen und Schwebungen. Solche Grenzregionen interessieren den Erlanger besonders.
Hitzig aufgeladene Tonkaskaden prasseln auf dem Album „stunning by degreees“ regelrecht auf den Hörer nieder, und doch scheint alles in komplexer Mikrostruktur verwoben. Treuheit präpariert die Saiten, dämpft sie ab oder aber gibt dem Klang allen Freiraum. Es ist ein Wechselspiel voll schroffer Sinnlichkeit, das von den harschen Klangballungen, Geräuschwelten und schreienden Ausbrüchen aus Pretzels Viola komplettiert wird. Alte Prägungen durch Barockmusik und Früheres, aber auch der Freejazz gehören zum Vokabular für diese vorwärtspreschende Interaktion.
Und schließlich legt Klaus Treuheit noch ein sehr zeitgenössisch progressives Klavierjazz-Soloalbum vor, das er – wie schon der Titel sagt – dem Filmemacher Aki Kaurismäki widmet. Denn es war eine wichtige Erfahrung für Treuheit, dass er für Kaurismäki verschiedene Filmmusiken schuf. Aber „kaurismaetic“ will keine direkte Hommage sein. Es war mehr die persönliche Berührung, denn vor allem vom Geist und Humor des finnischen Regisseurs fühlte er sich inspiriert, um so spontan und spielfreudig wie hier in die Tasten seines Flügels zu greifen. Es ist ein rauschhafter Fluss, der aber auch atmet, verweilt und Rhetorik verströmt. Und inmitten ausgeprägter perkussiv entfesselter Freigeistigkeit lebt in den Mikrostrukturen doch ganz viel Lyrik.
Überlegungen zu Cecil Taylor und Elliot Carter haben Treuheit hier inspiriert. Und last but noch least lässt sich in jedem Moment seine fabelhafte Pianistik „pur“ erleben. Oft mehr perkussiv als linear geprägt, ist seine Tastenkunst extrem impulsschnell und wendig. So wie es eben jemand kann, für den alte Musik und Freejazz keine Widersprüche sind. Der intensiv zuhört, um daraus mit eigener Sprache etwas Neues zu machen.
Klaus Treuheit, Dick Toering, Johanna Varner
Usquert I-XI
(Listermusic 2012)
Klaus Treuheit, Gunter Pretzel
stunning by degrees
(KTMP 2012)
Klaus Treuheit
kaurismaetic
(KTMP 2012)